Felix Schafer, Erste Erinnerungen (1964-1966): Difference between revisions

From Karl Polanyi
Jump to navigation Jump to search
No edit summary
mNo edit summary
Line 20: Line 20:
Beziehungen im Sozialismus “übersichtlich”, d.h. leicht erkennbar sein. Karl nahm hier die Marxistische Stellung ein.
Beziehungen im Sozialismus “übersichtlich”, d.h. leicht erkennbar sein. Karl nahm hier die Marxistische Stellung ein.


[11] (Nun beginnt das frisch geschriebene):
[11] (Nun beginnt das frisch geschriebene):<br />
Er zeigte mir, wie ich mich zu erinnern glaube, folgende Sätze von Marx: „Stellen wir uns einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmittel arbeiten und ihre individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben…… Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution (Kapital Bd., I. S. 42, 45, Hamburg, 1921). Sind die menschlichen Beziehungen zueinander nicht durchsichtig, ist ein Zustand möglich, wo die Einrichtungen, die auf den menschlichen Beziehungen beruhen, unabhängig von diesen [12] Beziehungen zu sein scheinen, und ein die Menschen beherrschende Eigenleben führen. Die menschlichen Beziehungen sind hier von den sozialen Einrichtungen verdeckt; So sagt Marx: “Betrachten wir den Weg, den das Kapital durchmacht, bevor es in der Form von zinstragendem Kapital erscheint. Im unmittelbaren Produktionsprozess ist die Sache noch sehr einfach. Der Mehrwert hat noch keine besondere Form angenommen, außer dieser des Mehrwertes selbst, die ich nur von dem Werte des Produktes unterscheidet, der ein Äquivalent des in ihm reproduzierten Wertes bildet… Der Zirkulationsprozess verwischt schon… den Zusammenhang. Indem die Masse des Mehrwertes hier zugleich bestimmt ist durch die Zirkulationszeit des Kapitals, scheint ein der Arbeitszeit fremdes Element hineinzukommen. Nehmen wir… das fertige Kapital… als eine bestimmte Wertsumme, die in einem bestimmten Zeitraume… bestimmten Profit (Mehrwert) produziert, so existieren in dieser Gestalt Produktionsprozesse nur noch als Erinnerung und als Moment, die gleichzeitig den Mehrwert erscheint jetzt als Profit… durch die Verwandlung des Profit in durchschnittsprofit wird weiter der Profit des besonderen Kapitals… der Quantität nach verschiedenen vom Mehrwert selbst den das besondere Kapital in seiner besonderen Produktionssphäre erzeugt hat… Kapitalien von gleicher Größe liefern gleiche Profite… In allen diesen Ausdrücken ist der Verhältnis des Profits zur organischen Zusammensetzung des Kapitals völlig ausgelöscht … In denselben Grade wie die Gestalt des Profits seinen inneren Karn versteckt, erhält das Kapital mehr und mehr eine sachliche Gestalt, wird aus einem Verhältnis immer mehr ein Ding, das das gesellschaftliche Verhältnis im Leibe, in sich verschluckt hat, ein mit fiktiven Leben und Selbständigkeit sich zu sich selbst verhaltendes Ding, ein sinnlich-übersinnliches Wesen.” (Theorie über den Mehrwert, Bd. III, 1921, S. 553, 554, 555). Karl hat ungefähr zehn Jahre, nachdem er mir diese Stellen gezeigt hatte, diesen Gedankengang mit Berufung auf Marx: folgendermaßen in der “Essence” ausgedrückt: “In a developed market-society distribution of labour intervenes. Human relationships become indirect, instead of immediate co-operation there is indirect co-operation by the medium of the exchange of commodities. The reality of the relationships persists: the producers continue to produce for one another. But this relationship is now hidden behind the exchange goods: it is impersonal: it expresses itself in the objective guise of the exchange value of commodities: it is objective, thing-like. Commodities, on the other hand, take a semblance of life. They follow their own laws: rush in and out of the market: change places: seem to be masters of their own destiny. We are in a spectral world, but in a world in which SPECTRAS ARE REAL. (in contrast to fascist philosophy). For the pseudo-life of the commodity, the objective character of exchange value are NOT illusion. The same holds true of other “objectifications” like the value of money, Capital, Labour, the State. They are the reality of a condition of affairs in which man has been estranged from himself. Part of his self is embodied in these commodities which now possess a strange self-hood of their own. The same holds true of all social phenomena in Capitalism, whether it be the State, Law, Labour. Capital or Religion. (Essence, p. 375)
