Felix Schafer, Erste Erinnerungen (1964-1966)

From Karl Polanyi
Jump to navigation Jump to search

[I already typed 85 pages that I will publish soon, but an help to finish the text is welcomed! -- Santiago Pinault (talk) 16:08, 28 April 2017 (CEST)]

First 'Part'

First Letter: ??/??/1964


Deutscher Text zum Nachlesen

[2] Du wirst verstehen, dass was ich sage von persönlichen Erinnerungen an Euch alle durchwoben ist. Ihr beide habt einen entscheidenden Einfluss auf meine Entwicklung gehabt; Dass Karl mich einmal sein “silent model through life” genannt hat gehört zu den Großen Werten meines Lebens. Denn es war ja umgekehrt. Ihr wart und seid für mich ‚guiding model’ und da kann man persönliches nicht ausschalten. Dazu kommt, dass die Auswahl der Fragen mit denen man sich beschäftigt, nicht nur von äußeren Umständen sondern auch von der Persönlichkeit des Auswählenden abhängt. So ist ein volles Verstehen seiner Problemstellungen ohne Begreifen seiner Gefühls und Gedankenwelt unmöglich.

Du weißt vielleicht noch, dass wir uns im Jänner 1924 im Lokal der sozialistischen Studentvereinigung in der D’Orsaygasse also vor vierzig Jahren, kennen lernten. Ich war damals noch nicht 22 und unreif. Ich hatte unklare sozialistische Vorstellungen und sah, wie so viele andere, die demokratischen Einrichtungen, die Partei, mein gewohntes Leben, als unumstößlich an. Ich war zu dieser Zeit oft in der D’Orsaygasse. Das Studentenheim war ganz nahe der Wohnung meiner Eltern und abgesehen von meinem Interesse an sozialistischen Fragen hatte ich damals mehr Zeit. Denn ich war streikender Bankbeamter. Seipel versuchte zwischen uns und dem Bankverband zu vermitteln. Das war wahrscheinlich nicht eben sehr vorteilhaft für uns. Die Staatsgewalt war schon deutlich gegen die Partei gewendet; Die Polizei ging gegen eine Beamtendemonstration vor einer Bank in der Strauchgasse mit ungewohnter Schärfe vor. Doch war es damals noch so, dass Verhaftete sofort entlassen wurde, wenn ein genügend hoher Funktionär der Partei oder Gewerkschaften intervenierte. Während des Streiks las ich in der D’Orsaygrasse die Ankündigung von einem Seminar über Gildensozialismus. Das für das Seminar bestimmte Zimmer war im ersten Stock des schon recht baufälligen Gebäudes. Es lag über dem grossen Sall in dem Deutsch, mehr als ein Jahr später, einen Vortrag hielt (Mai 1925) und sagte: „Zum Bürgerkrieg sind wir zu schwach“. (Neun Jahre vor 1934). Nun damals stand der Faschismus noch nicht in so greifbarer Nähe als einige Jahr später. Ich war, wie manche andere sozialistische Studenten, durch Mises an der Universität zum Denken über Preisbildung unter Sozialismus angeregt worden. (Nan nannte das, wie du ja sich noch erinnern wirst, in den Zwanzigerjahren das Problem der Sozialistischem Wirtschaftsrechnung) Mises prophezeite den Untergang einer sozialistischen Wirtschaft mangels von Marktpreisen. Wie Du dir vorstellen kannst, wussten wir auf seine Argumente wenig Antwort, weil wir von der Sache [3] nichts verstanden, und daher die Gegenargumente nicht kannten. Auch war die Sowjetunion damals in einem Zustand furchtbarster Armut, was angesichts der Erschütterungen durch Revolution, Krieg und Bürgerkrieg kein Wunder war. Doch schien dieser Zustand Mises a priori Recht zu geben. Heute nach vierzig Jahren seine Stellung sehr schwach. Doch damals – seine „Gemeinwirtschaft“ war gerade erschienen – kam sie vielen von uns beunruhigend stark vor. So wie andere suchte auch ich nach einem sozialistischen Preisbildungsprozess und so ging ich mich Großem Interesse zum „Seminar“. Du warst am ersten Abend auch da und bist mir unglaublich jung vorgekommen. Ich hielt Dich für noch nicht zwanzig. Erst waren wir zehn oder mehr, sind aber bald auf vier zusammengeschmolzen. (Alsegg, Bock, Kien – der Name ist vielleicht falsch geschrieben – und ich). Bock arbeitete damals an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung. Karl gab ihm viel von seinem Wissen und von seiner Zeit, wofür Bock sehr dankbar war. In der Studentenvereinigung stand Bock für das was damals „Opposition“ nannte d.h. für ein „Höheres Niveau“ wie er es ausdrückte. Daneben gab seine Eleganz in der D’Orsaygasse manchmal zu Bemerkungen Anlass. „Ich weiß man sagt, dass ich der Eleganteste in der D’Orsaygasse bin und wirft mir das war“ meinte er einmal „Aber sie wissen, dass das nur daher kommt, weil ich auf meine Anzüge so acht gebe. In Wirklichkeit bin ich ein armer Bursch. „In der Tat als ich einmal an Südbahnhof anlässlich eines Ausfluges auf die Rax, den er führte, auf ihn wartete, konnte ich ihn im ersten Augenblick nicht erkennen, weil er in dem abgetragenen Touristenanzug ganz anders als sonst aussah. Im überigen hat er im spanischen Bürgerkrieg und auch bei anderen Gelegenheiten gezeigt, dass er mehr konnte, als sich elegant anzuziehen. Solltest Du noch in Kontakt mit ihm sein, bitte lass ihn herzlich von uns Grüßen. Er wird sich vielleicht noch an uns erinnern.