Er zeigte mir, wie ich mich zu erinnern glaube, folgende Sätze von Marx: „Stellen wir uns einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmittel arbeiten und ihre individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben…… Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution (Kapital Bd., I. S. 42, 45, Hamburg, 1921). Sind die menschlichen Beziehungen zueinander nicht durchsichtig, ist ein Zustand möglich, wo die Einrichtungen, die auf den menschlichen Beziehungen beruhen, unabhängig von diesen [12] Beziehungen zu sein scheinen, und ein die Menschen beherrschende Eigenleben führen. Die menschlichen Beziehungen sind hier von den sozialen Einrichtungen verdeckt; So sagt Marx: “Betrachten wir den Weg, den das Kapital durchmacht, bevor es in der Form von zinstragendem Kapital erscheint. Im unmittelbaren Produktionsprozess ist die Sache noch sehr einfach. Der Mehrwert hat noch keine besondere Form angenommen, außer dieser des Mehrwertes selbst, die ich nur von dem Werte des Produktes unterscheidet, der ein Äquivalent des in ihm reproduzierten Wertes bildet… Der Zirkulationsprozess verwischt schon… den Zusammenhang. Indem die Masse des Mehrwertes hier zugleich bestimmt ist durch die Zirkulationszeit des Kapitals, scheint ein der Arbeitszeit fremdes Element hineinzukommen. Nehmen wir… das fertige Kapital… als eine bestimmte Wertsumme, die in einem bestimmten Zeitraume… bestimmten Profit (Mehrwert) produziert, so existieren in dieser Gestalt Produktionsprozesse nur noch als Erinnerung und als Moment, die gleichzeitig den Mehrwert erscheint jetzt als Profit… durch die Verwandlung des Profit in durchschnittsprofit wird weiter der Profit des besonderen Kapitals… der Quantität nach verschiedenen vom Mehrwert selbst den das besondere Kapital in seiner besonderen Produktionssphäre erzeugt hat… Kapitalien von gleicher Größe liefern gleiche Profite… In allen diesen Ausdrücken ist der Verhältnis des Profits zur organischen Zusammensetzung des Kapitals völlig ausgelöscht … In denselben Grade wie die Gestalt des Profits seinen inneren Karn versteckt, erhält das Kapital mehr und mehr eine sachliche Gestalt, wird aus einem Verhältnis immer mehr ein Ding, das das gesellschaftliche Verhältnis im Leibe, in sich verschluckt hat, ein mit fiktiven Leben und Selbständigkeit sich zu sich selbst verhaltendes Ding, ein sinnlich-übersinnliches Wesen.” (Theorie über den Mehrwert, Bd. III, 1921, S. 553, 554, 555). Karl hat ungefähr zehn Jahre, nachdem er mir diese Stellen gezeigt hatte, diesen Gedankengang mit Berufung auf Marx: folgendermaßen in der “Essence” ausgedrückt: “In a developed market-society distribution of labour intervenes. Human relationships become indirect, instead of immediate co-operation there is indirect co-operation by the medium of the exchange of commodities. The reality of the relationships persists: the producers continue to produce for one another. But this relationship is now hidden behind the exchange goods: it is impersonal: it expresses itself in the objective guise of the exchange value of commodities: it is objective, thing-like. Commodities, on the other hand, take a semblance of life. They follow their own laws: rush in and out of the market: change places: seem to be masters of their own destiny. We are in a spectral world, but in a world in which SPECTRAS ARE REAL. (in contrast to fascist philosophy). For the pseudo-life of the commodity, the objective character of exchange value are NOT illusion. The same holds true of other “objectifications” like the value of money, Capital, Labour, the State. They are the reality of a condition of affairs in which man has been estranged from himself. Part of his self is embodied in these commodities which now possess a strange self-hood of their own. The same holds true of all social phenomena in Capitalism, whether it be the State, Law, Labour. Capital or Religion. (Essence, p. 375)


Line 53: Line 53:
Das führte ihn zum Problem Preise ohne Voraussetzungen schon bestehender Preise unter einer sozialistischen Wirtschaft abzuleiten.
Das führte ihn zum Problem Preise ohne Voraussetzungen schon bestehender Preise unter einer sozialistischen Wirtschaft abzuleiten.