In „Seminar“ sucht Karl mit unendlich Geduld klar zu mach, dass die Probleme für Sozialisten nicht auch auf der gegenwärtigen Klassengesellschaft entstünden. Der Klassenkampf verberge nur zeitweise das Vorhandesein eines anderen Problems, nämlich dass viele von uns Konsumenten und Produzenten zugleich seien und das jeder in verschiedenem Ausmaße. In einer sozialistischen Wirtschaft müsste auf eine demokratische Weise beschlossen werden, was wir als Produzenten zu leisten hätten und als Konsumenten verbrauchen durften. Als sozialistische Wirtschaft definierte er in seiner Arbeit „Sozialistische [4] Rechnungslegung”, die damals eben in Archiv für Sozialwissenschaft herauskam, “eine Wirtschaft, die sich die Verwirklichung von zweierlei Forderungen zum Ziel setzt: l. bezüglich der Produktion, der Forderung nach maximalerer Produktivität; 2. Bezüglich der Verteilung, der Forderungen des sozialen Rechtes… Diese formale Unabhängigkeit des Systems der Produktion und des Systems der Verteilung von einander, gilt für uns als das dritte Merkmal sozialistischer Wirtschaft.” (S. 385). Die beiden „Hauptverbände“ in einer gildensozialistischen Wirtschaft (Vertretung der Produzenten) und die „Kommune” und Konsumgenossenschaften (Vertretung der Konsumenten) stellen vom Gesichtspunkt der Wirtschaftsrechnung (er nannte das „Rechnungslegung“ in der Arbeit) zwei Verscheidens „Kostengruppen“ vor, nämlich die der Natur zuzuschreiben Kosten (“Aufwand von Arbeitsmühe und Bodennutzungen”) und die Kosten die „dem bewussten Wirken der Gesellschaft„, dem Eingreifen in die Wirtschaft durch “das soziale Recht” zuzuschreiben sind. Die Rechnungslegung besteht in einer gesonderten Aufstellung jeder der beiden Kostengruppen. Dann weiß man wieviel die Produktion der Güter an sich kostet und “welches Mehropfer an Arbeitsmühe und Bodengütern die “Einwirkung des Sozialen Rechtes verursacht hat” (p. 395) Vorausgesetzt ist allerdings, dass sich die beiden Hauptverbände über die zu produzierenden Gütermengen und ihre Verteilung einigen. Das muss möglich sein, argumentierte er, denn die gleichen Menschen sind einmal als Konsumenten in der “Kommune” und einmal als Produzenten im “Kongress der Produktionsverbände” vertreten. Und “Vertretungen ein und derselben Menschen können nie einen Unlösbaren Widerspruch miteinander geraten” (“Die funktionelle Theorie der Gesellschaft”, Archiv. Bd 52, S. 221).

Das war nur das Skelett eines der Gedankengänge, die im „Seminar“ erörtert wurden. Um ihn herum rankten sich verschiedene andere Fragen. Ihre ganze Tragweite wurde mir erst in späteren Jahren klar. Ich glaube, dass es mit den anderen nicht viel besser war. Junge Menschen sind vielfach zu unreif um solche Gedankengänge in kurzer Zeit voll zu verstehen. “Man muss schnell reifen und ich bin langsam gereift” sagte er mir einmal. Wenn er das von sich selbst gesagt hat, wie müssen erst wir und vor allem ich selbst ausgesehen haben. So ist es nicht überraschend, dass sich das „Seminar“ nach und nach verkleinerte. Das brachte es wahrscheinlich mit sich, dass Ihr „Seminar“ nach einigen Wochen in Euere Wohnung verlegtet. Das ersparte Euch auch das Ausgehen am Abend. So kam ich in Euere Wohnung und mit Euerer Familie in Berührung. Ihr wart damals schon in der Vorgartenstrasse. Kari, die zur Welt kam, als Ihr noch in der Westbahnstrasse gewohnt habt, machte ihre Anfangsversuche im Gehen, als ich sie zum ersten Mal sah. Ich war noch nie vorher in die Vorgarternstrasse gekommen. Die Gegend war mir fremd. Es dauerte einige Zeit bis ich mich zurecht fand, aber schließlich stand ich von Euerer Türe im zweiten Stock. Eine Frau mit freundlich lachenden Gesicht öffnete. Es war Ergi, die treue Hausgehilfin, ein Pfeiler des Haushalts. Was das bedeutet wurde mir erst in vollem Umfang [5] in Neuseeland klar. Hier gibt es keine Hausgehilfinnen Bürgerliche Versuche Frauen zu diesem Zweck von Asien hereinzubringen wurden von der Labour Party immer bekämpft. Man findet es hier irgendwie für unrichtig Haushilfe zu haben und sieht es lieber Haushaltsmaschinen die Hausarbeit machen zu lassen. Und das ist auch richtig. Kommt dann ein Alter in den man auch mit Haushaltmaschinen der Arbeit nicht mehr nachkommen kann, dann muss sie am Rahmen der Social Security von öffentlichen Angestellten gemacht werden. Gerade gestern sind solche Gedanken im Parlament von der Labour Opposition ausgesprochen worden. Allerdings vor vierzig Jahren hat man Hauhaltmaschinen schwerlich gehabt, und ohne solche ist eine treue Ergi unentbehrlich. Ich muss auch ihre Kenntnis des Deutschen nach so vielen Jahren um so mehr bewundern, wo ich in Neuseeland die Schwierigkeiten einer Fremdsprache zu mindestens in den ersten Jahren, gründlich kennen gelernt habe. Sie hatte wahrscheinlich keine systematische Schulung in Deutscher Sprache, doch sprach sie ehr gut, wenn auch mit unverkennbarem Akzent. Wenn Du noch mit ihr in Kontakt bist, bitte richte ihr aus, dass ich sie vielmals grüßen lasse.

Nun damals an jenem ersten Abend führte sie mich in das Mittelzimmer mit den zwei Fenstern, die auf den Reservegarten der Gemeinde hinausgingen. Das war allerdings nicht zu sehen, es ja schon finster war. Das „Seminar“ war schon in volles Schwung. Karl diskutierte gerade die geldlose Verwaltungswirtschaft Neurath’s. In diesem „Model“ (so würde man heute sagen) waren Konsumenten und Produzenten nicht durch zwei getrenzte Wirtschaftsverbände vertreten. Über Produktion und Konsumption wurde hier in einem zentralen Wirtschaftsrat entschieden. In einer solchen Wirtschaft ist eine Rechnungslegung wie er sie in der gildensozialistischen Wirtschaft zeichnete, unmöglich. Ich glaube es ist am besten, wenn ich das Argument in seinen Worten gebe. Wie er sie in seinen Abhandlung “Sozialistische Rechnungslegung” gebraucht hat. Er sagte hier, dass man in einer Verwaltungswirtschaft die “der Natur zuzuschreibenden Kosten“ von den „Kosten, die die Einwirkung des sozialen Rechtes verursacht“ habe nicht auseinander halten könne. „Wo der Wirtschaftswille als das Ergebnis der gegenseitigen Abwägung verschiedener Motive entspringt, ist eine getrennte Zurechnung der durch diese verschiedene Motive verursachten Kosten Elemente zu diesen Motiven nur dann durchzuführen, wenn diese Motive durch verschiedene Subjekte vertreten werden. Die Hauptursache dieser grundlegenden Einschränkung ist die, dass sich zwei entgegenstehende Motive in einem und demselben Individuum notwendig gegenseitig beeinflussen, indem sie einander durchdringen und dadurch umwandeln. Ist aber erst aus ihnen ein einheitlicher Wille entsprungen so sind sie in diesem Willen überhaupt aufgehoben. Der Wille, die der ihre Resultante ist, tritt an die Stelle der Motive, die seine Komponenten waren. Nur mit Hilfe des Gedächtnisses kann es uns nunmehr gelingem, einer mehr oder minder blassen Schatten der ursprünglichen Motive uns zu vergege[n]wärtigen. Von der genauen und ziffernmäßig ausdrückbaren Erfassung des Intensitätsverhältnisses kann eine Rede mehr sein. „(S. 416/417……)“ Die Scheidung der natürlichen von den sozialen Kosten ist somit nur bei einer Organisation der Wirtschaft möglich, die den Willen zur technischen Produktivität sowie den Willen nach sozialer Gerechtigkeit und der höheren Gemeinnützigkeit der Produktionsrichtung durch zwei verschiedene Subjekte vertreten lässt.“ (S. 416/417)

[6] Das war im wesentlichen das Argument, das an jenem Abend zur Erörterung stand. Allerdings Weiß ich nicht, ob ich damals genügend folgen konnte. Abgesehen von anderen Gründen wurde meine Aufmerksamkeit sofort von den Bilden an den Wänden abgelenkt. Sie zeigten Männer in glänzenden Uniformen, die zur sozialistischen Gedankenwelt welche diskutierte wurde, schwerlich passten. Es waren Deine Verwandten und die Bilder gehörten Nene. Sie erzählte mir später, als sie mich schon einige Zeit gekannt hatte, dass es Mitglieder einer der ältesten ungarischen Adelsfamilie waren und die Familie wäre so alt dass sie keinen Titel hätte, weil es damals noch keine Titel gab, als sie ihr Schloss, (ich glaube der Name war Bekassy) bauten. Sie selbst war Adel und Vornehmheit in Person. Hinter ihrer anfänglichen Zurückhaltung stand tiefe Herzensgüte und Verzicht auf Eigenleben. Ihr kleines Zimmer war ein Museum von Photographien ungarischer Magnaten, kunstvolle Samowars und anderer kleiner Kunstgegestände, denen man ansah, dass sie aus einer entschwundenen oder zumindestens entschwindenden Welt stammten. Dieses Zimmer war das Sanktuarium wohin sie sich zurückzog, wenn ihr die Wirklichkeit zu schwer zu ertragen schien (Und vorausgesetzt sie hatte die Zeit dazu.) „Meine Waffe ist die Höflichkeit“ pflegte sie zu sagen. Manches erzählte sie mir. Von Karl sagte sie, dass er Dich vergöttene und überhaupt bewunderte sie ihn. Sie wusste dass die alte Welt und mit ihr der Glanz der Magnaten (der tausendjährigen Klassen, wie sie sich nicht nannten) zum Untergang verurteilt war. Die Frau des Ministerpräsidenten (das war zu dieser Zeit Bebhlen) hat gesagt, das es nicht mehr nötig ist die Fenster in ihrem Amtswohnung (sie schlossen nicht gut) zu reparieren. Sie glaubt, dass sie sowieso bald ausziehen werden. zählte sie mir einmal. „Und so viele sagen: Es kommt der Bolschewismus“ (Das geschah auch zwanzig Jahre später). Einmal beschrieb sie den Glanz im Schloss mit der vielen Dienerschaft usw. „Aber alles gehört schon der Bank“ fügte sie hinzu. Ihre starke Anhänglichkeit an ihre Familie nachte er für sie schwierig das Verschwinden dieser Zeit nicht zu bedauern. Doch ihr Gefühl für Gerechtigkeit brachte sie an die Seite des Fortschrittes. Nach 1934 hat sie geholfen, soviel sie konnte, Die erste Verordnung des neuen Faschistenregimes am 12. Februar bei der Gemeinde Wien war die Aufhebung der Dienstpragmatik, so dass jeder entlassen werden konnte. Nene ging für mich zum damaligen Vizebürgermeister Winter um das zu verhindern. Er sagte ihr natürlich, dass niemand abgebaut werde, (Ganz genau stimmte das zwar nicht, doch das tut nichts zur Sache). Aber sie werde ich vergessen, welche Mühe sich die alte Dame gab um überhaupt vorzukommen. Im Rathaus war es nicht möglich. So wartete sie eines Sonntags vor der Tür seiner Privatwohnung auf ihn, bis er mit seiner Familie von einem Ausflug zurückkehrte. Und da musste er sie anhören. Oder sie ging zur Polizei für Trude ---- und sagte dem Beamten, er müsse ihr einige Minuten geben, weil es Christpflicht sei für verfolgte Mitmenschen einzustehen. Selbstverständlich wäre das so, stimmte der Beamte zu. Ob ihre Bemühungen in diesem Fall genützt haben, ist allerdings zweifelhaft. 1938 sprach ich zum letzten Mal mit ihr. Es war wegen unserer Auswanderung und ich hat sie an Euch zu schreiben. Sie gab ihrem über die Nazi beredten Ausdruck. „Es ist eine [7] Schande wie man die Juden behandelt“ gab sie ihrem Unwillen Ausdruck, was gewiss sehr mutig war, da doch die Wände Gestapohren hatten. Kurz nach dem Beginn des Naziregimes wurde ich verhaftet und als ich 1939 entlassen wurde, war sie nicht mehr in Wien.

Doch um zur Verwaltungswirtschaft zurückzukehren, ich hätte zu dieser Zeit auch ohne die Ablenkung durch die Bilder an den Wänden kaum viel von der Debatte begriffen, Erst nach Jahren dämmerte mir die Volle Bedeutung der Ablehnung der Verwaltungswirtschaft auf. Sie erschöpfte sich gewiss nicht in dem Hinweis, dass es in der Verwaltungswirtschaft unmöglich sie die der Natur zuzuschreibenden Kosten von den durch das soziale Recht verursachten Kosten getrennt zu erfassen. Die Wurzel seiner Ablehnung lag wahrscheinlich außerhalb der Nationalökonomie. Allerdings bewegte sich der nächste Schritt in der Ausdehnung des Argumentes gegen die Verwaltungswirtschaft noch immer innerhalb der Ökonomie. Es ist die Feststellung, dass hinter den zwei Arten von Kosten die Menschen als Produzenten und Konsumenten und die Beziehungen zwischen ihnen in diesen beiden Funktionen stehen. Un einer sozialistischen Wirtschaft, argumentierte Karl, sollte jeder imstande sein zu entschieden, ob er so und soviel Freizeit diesen und diesen Gütermengen vorziehe oder umgekehrt. Das sollte durch Planung im Wege von Übereinkünften zwischen den beiden Hauptverbänden der Konsumentenhund Produsenten festgelegt werden. In einer Verwaltungswirtschaft müsste das in eier zentralen Planungsstelle geschehen, wo mangels gesonderter Vertretungen der Konsumenten und Produzenten ihre Wünsche nur unvollkommen zum Ausdruck kämen. Daher sei dort die Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten nicht klar. Die Folge sei, dass Produktion und Konsumption möglicherweise den Wünschen der Produzenten und Konsumenten nicht immer entsprächen, “Im Sommer haben sie Pelzschuhe verteilt und Wörterbücher sind dorthin gekommen wo man sie nicht brauchen konnte,” hast Du diese Schwache der Verwaltungswirtschaft an einem Beispiel aus dem Kriegskommunismus illustriert. “Übersicht”, wie Karl die Möglichkeit nannte von den Menschen der Menschen Kenntnis zu erhalten, wäre in einer Verwaltungswirtschaft nur von “oben” und daher nur unvollkommen möglich. Er aber verlangte Übersicht von „unten“ durch demokratisch gewählte Vertretungen von Konsumenten und Produzenten. Jugoslawien und Russland haben gezeigt, wie Recht er hatte.