[[#mw-page-base|↑]
[[#mw-page-base|↑]]
 
=== Second Letter: 14 December 1964 ===
=== Second Letter: 14 December 1964 ===
[21] Er war immer da, [ihr] ich war mir über manches nicht so klar wie jetzt. Ich sehe Euch alle vor mir wie wenn es gestern gewesen wäre. Wir fehlen die Worte das zu sagen, ___ ich sagen nivelte sind so gehe ich lieber wiedu zur Schreibmaschine sind fange dort an, nämlich mit dem bestreben Karl’s seine Abhandlung über die sozialistische Rechnungslegung durch  Eindringen in sozialistische Wirtschaftstheorie zu vervollständigen, [22] wenn das du  richtige Ausdruck ist. So beginne ich nicht aber Wiederhabhung der Schlussalätze in der sozialistischen Rechnungslegung. Er sagt dort, Geflissentlich haben wir in unserem Gedankengang die wirtschaftstheoretischen Probleme umgangen, die in der Form der sachlichen Voraussetzungen unserer Annahmen an uns herangetreten sind. Nichts wurde bezüglich der Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Voraussetzungen bewiesen. Um nichts wird somit das Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftslehre selbst durch unsere Ausführungen seiner Lösung näher gebracht.” (Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 49, S.420)
[21] Er war immer da, [ihr] ich war mir über manches nicht so klar wie jetzt. Ich sehe Euch alle vor mir wie wenn es gestern gewesen wäre. Wir fehlen die Worte das zu sagen, ___ ich sagen nivelte sind so gehe ich lieber wiedu zur Schreibmaschine sind fange dort an, nämlich mit dem bestreben Karl’s seine Abhandlung über die sozialistische Rechnungslegung durch  Eindringen in sozialistische Wirtschaftstheorie zu vervollständigen, [22] wenn das du  richtige Ausdruck ist. So beginne ich nicht aber Wiederhabhung der Schlussalätze in der sozialistischen Rechnungslegung. Er sagt dort, Geflissentlich haben wir in unserem Gedankengang die wirtschaftstheoretischen Probleme umgangen, die in der Form der sachlichen Voraussetzungen unserer Annahmen an uns herangetreten sind. Nichts wurde bezüglich der Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Voraussetzungen bewiesen. Um nichts wird somit das Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftslehre selbst durch unsere Ausführungen seiner Lösung näher gebracht.” (Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 49, S.420)
Als Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftstheorie ah er damals –zumindest kommt es mir so vor – die Frage an, unter sozialistischen Voraussetzungen eine Güterverteilung durch einen Preisbildungsprozess abzuleiten, Er betonte dabei, dass die Preise an sich nebensächlich wären. Er strebt nach einer Verteilung der Güter, die dem Rationalitätsprinzip. K in Sinne, wie es Mises verlangte, Genüge leisten würde. „Die Hauptasche ist die Verteilung der Güter. Die Preise bilden sich schon dabei“ meinte er. Er wollte nun eine Verteilung der Güter unter einem Preissystem unter dem Maximum der erforderlichen Voraussetzungen ableiten. Um diese Zeit las er nicht nur die österreichischen Grenznutzler (vor allem Böhm-Bawerk und Wieser, aber auch Schumpeter), sondern insbesondere J.B. Clark. Möglicherweise hatte Bock seine Aufmerksamkeit auf Clark gelenkt. Bock arbeitete damals, wie erwähnt, an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung und vielleicht hatte er damals Clark mit Karl diskutiert. Irgendwie glaubte er, dass Clark auch für die Prüfung wichtig wäre. Und so las er Clark zusammen mit einem Studienkollegen (ich glaube Blumenfeld war sein Name). Beide konnten, wie ich mich zu erinnern glaube, nur wenig englisch, Bock nahm vielleicht auch den Rat Strigl’s an, der in seinem Seminar einmal sagte: “Lesen Sie Clark und lernen Sie englisch dabei”. Jedenfalls war, wie ich weiß das Lesen Clarks für beide – Bock und Blumenfeld – mit gewissen Sprachschwierigkeiten verbunden. Nichts war nun natürlicher als dass sich Bock an Karl wendete, der doch perfekt Englisch kannte. Karl wurde wahrscheinlich durch das Bild der Sozialwirtschaft bei Clark in seinem Denken über sozialistische Wirtschaft unter einem Preissystem angeregt. Bei Clark ist nämlich die Wirtschaft gleichsam in zwei Teile gespalten. Auf der einen Seite stehen die Konsumenten mit ihrem Geld und auf der anderen Seite die Arbeiter als Besitzer und Verkäufer ihrer Arbeitskraft sowie die Besitzer der Kapitalgüter. (Letzteres ist nicht die genaue Formulierung, aber ich glaube es tut hier nichts zur Sache). Du siehst vielleicht schon hier die Aelichkeit mit seiner Konstruktion der Kaufkraftwirtschaft. Doch darüber später. Hier möchte ich nur sagen, dass Karl’s Interesse vor allem der Preisbildung bei Clark galt. Clark’s Lösung hat bekanntlich zwei Alternativen. Einmal leitet Clark die Arbeitslöhne vom Lohn des Grenzarbeiters ab. Der Lohn des Grenzarbeiters ist die Minderung, die das Nationaleinkommen erleidet, wenn eine Arbeiter wegfällt. Der Lohn des Grenzarbeiters ist der Lohn für jeden Arbeiter. Daher ist der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen gefunden, wenn der Lohn des Grenzarbeiters mit der Anzahl der Arbeiter multipliziert wird. Ist der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen bestimmt, so kann dieser Anteil vom Nationaleinkommen abgezogen werden. Das Resultat ist der Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen. Die andere Alternative ist, das Einkommen des Kapitales dadurch abzuleiten, dass man ein kleines Teilchen des vorhandenen Vorrates an Kapitalgütern wegfallen lässt. Die Minderung des Nationaleinkommens, [23] die dadurch verursacht wird, bestimmt den Preis jenes Kapitalteilchens, das Grenzkapitalteilchens. Multipliziert man es mit den anderen Kapitalteilchen, aus denen der Vorrat des Kapitalgüter besteht dann erhält man den Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen. Der Anteil der Löhne wird durch Abzug des Kapitalanteils vom Nationaleinkommen gefunden. (Ich bin mir bewusst, dass diese Theorie sehr schlecht dargestellt ist, aber ich glaube, dass es für hier genügt). Der bekannte Einwand gegen Clark ist, dass er nicht bewiesen habe, dass man zum gleichen Anteil der Löhne und des Kapitals am Nationaleinkommen gelange, ob man nun die Löhne oder den Preis er Kapitalgüter direkt durch Wegfall eines Arbeiters bezw. eines Kapitalteilchens bestimme, oder ob man diese Anteile indirekt durch Abziehen vom Nationaleinkommen bestimme. Karl hat dieser Einwand eigentlich nicht oder nur wenig interessiert, weil er keine Verbindung mit einer Preisbildung unter Sozialismus sah. Auch die Folgerung Clark’s, dass der Kapitalismus gerecht sei, weil jeder in seiner Wirtschaft das erhalte, was sein Produkt „wert“ sei, war für ihn unwichtig. Er lohnte sie einfach ab. “Es ist genial” rief er aus “wie er aus der Stellung im Produktionsprozess die Einkommen ableitet. Aber das zu folgern, dass das auch gerecht sei, ist logisches Missverständnis.” Auch die Debatte zwischen Clark und den Österreichern (vor allem Böhm-Bawerk), ob Clark Geldkapital oder “Naturalkapital meine” berührte ihn nicht sehr stark. Ihn stärte anderes.
Als Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftstheorie ah er damals –zumindest kommt es mir so vor – die Frage an, unter sozialistischen Voraussetzungen eine Güterverteilung durch einen Preisbildungsprozess abzuleiten, Er betonte dabei, dass die Preise an sich nebensächlich wären. Er strebt nach einer Verteilung der Güter, die dem Rationalitätsprinzip. K in Sinne, wie es Mises verlangte, Genüge leisten würde. „Die Hauptasche ist die Verteilung der Güter. Die Preise bilden sich schon dabei“ meinte er. Er wollte nun eine Verteilung der Güter unter einem Preissystem unter dem Maximum der erforderlichen Voraussetzungen ableiten. Um diese Zeit las er nicht nur die österreichischen Grenznutzler (vor allem Böhm-Bawerk und Wieser, aber auch Schumpeter), sondern insbesondere J.B. Clark. Möglicherweise hatte Bock seine Aufmerksamkeit auf Clark gelenkt. Bock arbeitete damals, wie erwähnt, an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung und vielleicht hatte er damals Clark mit Karl diskutiert. Irgendwie glaubte er, dass Clark auch für die Prüfung wichtig wäre. Und so las er Clark zusammen mit einem Studienkollegen (ich glaube Blumenfeld war sein Name). Beide konnten, wie ich mich zu erinnern glaube, nur wenig englisch, Bock nahm vielleicht auch den Rat Strigl’s an, der in seinem Seminar einmal sagte: “Lesen Sie Clark und lernen Sie englisch dabei”. Jedenfalls war, wie ich weiß das Lesen Clarks für beide – Bock und Blumenfeld – mit gewissen Sprachschwierigkeiten verbunden. Nichts war nun natürlicher als dass sich Bock an Karl wendete, der doch perfekt Englisch kannte. Karl wurde wahrscheinlich durch das Bild der Sozialwirtschaft bei Clark in seinem Denken über sozialistische Wirtschaft unter einem Preissystem angeregt. Bei Clark ist nämlich die Wirtschaft gleichsam in zwei Teile gespalten. Auf der einen Seite stehen die Konsumenten mit ihrem Geld und auf der anderen Seite die Arbeiter als Besitzer und Verkäufer ihrer Arbeitskraft sowie die Besitzer der Kapitalgüter. (Letzteres ist nicht die genaue Formulierung, aber ich glaube es tut hier nichts zur Sache). Du siehst vielleicht schon hier die Aelichkeit mit seiner Konstruktion der Kaufkraftwirtschaft. Doch darüber später. Hier möchte ich nur sagen, dass Karl’s Interesse vor allem der Preisbildung bei Clark galt. Clark’s Lösung hat bekanntlich zwei Alternativen. Einmal leitet Clark die Arbeitslöhne vom Lohn des Grenzarbeiters ab. Der Lohn des Grenzarbeiters ist die Minderung, die das Nationaleinkommen erleidet, wenn eine Arbeiter wegfällt. Der Lohn des Grenzarbeiters ist der Lohn für jeden Arbeiter. Daher ist der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen gefunden, wenn der Lohn des Grenzarbeiters mit der Anzahl der Arbeiter multipliziert wird. Ist der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen bestimmt, so kann dieser Anteil vom Nationaleinkommen abgezogen werden. Das Resultat ist der Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen. Die andere Alternative ist, das Einkommen des Kapitales dadurch abzuleiten, dass man ein kleines Teilchen des vorhandenen Vorrates an Kapitalgütern wegfallen lässt. Die Minderung des Nationaleinkommens, [23] die dadurch verursacht wird, bestimmt den Preis jenes Kapitalteilchens, das Grenzkapitalteilchens. Multipliziert man es mit den anderen Kapitalteilchen, aus denen der Vorrat des Kapitalgüter besteht dann erhält man den Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen. Der Anteil der Löhne wird durch Abzug des Kapitalanteils vom Nationaleinkommen gefunden. (Ich bin mir bewusst, dass diese Theorie sehr schlecht dargestellt ist, aber ich glaube, dass es für hier genügt). Der bekannte Einwand gegen Clark ist, dass er nicht bewiesen habe, dass man zum gleichen Anteil der Löhne und des Kapitals am Nationaleinkommen gelange, ob man nun die Löhne oder den Preis er Kapitalgüter direkt durch Wegfall eines Arbeiters bezw. eines Kapitalteilchens bestimme, oder ob man diese Anteile indirekt durch Abziehen vom Nationaleinkommen bestimme. Karl hat dieser Einwand eigentlich nicht oder nur wenig interessiert, weil er keine Verbindung mit einer Preisbildung unter Sozialismus sah. Auch die Folgerung Clark’s, dass der Kapitalismus gerecht sei, weil jeder in seiner Wirtschaft das erhalte, was sein Produkt „wert“ sei, war für ihn unwichtig. Er lohnte sie einfach ab. “Es ist genial” rief er aus “wie er aus der Stellung im Produktionsprozess die Einkommen ableitet. Aber das zu folgern, dass das auch gerecht sei, ist logisches Missverständnis.” Auch die Debatte zwischen Clark und den Österreichern (vor allem Böhm-Bawerk), ob Clark Geldkapital oder “Naturalkapital meine” berührte ihn nicht sehr stark. Ihn stärte anderes.