Beziehungen im Sozialismus “übersichtlich”, d.h. leicht erkennbar sein. Karl nahm hier die Marxistische Stellung ein.

[11] (Nun beginnt das frisch geschriebene): Er zeigte mir, wie ich mich zu erinnern glaube, folgende Sätze von Marx: „Stellen wir uns einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmittel arbeiten und ihre individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben…… Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution (Kapital Bd., I. S. 42, 45, Hamburg, 1921). Sind die menschlichen Beziehungen zueinander nicht durchsichtig, ist ein Zustand möglich, wo die Einrichtungen, die auf den menschlichen Beziehungen beruhen, unabhängig von diesen [12] Beziehungen zu sein scheinen, und ein die Menschen beherrschende Eigenleben führen. Die menschlichen Beziehungen sind hier von den sozialen Einrichtungen verdeckt; So sagt Marx: “Betrachten wir den Weg, den das Kapital durchmacht, bevor es in der Form von zinstragendem Kapital erscheint. Im unmittelbaren Produktionsprozess ist die Sache noch sehr einfach. Der Mehrwert hat noch keine besondere Form angenommen, außer dieser des Mehrwertes selbst, die ich nur von dem Werte des Produktes unterscheidet, der ein Äquivalent des in ihm reproduzierten Wertes bildet… Der Zirkulationsprozess verwischt schon… den Zusammenhang. Indem die Masse des Mehrwertes hier zugleich bestimmt ist durch die Zirkulationszeit des Kapitals, scheint ein der Arbeitszeit fremdes Element hineinzukommen. Nehmen wir… das fertige Kapital… als eine bestimmte Wertsumme, die in einem bestimmten Zeitraume… bestimmten Profit (Mehrwert) produziert, so existieren in dieser Gestalt Produktionsprozesse nur noch als Erinnerung und als Moment, die gleichzeitig den Mehrwert erscheint jetzt als Profit… durch die Verwandlung des Profit in durchschnittsprofit wird weiter der Profit des besonderen Kapitals… der Quantität nach verschiedenen vom Mehrwert selbst den das besondere Kapital in seiner besonderen Produktionssphäre erzeugt hat… Kapitalien von gleicher Größe liefern gleiche Profite… In allen diesen Ausdrücken ist der Verhältnis des Profits zur organischen Zusammensetzung des Kapitals völlig ausgelöscht … In denselben Grade wie die Gestalt des Profits seinen inneren Karn versteckt, erhält das Kapital mehr und mehr eine sachliche Gestalt, wird aus einem Verhältnis immer mehr ein Ding, das das gesellschaftliche Verhältnis im Leibe, in sich verschluckt hat, ein mit fiktiven Leben und Selbständigkeit sich zu sich selbst verhaltendes Ding, ein sinnlich-übersinnliches Wesen.” (Theorie über den Mehrwert, Bd. III, 1921, S. 553, 554, 555). Karl hat ungefähr zehn Jahre, nachdem er mir diese Stellen gezeigt hatte, diesen Gedankengang mit Berufung auf Marx: folgendermaßen in der “Essence” ausgedrückt: “In a developed market-society distribution of labour intervenes. Human relationships become indirect, instead of immediate co-operation there is indirect co-operation by the medium of the exchange of commodities. The reality of the relationships persists: the producers continue to produce for one another. But this relationship is now hidden behind the exchange goods: it is impersonal: it expresses itself in the objective guise of the exchange value of commodities: it is objective, thing-like. Commodities, on the other hand, take a semblance of life. They follow their own laws: rush in and out of the market: change places: seem to be masters of their own destiny. We are in a spectral world, but in a world in which SPECTRAS ARE REAL. (in contrast to fascist philosophy). For the pseudo-life of the commodity, the objective character of exchange value are NOT illusion. The same holds true of other “objectifications” like the value of money, Capital, Labour, the State. They are the reality of a condition of affairs in which man has been estranged from himself. Part of his self is embodied in these commodities which now possess a strange self-hood of their own. The same holds true of all social phenomena in Capitalism, whether it be the State, Law, Labour. Capital or Religion. (Essence, p. 375)

Ohne Zweifel lehnte Karl diesen Zustand als menschenunwürdig ab. So sagt er im Anschluss an die eben zitierte Stelle: “But the true nature of man – er rechnete sich gewiss zu den Menschen mit “true nature” und er glaubte sicherlich, dass das für jeden Sozialisten galt – rebels against Capitalism. Human relationships are the reality of society. In spite of the division of labour they must be immediate, i. e. personal. The means of production must be controlled by the community. Then human society will be real, for it will be human: a relationship of persons.” (p. 375)

[13] “A relationship of persons” war für Karl eine Beziehung zwischen Menschen deren Persönlichkeit ihm als höchster Wert galt. Er stand für das was er “Christlichen Individualismus” nannte und dessen Doktrine ist “Personality is of infinite value, because there is God.” “It is the doctrine of brotherhood. of Man. That Man have soul is only another way of stating that they have infinite value as individuals.” (p. 369/70) The “infinite value”, den die Persönlichkeit jedes Individuals für ihm hatte, war nur ein anderer Ausdruck dafür, dass er der Erhaltung der “Uniqueness” – das Wort kommt im Schlussteil der Transformation vor – des Individuals höchsten Wert beilegte. Aus dieser Einstellung folgt sein Internationalismus der Menschlichkeit. Er fühlte sich hier eins mit den Kirchen, the “churches, when they denounce racialism for is implied denial of the universalism inherent in their Christian mission.” (p. 388) Und indem er den Begriff des Universalismus erklärte, setzte er fort: “Negatively Universalismus thus more or less synonymous with non-racialism. Its positive meaning is that of an idea implying the concept of mankind. In other words it is the claim of an idea to apply to mankind as a whole, i.e. to all individuals constituting it.” (p. 388) Ich werde im dritten Abschnitt versuchen die Fragen, die er in der “Essence” behandelte, zu erörtern. Hier möchte ich nur bemerken, dass er internationaler “Mensch” im besten Sinne des Wortes war, für den es keine Vorurteile nationaler, rassischer oder anderer Art gab. “Ich bin Kosmopolit, ich bin für Geistesfreiheit, für Freiheit jeder Art” höre ich ihn beim Grünen Ofen im Mittelzimmer leidenschaftlich ausrufen. Ich hoffe nun nach so langen Jahren die volle Bedeutung dieses Ausspruches endlich verstanden zu haben. Er zeigt den tieferen Grund für seine Ablehnung der Verwaltungswirtschaft. Er war, wie schon erwähnt außerhalb der Ökonomie. Die Verwaltungswirtschaft mag ihm als eine monströse Objektivation erschienen sein, in der die menschlichen Beziehungen durch verdeckt waren. Charakteristisch ist vielleicht eine Ausserung von Bock in der Zeit des Seminars. Er sagte: “Für eine Futtermaschine kämpfe ich nicht”. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich vermute, dass aus diesem Satz der Einfluss Karl’s spricht. In der “Essence” kommt nicht nur der Wesensinhalt des Faschismus, sondern vor allem die Essenz seiner Persönlichkeit, Menschlichkeit, Toleranz und Freiheitsdrang wunderbar zum Ausdruck. Das machte ihm zu dem, was er war, und was uns sein Andenken teuer macht. Diese auf Religiosität basierte Weltanschauung der Menschlichkeit war die moralische Einheit seines Wirkens. (Auf die logische komme ich später zurück). Diese moralische Einheit oder Stellungnahme oder wie immer Du das nennen willst war, wie Mehring von Marx sagte, “das Zünglein an der wage seines Schicksals.” Materielle Vorteile achtete er nicht, wenn es auf Kosten seiner menschlichen Prinzipien gegangen wäre.