Line 118: Line 120:
Doch etwas anderes fesselte damals bei der Erörterung der Falle des Problems der zwei Vorräte seine Aufmerksamkeit. Ihm fiel auf, dass das was er “Kaufkraft” nannte dem “stoffwertlosen” Geld Knapps sehr ähnlich sah, und dass “Kaufkraft”. Das setzte er in Gegensatz zum “Warengeld”, das nur Geld war, weil es durch die Wahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte zum Tauschmittel machten. Damit war er vom Problem der zwei Vorräte zu einem Begriffspaar gekommen, das sich bald zum Paar zweier Typen von Sozialwirtschaft bei ihm entwickelte. Er nannte diese sozialwirtschaftlichen Modelle “Tauschwirtschaft” und “Kaufkraftwirtschaft”. Dieses Begriffspaar lässt sich in Arbeiten deutlich verfolgen. Doch davon möchte ich hier nicht mehr sprechen, ich hoffe mit seinem “Tauschwirtschaft-Kaufkraftwirtschaft” Theorem, wie er nannte, die zweite Hälfte diese Abschnittes zu geginnen, Geld war, das unbleitbar als Vorrat gesetzt war und daher nicht durch die Wahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte geschaffen war, sondern im Gegenteil schon eine Voraussetzung für die Denkbarkeit der Wahlhandlungen war. (Die Lage bezüglich der Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Güterarten ist ähnlich, wie früher erwähnt.)
Doch etwas anderes fesselte damals bei der Erörterung der Falle des Problems der zwei Vorräte seine Aufmerksamkeit. Ihm fiel auf, dass das was er “Kaufkraft” nannte dem “stoffwertlosen” Geld Knapps sehr ähnlich sah, und dass “Kaufkraft”. Das setzte er in Gegensatz zum “Warengeld”, das nur Geld war, weil es durch die Wahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte zum Tauschmittel machten. Damit war er vom Problem der zwei Vorräte zu einem Begriffspaar gekommen, das sich bald zum Paar zweier Typen von Sozialwirtschaft bei ihm entwickelte. Er nannte diese sozialwirtschaftlichen Modelle “Tauschwirtschaft” und “Kaufkraftwirtschaft”. Dieses Begriffspaar lässt sich in Arbeiten deutlich verfolgen. Doch davon möchte ich hier nicht mehr sprechen, ich hoffe mit seinem “Tauschwirtschaft-Kaufkraftwirtschaft” Theorem, wie er nannte, die zweite Hälfte diese Abschnittes zu geginnen, Geld war, das unbleitbar als Vorrat gesetzt war und daher nicht durch die Wahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte geschaffen war, sondern im Gegenteil schon eine Voraussetzung für die Denkbarkeit der Wahlhandlungen war. (Die Lage bezüglich der Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Güterarten ist ähnlich, wie früher erwähnt.)


[[#mw-page-base|↑]
[[#mw-page-base|↑]]


=== Third Letter: 23 April 1965 ===
=== Third Letter: 23 April 1965 ===


[[#mw-page-base|↑]
[[#mw-page-base|↑]]


== Second 'Part' / Fourth Letter: 15 February 1966 ==
== Second 'Part' / Fourth Letter: 15 February 1966 ==


[[#mw-page-base|↑]
[[#mw-page-base|↑]]


== Third 'Part' ==
== Third 'Part' ==
Line 132: Line 134:
=== Fifth Letter : 10 June 1966 ===
=== Fifth Letter : 10 June 1966 ===


[[#mw-page-base|↑]
[[#mw-page-base|↑]]


=== Sixth Letter: 25 July 1966 ===
=== Sixth Letter: 25 July 1966 ===
{{German to type}}
{{German to type}}


[[#mw-page-base|↑]
[[#mw-page-base|↑]]


=== Seventh Letter: 12 October 1966 ===
=== Seventh Letter: 12 October 1966 ===


[[#mw-page-base|↑]
[[#mw-page-base|↑]]


== Text Informations ==  
== Text Informations ==  

Revision as of 12:49, 11 August 2017

[I already typed 85 pages that I will publish soon, but an help to finish the text is welcomed! -- Santiago Pinault (talk) 16:08, 28 April 2017 (CEST)]