Du kennst ja sein Leben genau, und so wirst Du beurteilen können ob ich recht haben, wenn ich sage, dass ich zumindest von zwei Anlässen weiß, wo er eine versprechende Karriere Aufgabe, weil er sie mit seinen Prinzipen unvereinbar fand. Das eine Mal gab er, wie ich glaube seine Rechtsanwaltslaufbahn auf, der er doch sein Studium gewidmet hatte. Das war möglicherweise noch vor dem ersten Weltkrieg. Er hat mir nur [14] Andeutungen gemacht. Du weißt natürlich alles genau. Über das andere Mal nag ich mehr sagen können. Es war im Herbst in 1933, als er infolge der zunehmenden faschistischen Tendenzen in der damaligen österreichischen Regierung für den Volkswirt untragbar wurde, und nach London ging. Unerschrocken nahm er die großen Risken auf sich und hielt seine Grundsätze aufrecht. So schwer es damals auch gewesen sein mag seine Prinzipienfestigkeit war sein und damit unser aller Glück. Denn hatte er sich gebeugt und wäre er geblieben, so wäre er wahrscheinlich in die Hände der Nazi gefallen und das hätte er (abgesehen von Dir und Kari) nicht überlicht oder zumindest kaum überlebt. Wir selbst haben es sehr bedauert nicht sogleich nach 1934 das Land verlassen zuhaben. Nur mit Euerer Hilfe sind wir noch mit einem blauen Aug davon gekommen.

Im überigen wird Dir vielleicht folgendes interessant erscheinen: Du erinnerst Dich möglicherweise noch an Jellinek. Erarbeitete mit Karl zusammen beim Volkswirt. Als 1936 die Nazi die demilitarisierte Rheinzone besetzten führten die österreichischen Faschisten die allgemeine Wehrpflicht ein. Bei diesem Anlass wurde die Bevölkerung registriert. Das war Gemeindesuche und so traf ich Jellinek. Er war beim “Arbeitersonntag”, einem Wochenblatt, das im Hause der Arbeiterzeitung von den Faschisten oder ihnen nahestehenden Kreisen als arbeiterfreundliches Organ gedruckt wurde. Wir sprachen natürlich über Euch. Er hielt es nicht für klug, dass Karl weggegangen war. “Es geht ihm schlecht” sagte er. Zwei Jahre später traf ich ihn in Buchenwald. Da hat er ebenso wie ich sehr bedauert nicht nach 1934 ausgewandert zu sein. Wir waren sehr froh zu wissen, dass Ihr alle in Sicherheit wart. Er sprach von seiner möglichen Hoffentlich hat er überlebt.

Nach dieser Abschweifung möchte ich noch einiges über die Objektivationen sagen. Er hat sich nie mit einer gefühlsmäßigen Haltung begnügt, wo auch eine Erklärung möglich war. Das galt auch für die Objektivationen. So sehr er sie als menschenunwürdig ablehnte, hat ihn das nicht gehindert ihre Entstehung als leidenschaftsloser Wissenschaftler zu untersuchen. Hier ging er vom dem marxistischen Begriff des vergesellschafteten Menschen ans. Er benützte die Fassung Max Adlers’s (Adler’s sprach von Karl als “brillant”): “Der Mensch ist sozial, nicht weil er in Gesellschaft lebt, sondern er kann in Gesellschaft leben, weil er schon unmittelbar in seinem Selbstbewusstsein sozial ist… Auf diese Weise ist also das “Soziale” weder etwas zwischen den Menschen, noch über ihnen, sondern es ist in ihnen, und zwar in jedem Einzelnen ganz, so dass der soziale Zusammenhang, die Gesellschaft als Tatsache, nicht als Begriff schon in jedem Einzelbewusstsein vollständig gegeben ist. (Max Adler, Marxistischen Probleme, Stuttgart, 1922, S. 6). Der Begriff des vergesellschafteten Menschen ist, wie ich glaube die logische Einhalt seines Wirkens. Man kann diesen Begriff, wie (ich) mir vorkommt in allen seinen Arbeiten nachweisen. Entweder ist er ausdrücklich erwähnt, oder er liegt seinen Darlegungen stillschweigend zu Grunde. Du wirst ja im Laufe des nächsten Abschnittes sehen, ob ich Recht habe. Selbstverständlich ist das nur ein nachträglicher rückschauender Gedanke, der für sein Werk nicht wesentlich ist. – Um zu den Objektivationen zurückzukehren – der vergesellschaftete Mensch ist unableitbar gesetzt. Ebenso unableitbar muss angenommen werden, dass wir nur zweckmäßig, oder mit Karl’s Worten “sinnhaft” handeln können. “Bewusstsein ohne Sinnhaftigkeit ist unvorstellbar.” So oder so ähnlich hat er das formuliert. Nun geben wir der Verumständung in der wir leben immer einen Sinn, wir betrachten sie immer unter irgendeinem “Aspekt”, wie er sagte. Beispielsweise kann eine [15] Verumständung angenommen werden, in der ein Einzelner über verschiedene Gütermengen mit verschiedenen Möglichkeiten sie zu verwenden verfügt. Dieser Einzelne gibt den Gütermengen den Sinn, dass er durch sie bestimmte Bedürfnisse befriedigen kann und betrachtet sie unter dem Aspekt, dass er die gesamte Güte menge oder seinen Teil derselben gegen eine bestimmte Gütermenge eines anderen Einzelnen austauschen kann. Dieser andere Einzelne, der infolge seines vergesellschafteten Bewusstseins auf die gleiche Weise denkt, hat ebenfalls die Verfügung über bestimmte Gütermengen und es kann angenommen werden, dass er infolge bestimmter Sinngebung und eines bestimmten Aspektes eine Tauschmöglichkeit wählt. Die zu einer Bewegung bestimmter Gütermengen zwischen diesen beiden Einzelnen führt. Aus ihrem Wahlhandlungen, d.h. ihrem wirtschaftlichen Handeln hat sich somit ein bestimmtes Mengenverhältnis zwischen getauschten Gütermengen –ein Preis – ergeben. Dieser Preis gilt für beide und ist damit etwas “Überindividuelles”, eine Objektivation geworden. In diesem Fall ist die menschliche Beziehung noch klar. Doch im Kapitalismus sind die Beziehungen zwischen den Menschen oft durch die Objektivationen verdeckt, wie Karl, indem er Marx folgte, ausgeführt hat – ich brauche das hier nicht mehr zu wiederholen. Doch Karl hat nicht nur das Entstehen der Objektivationen auf die oben ausgeführte Art erklärt, er hat sie auch, soweit es sich um wirtschaftliche Objektivationen handelte, wie z.B. Preis, oder Markt mit der Grenznutzentheorie verknüpft. Obgleich er meinte, dass Marx gerade durch die Arbeitswertlehre zur Erklärung der Objektivationen als ein Resultat menschlicher Beziehungen gekommen wäre, hielt er es für besser die Objektivationen auf den Gebiet Wirtschaft auf der subjektiven Theorie zu basieren. Denn nicht nur sagte er: “Die Grenzwertlehre ist ihr (der Arbeitswertlehre) einfach überlegen.” Er war auch der Ansicht, dass die Grenznutzentheorie mehr die Handlungen und damit die Beziehungen zwischen den Menschen in den Vorder grund rücke als die Arbeitswerttheorie und die klassische Ökonomie überhaupt.

Im Jahre 1925/26 hat er diese Gedanken über die Objektivationen in einer Abhandlung niedergelegt, die er die Absicht hatte dem “Kampf” zu schicken. Ob es jemals dazugekommen ist, weiß ich nicht. Aber in dieser Zeit hat er mit mir viel über diese Thema gesprochen, weil ich darüber meine Dissertation gemacht habe. Ihr beide habt mir viel Zeit in den Erörterungen gegeben, die ungefähr ein Jahr gedauert haben. Er hat zu gleicher Zeit, wie mir vorkommt, auch Bock in seiner Dissertation über sozialistische Wirtschatrechnung geholfen. Beide Dissertationen waren irgendwie miteinander in Beziehung, obgleich Bock und ich das nie diskutiert haben. Ich kann Euch beiden heute nur für die große Hilfe, die Ihr mir gegeben habt, herzlich danken. Ich habe 1925 und 1926 viel, zusammengelesen und natürlich ist wenig dabei herausgekommen. Dich dem was über die Grenznutentheorie bemerkt habe, steht nichts drinnen. Das andere aber ist [16] außer einer Besprechung von einigen Autoren über das Thema der Gedankengang Karl’s den ich versucht habe darzustellen. Die Dissertation ging erst zu Max Adler, der außer ordentlicher Professor war, und dann zu Kelsen. Max Adler war froh zu sehen, dass Karl der geistige Vater der Dissertation war. Auch wenn Karl’s Name nicht in der Arbeit gestanden wäre, hätte mir niemand geglaubt, dass das auf meines Mist gewaschen wäre. Kelsen hat mir gegenüber zwar nichts über meine Berufung auf Karl gesagt, aber irgendwie ist bei der Prüfung eine Frage im Zusammenhang mit der Dissertation gekommen, die ich natürlich nicht beantworten konnte. Darauf hat Kelsen gemeint, dass das Thema ohne anderweitige Hilfe – er hat Karl’s Namen auch bei dieser Gelegenheit nicht genannt – für mich zu schwer gewesen wäre, wie man ja sehen können und ist mit nachsichtigem Lächeln auf eine andere Frage übergegangen.

Heute wüsste ich vielleicht besser Beschied, obwohl ich noch immer sehr wenig über solche Gebiete weiß. Allerdings war mir schon damals klar, warum Karl das Problem der Objektivationen so am Herzen lag. Es war für ihn ja ein Aspekt des Problems der individuellen Freiheit. Doch abgesen davon glaube ich dass sich noch eine andere Formulierung des Freiheitsproblems bei ihm finden lässt. Sie hängt möglicher weise mit seiner Ablehnung der Anschauung der Freidenker zusammen, nach der das Geistige mit dem Körperlichen so enge verbunden ist, dass nach dem Tode weder vom Körper noch vom Geist (der Seele) etwas überig bleibe. Mir kommt vor, dass er diese Ansicht als untragbar empfand. Es war vielleicht sein leidenschaftlicher Wunsch und auch sein Überzeugung, dass das Geistige vom Körperlichen wenigsten soweit frei sein solle und müsse, dass es in gewissen Fällen den Tod überleben könnte. Möglicherweise kann ich mich auf folgenden Satz in der “Transformation” stützen: “Man has accepted the reality of death and built his bodily life upon it.” Mir kommt vor, dass er mit dem Wort “Bodily” sagen wollte, dass es noch ein anderes Leben als das körperliche (“Physical” sagt Kari in ihrem Artikel) gab. Und für dieses anders Leben hat er den Tod nicht akzeptiert, wenn ich richtig verstanden habe. Aber auch wenn das was ich hier geschrieben habe ein völliger Unsinn sein mag, eines steht fest weil auch es aus dem schönen Artikel Kari’s entnehmen kann (d.h. habe es mir schon immer gedacht, aber ich bin unsagbar froh, dass Kari mich bestätigt), dass er sich vom Tod nicht in seinem Bestreben schlagen ließ, für den Fortschritt der Menschheit seine ganze Kraft einzusetzen. Ich glaube, Ihr werdet mir Recht geben, wenn ich die folgenden Sätze vom ihn in diesem Sinne interpretierte: “The revealed reality of death is the ultimate source of the excuse for an empty life. The response of creative man is to fill this void through work and the permanence of achievement Hence art and poetry, science and philosophy, the lone sacrifice of the true soul”. Es war in seiner Arbeit für charakteristisch, dass er im Kleinen gern nachgab, aber nicht im Großen, wenn er trotz aller Schwächen etwas für richtig ansah. Ich erinnere mich noch wie er einmal sagte, als er die Einwände gegen sein Theorem. “Kaufkraftwirtschafte-Tauschwirtschaft” – ich hoffe darüber in nächsten Brief zu schrieben – unter die Lupe nahm: “Was ich zugebe sind alles nur Kleinigkeiten. Im Wesentlichen gebe ich nichts zu”.