First 'Part'

First Letter: ??/??/1964


Deutscher Text zum Nachlesen

[2] Du wirst verstehen, dass was ich sage von persönlichen Erinnerungen an Euch alle durchwoben ist. Ihr beide habt einen entscheidenden Einfluss auf meine Entwicklung gehabt; Dass Karl mich einmal sein “silent model through life” genannt hat gehört zu den Großen Werten meines Lebens. Denn es war ja umgekehrt. Ihr wart und seid für mich ‚guiding model’ und da kann man persönliches nicht ausschalten. Dazu kommt, dass die Auswahl der Fragen mit denen man sich beschäftigt, nicht nur von äußeren Umständen sondern auch von der Persönlichkeit des Auswählenden abhängt. So ist ein volles Verstehen seiner Problemstellungen ohne Begreifen seiner Gefühls und Gedankenwelt unmöglich.

Du weißt vielleicht noch, dass wir uns im Jänner 1924 im Lokal der sozialistischen Studentvereinigung in der D’Orsaygasse also vor vierzig Jahren, kennen lernten. Ich war damals noch nicht 22 und unreif. Ich hatte unklare sozialistische Vorstellungen und sah, wie so viele andere, die demokratischen Einrichtungen, die Partei, mein gewohntes Leben, als unumstößlich an. Ich war zu dieser Zeit oft in der D’Orsaygasse. Das Studentenheim war ganz nahe der Wohnung meiner Eltern und abgesehen von meinem Interesse an sozialistischen Fragen hatte ich damals mehr Zeit. Denn ich war streikender Bankbeamter. Seipel versuchte zwischen uns und dem Bankverband zu vermitteln. Das war wahrscheinlich nicht eben sehr vorteilhaft für uns. Die Staatsgewalt war schon deutlich gegen die Partei gewendet; Die Polizei ging gegen eine Beamtendemonstration vor einer Bank in der Strauchgasse mit ungewohnter Schärfe vor. Doch war es damals noch so, dass Verhaftete sofort entlassen wurde, wenn ein genügend hoher Funktionär der Partei oder Gewerkschaften intervenierte. Während des Streiks las ich in der D’Orsaygrasse die Ankündigung von einem Seminar über Gildensozialismus. Das für das Seminar bestimmte Zimmer war im ersten Stock des schon recht baufälligen Gebäudes. Es lag über dem grossen Sall in dem Deutsch, mehr als ein Jahr später, einen Vortrag hielt (Mai 1925) und sagte: „Zum Bürgerkrieg sind wir zu schwach“. (Neun Jahre vor 1934). Nun damals stand der Faschismus noch nicht in so greifbarer Nähe als einige Jahr später. Ich war, wie manche andere sozialistische Studenten, durch Mises an der Universität zum Denken über Preisbildung unter Sozialismus angeregt worden. (Nan nannte das, wie du ja sich noch erinnern wirst, in den Zwanzigerjahren das Problem der Sozialistischem Wirtschaftsrechnung) Mises prophezeite den Untergang einer sozialistischen Wirtschaft mangels von Marktpreisen. Wie Du dir vorstellen kannst, wussten wir auf seine Argumente wenig Antwort, weil wir von der Sache [3] nichts verstanden, und daher die Gegenargumente nicht kannten. Auch war die Sowjetunion damals in einem Zustand furchtbarster Armut, was angesichts der Erschütterungen durch Revolution, Krieg und Bürgerkrieg kein Wunder war. Doch schien dieser Zustand Mises a priori Recht zu geben. Heute nach vierzig Jahren seine Stellung sehr schwach. Doch damals – seine „Gemeinwirtschaft“ war gerade erschienen – kam sie vielen von uns beunruhigend stark vor. So wie andere suchte auch ich nach einem sozialistischen Preisbildungsprozess und so ging ich mich Großem Interesse zum „Seminar“. Du warst am ersten Abend auch da und bist mir unglaublich jung vorgekommen. Ich hielt Dich für noch nicht zwanzig. Erst waren wir zehn oder mehr, sind aber bald auf vier zusammengeschmolzen. (Alsegg, Bock, Kien – der Name ist vielleicht falsch geschrieben – und ich). Bock arbeitete damals an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung. Karl gab ihm viel von seinem Wissen und von seiner Zeit, wofür Bock sehr dankbar war. In der Studentenvereinigung stand Bock für das was damals „Opposition“ nannte d.h. für ein „Höheres Niveau“ wie er es ausdrückte. Daneben gab seine Eleganz in der D’Orsaygasse manchmal zu Bemerkungen Anlass. „Ich weiß man sagt, dass ich der Eleganteste in der D’Orsaygasse bin und wirft mir das war“ meinte er einmal „Aber sie wissen, dass das nur daher kommt, weil ich auf meine Anzüge so acht gebe. In Wirklichkeit bin ich ein armer Bursch. „In der Tat als ich einmal an Südbahnhof anlässlich eines Ausfluges auf die Rax, den er führte, auf ihn wartete, konnte ich ihn im ersten Augenblick nicht erkennen, weil er in dem abgetragenen Touristenanzug ganz anders als sonst aussah. Im überigen hat er im spanischen Bürgerkrieg und auch bei anderen Gelegenheiten gezeigt, dass er mehr konnte, als sich elegant anzuziehen. Solltest Du noch in Kontakt mit ihm sein, bitte lass ihn herzlich von uns Grüßen. Er wird sich vielleicht noch an uns erinnern.