Seine Weltanschauung war ihm gewiss ein großen Trost in den körperlichen Leiden, die er mitzumachen hatte. Ich kann nur von der Wiener [17] Zeit sprechen. Es war ein leidenschaftlicher Kampf gegen seine Krankheit, die ihn in seiner Arbeitsfähigkeit immer wieder einschränkte. Einmal erzählte er mir, wie er in seiner Jigend sich durch Stundengeben erhalten musste, bis er zusammenbrach. “Ein Onkel” so sagte er “dachte sich damals “Der Junge Mensch soll sich nur plagen”. Plötzliche war es aus. Und man erlangt die frühere Arbeitskraft nie wieder. “Besodens in den ersten zwei oder drei Jahren, in denen ich ihn kannte, machte er Furchtbares mit. Er glaubte damals an Leberschrumpfung zu leiden und der Arzt gab ihm nur noch zwei Jahre. Glücklicherweise war es eine Fehldiagnose. Doch was immer seine Leiden waren, er trug sie mit Würde. Nicht selten waren die Schmerzen wo arg, dass er sich buchstäblich im Bett von einer Seite zur anderen gewälzt hat. Eine ungeheurere Willenskraft war nötig um einem solchen Zustand zum Trotz die Arbeit beim Volkswirt zu tun. Ich bin überzeugt, dass seine menschliche und im Grunde optimistische Weltanschauung viel dazu beigetragen hat, ihm über diese Schreckliche Zeit hinwegzuhelfen.

Leider habe ich damals seine Weltanschauung nur mangelt begriffen. Teils war ich zu einseitig mit Ökonomie beschäftig, teil war ich zu unreif. Wenn er über solche metaphysische Fragen zu mir sprach, war es so wie wenn man Erbsen an die Wand wirft. Doch so eigenartig es klingt, vieles habe ich in mich aufgenommen ohne dessen gewahr zu sein und seine Worte sind mir nach Jahren zurückgekommen. Ich erinnere mich auch, dass er mir erzählte, er habe methodologische Fragen mit seinem Bruder Michael erörtert. Er erwähnte diese Diskussionen mehrere Male um dazulegen, dass die Wirtschaftstheorie als Beschreibung von Wahlhandlungen mit Psychologie nichts zu tun habe, vielmehr sei die Psychologie nur eine der Möglichkeiten den Inhalt der Wahlhandlungen zu beschrieben. Das legte die formale Natur der Ökonomie bloß. Ebenso argumentierte er betreffen die Erkenntnistheorie. Insbesondere habe due vergesellschaftete Natur des Bewusstseins – dass wir so eingerichtet sind, dass wir einander verstehen können und in einer Gesellschaft leben können (ich habe schon vorher versucht das zu erwähnen), das “Transzendental-Soziale” Max Adler’s – mit Psychologie keine Verbindung. Für die Behandlung der Objektivationen, den Sprung vom Individuellen zur Gesellschaft war das richtig. Denn war der Mensch in seinem Bewusstsein schon vergesellschaftet, so war in jedem Einzelnen die Gesellschaft schon a priori gegeben und der “Sprung” vom Einzelnen zur Gesellschaft existierte nicht. Wo man vorgab, dass en existierte, und irgendwelche Lösungen zu seiner Überbrückung vorschlug, behandelte man daher nur ein Scheinproblem, weil in Wirklichkeit keines da war.

[17] Karl macht diese formales Überlungen viel Freude. Zwar fühlte er sich manchmal durch die Vielgestaltigkeit seiner Interessen aufgehalten. “Ich bin viel zu polyphon, deswegen bringe, ich nichts fertig”, sagte er mich einmal. Doch gerade seine Vielseitigkeit war neben Deinen politischen Interessen eine den Ursprachen, die Euer Heim zu einem wissenschaftlichen und politischem “Salon” machten, wo manche Euere Freunde für Ihre spätere Arbeit entscheidend geformt wurden. Ich kenne natürlich nur einige wenige aus Eurem Kreis. Philosophische, Literatur – und Kunstprobleme habte Ihr oft mit “Grossväterchen” Aurel Kolnai diskutierte. Bei Euch fand er eine nicht-materialistische Weltanschauung [18] kombiniert mit einer erkenntnistheoretischen Grundlage, die Kant mit Marx verband. (Karl folgt hier Max Adler, zumindestens kommt es mir so vor). Das war für Kolnai sehr anziehend, dann er hatte damals sehr anziehend, denn er hatte damals sich von einem materialistischen Weltanschauung abgekehrt, (ich bin natürlich nicht ganz sicher) und suchte nach einer philosophischen Basis, auf der er die Sozialwissenschaft mit seiner Vorliebe für die katholische Kirche vereinigen könnte. Dabei war er nach wie vor Sozialist. Ich bin überzeugt, dass Karl ihm in diesem Stadium entscheiden beigestanden ist. “The war against the West” leg Zeugnis davon ab. An nicht wenigen Stellen ist es, als on man Euere eindringlichen Stimmen hören könnte. Ich lernte Interessanten Umständen eine zweites Mal vorgesellt, und das kam so. Ein Onkel, bei dem er wohnte, war Direktor einer Unternehmung, die in den ersten Jahren der Zwischenkriegszeit mit den Bank zu tun hatte, in der mein Vater arbeitete. Den beiden älteren Herren, die die Vorkriegszeit noch nicht vergessen hatten, kamen – und das ist nur natürlich – die jungen Menschen der damaligen Zeit in mancher Hinsicht merkwürdig vor. So sagte eines Tages Kolnai’s Onkel zu meinem Vater: “Stellen Sie sich vor, ich habe einen total verrückten Neffen.” Mein Vater erklärte, dass er mit seinem Sohn nicht viel besser dran sei, worauf Kolnai’s Onkel meinte: “Wir wäre es wenn man die beiden jungen Leute zusammenbrächte? So wanderte ich eines Sontag Vormittag in den siebten Bezirk, wo Kolnai’s Onkel wohnte. Alle Teile wären überrascht, dass wir uns so wieso schon kannten und als wir allein waren, hatten wir Stoff zu großer Heiterkeit. Kolnai’s “war against the West” ist leider von unzerstörbarer Aktualität des Kampfes des Ungeistes und der Unvernunft gegen die Vernunft oder wie immer Du es nennen magst. Das Euch ist eine Grossleistung. Wenn Du noch mit Kolnai in Kontakt bist, bitte lass ihn vielmals von uns grüßen. Ich kann mich noch an manche Gespräche mit ihm erinnern. Ich glaube Karl brachte ihm zum Volkswirt. Doch unter dem Faschismus schied er aus, weil er, wie mir sagte, fand, dass der Volkswirt unter Frau Klausberger zu sehr national geworden sei. Hoffentlich lebt er noch und in Umständen, die an für sich befriedigend erachtet.

Ein anderer, der Euerem “Salon” sehr viel verdankt, war Karl Popper. Er war einer den wenigen, der in das Pädagogische Institut der Stadt Wien aufgenommen wurde, weil er für den Lehreberuf so geeignet erschien. Der Andrang zum Pädagogischen Institut was infolge der chronischen Massenarbeitslosigkeit in Österreich sehr groß. 1926 sagte beispielsweise eine junge Erzieherin zu mir: “So viele wollen Lehrer werden! Da haben sie sich mehr zu helfen gewusst und haben das Pädagogische Institut erfunden.” – ein für die damalige Zeit bezeichnende – der Ausspruch, weil es ja o schwer war einem Posten zu finden. Popper arbeitete auch als Lehrer an philosophischen Fragen weiter. Ich glaube, dass er schon in Wien einen Preis für eine Arbeit erhielt, die er noch unter dem Heimwehrfaschismus verfasste. Das führte ihn glückerweise als lecturer nach Neuseeland. Dort hat er uns geholfen, dass und das ---mit nach Neuseeland gegeben wurde, und so sind wir auch ihm zu großem Dank verpflichtet. Ich glaube er ist jetzt in London Professor. Ich habe seine Büche, die natürlich hier sind, nie gelesen, weil es ja nicht mein Gebiet ist. Doch ich habe das Gefühl, dass zumindestens in seinem Buch über Historismus der Einfluss der Vorgartenstrasse deutlich sichtbar ist. Bitte, richte auch ihn unsere Grüße aus, wenn Du mit ihm in Kontakt bist.

[19] Eines unter den Besuchern des “Salons”, den ich noch gut in Erinnerung habe ist Hans Zeisel. Ich habe noch die zahlreichen Erörter ungen im Ohr, in denen Karl ihn mit der Natur erkenntnistheoretischer Fragen vertraut machen wollte. Was aus ihn und anderen wie z.B. Lazarsfeld, Ludwig Wagner geworden ist, weiß ich nicht. Ich kann nur hoffen, dass sie den Faschismus überlebt haben.

In vielen Diskussion mit diesem gewiss sehr begabten Menschen habe ich nicht teilgenommen, weil ich wie gesagt zu wenig von dem Gegenstand wusste und im allgemeinen zu unreif war. Vielfach hörte ich nur mit halbem Ohr zu oder spielte mit Kari, damals noch “Baby” oder Hasenhund genannt. Als ich sie zu ersten Male sah konnte sie kaum noch gehen und schon gar nicht über den runden braunen Tisch im Mittelzimmer hinübersehen. Ihr eigentlicher Wohnraum war im rechten Zimmer, das gleichfalls zwei Fenster hatte. Die auf die Vorgartenstrasse hinausgingen. Doch spielten wir, wenn im Mittelzimmer gerade kein Platz war, oder wenn sie nicht bei Nene war, anten deren liebender Fürsorge sie aufwuchs. Oft spielte sie aus dem Fußboden bei Euch in Mittelzimmer mit Büchern und Zeitungen, an denen es ja bei Euch kein Mangel war. Oder sie wanderte im Zimmer herum machte das oder jenes. Ihr ließet sie, wie Ihr mit liebvollen Lächeln nanntet, ihr “Unwesen treiben”. Aus den Zeitungen machten wir Tschakos und größere Schiffe Verschriebene Heftseiten und Maschinschreibpapier waren stärker und eigneten sich wunderbar für Schnäbel, die man zuklappen konnte und die von selbst aufsprangen. In der warmen Jahreszeit saßen mir manchmal im Garten. Kari ging mit mir vor den Güter auf und ab. Auf der Straße gab es viel zu bewundern die Menschen, die Autos, die Hunde, Katzen, Tauben und Spatzen. Meinen Namen konnte sie im Anfang nicht gut aussprechen. So kam ich zu dem besonderen Titel Wawi, den ich durch die Jahre beibehielt. Kein Wunder, dass sie in der schönen Atmosphäre Eueres Heimes in Eurem Sinne aufwuchs. Euere Gespräche, die Menschen, die sie am Morgen in die Arbeit gehen sh, die rote Fahne, die jeden ersten Mai vom Fenster im Mittelzimmer ausgesteckt im Winde flatterte, waren gewiss Eindrücke, die auch sie an die Seite der Menschlichkeit zogen. Nene, ihre Großmutter konnte das Alte infolge ihres Gefühles für Gerechtigkeit nicht mehr als gut anerkennen. Dieses Gefühl wurde bei ihrer Tochter zur Revolte der Notwendigkeit. Bei Kari, der Enkelin, war das Neue Selbstverständlichkeit geworden. Als im Marz 1933 das Notverordnungsregime etabliert wurde, verstand sie schon was vorging. Kurz nachdem Karl in November 1933 nach England gegangen war, kam sie mit Nene auf Besuch zu uns. Nene brachte eine Taufgeschenk für unseren Sohn, damals vier Monate als. Es war ein Silberlöffel mit Nene’s Familienwappen, der “Nenelöffel”, wie wir sagen und den wir noch immer haben. Wir sprachen besorgt über die faschistische Gefahr, die die eine Gewitterwolke drohend am Himmel stand. Drei Monate später waren die letzten Reste dem Demokratie verschwunden. Nach dem Februar 1934 wollte Kari nicht mehr in die Schule gehen. Die ihr leibgeworden Lehrer waren nicht mehr da. Sie kam nach England und das war das Beste. Ich habe seither nur Bilder von ihr gesehen. Sie und eines den Kinder sieht Karl sprechend ähnlich. Wir wünschen ihr und ihre Familie alles Gute. Sie wird sich vielleicht noch das was ich über die Vorgartenstraße geschrieben habe, erinnern. Viele herzliche Grüße.

[20] Um wieder auf das “Seminar” zurückzukommen möchte ich sagen dass es trotz der Beschäftigung mit anderen Gegenständen fortgeführt wurde. Doch löste es sich im Frühsommer 1924 allmählich auf. Alsegg und Pikler kamen nur selten, und Bock arbeitete, wie gesagt, zu dieser Zeit an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung und sprach daher viel mit Karl über diese Thema. Ich glaube, dass auch Karl sehr an dem Gegenstand interessiert war, weil er im Zusammenhang mit seiner Arbeit “Sozialistische Rechnungslegung” tiefer in der Theorie der Preisbildung in einer sozialistischen Wirtschaft eindringen wollte. Zumindestens sagt er am Schluss seiner Abhandlung: “Geflissentlich haben wir in unserem Gedankengang die Wirtschaftstheoretischen Probleme umgangen, die in der Form, der sachlichen Voraussetzungen unserer Annahmen an uns herangetreten sind. Nichts wurde bezüglich der Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Voraussetzungen behauptet und bewiesen, um nichts wird somit das Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftslehre selbst durch unsere Ausführungen seiner Lösung näher gebracht. (Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 49. S. 42x)

Das führte ihn zum Problem Preise ohne Voraussetzungen schon bestehender Preise unter einer sozialistischen Wirtschaft abzuleiten.

Second Letter: 14 December 1964

Third Letter: 23 April 1965

Second 'Part' / Fourth Letter: 15 February 1966

Third 'Part'

Fifth Letter : 10 June 1966

Sixth Letter: 25 July 1966


Deutscher Text zum Tippen

Seventh Letter: 12 October 1966

Text Informations

KPA: 29/09

Editor's Notes