In „Seminar“ sucht Karl mit unendlich Geduld klar zu mach, dass die Probleme für Sozialisten nicht auch auf der gegenwärtigen Klassengesellschaft entstünden. Der Klassenkampf verberge nur zeitweise das Vorhandesein eines anderen Problems, nämlich dass viele von uns Konsumenten und Produzenten zugleich seien und das jeder in verschiedenem Ausmaße. In einer sozialistischen Wirtschaft müsste auf eine demokratische Weise beschlossen werden, was wir als Produzenten zu leisten hätten und als Konsumenten verbrauchen durften. Als sozialistische Wirtschaft definierte er in seiner Arbeit „Sozialistische [4] Rechnungslegung”, die damals eben in Archiv für Sozialwissenschaft herauskam, “eine Wirtschaft, die sich die Verwirklichung von zweierlei Forderungen zum Ziel setzt: l. bezüglich der Produktion, der Forderung nach maximalerer Produktivität; 2. Bezüglich der Verteilung, der Forderungen des sozialen Rechtes… Diese formale Unabhängigkeit des Systems der Produktion und des Systems der Verteilung von einander, gilt für uns als das dritte Merkmal sozialistischer Wirtschaft.” (S. 385). Die beiden „Hauptverbände“ in einer gildensozialistischen Wirtschaft (Vertretung der Produzenten) und die „Kommune” und Konsumgenossenschaften (Vertretung der Konsumenten) stellen vom Gesichtspunkt der Wirtschaftsrechnung (er nannte das „Rechnungslegung“ in der Arbeit) zwei Verscheidens „Kostengruppen“ vor, nämlich die der Natur zuzuschreiben Kosten (“Aufwand von Arbeitsmühe und Bodennutzungen”) und die Kosten die „dem bewussten Wirken der Gesellschaft„, dem Eingreifen in die Wirtschaft durch “das soziale Recht” zuzuschreiben sind. Die Rechnungslegung besteht in einer gesonderten Aufstellung jeder der beiden Kostengruppen. Dann weiß man wieviel die Produktion der Güter an sich kostet und “welches Mehropfer an Arbeitsmühe und Bodengütern die “Einwirkung des Sozialen Rechtes verursacht hat” (p. 395) Vorausgesetzt ist allerdings, dass sich die beiden Hauptverbände über die zu produzierenden Gütermengen und ihre Verteilung einigen. Das muss möglich sein, argumentierte er, denn die gleichen Menschen sind einmal als Konsumenten in der “Kommune” und einmal als Produzenten im “Kongress der Produktionsverbände” vertreten. Und “Vertretungen ein und derselben Menschen können nie einen Unlösbaren Widerspruch miteinander geraten” (“Die funktionelle Theorie der Gesellschaft”, Archiv. Bd 52, S. 221).

Das war nur das Skelett eines der Gedankengänge, die im „Seminar“ erörtert wurden. Um ihn herum rankten sich verschiedene andere Fragen. Ihre ganze Tragweite wurde mir erst in späteren Jahren klar. Ich glaube, dass es mit den anderen nicht viel besser war. Junge Menschen sind vielfach zu unreif um solche Gedankengänge in kurzer Zeit voll zu verstehen. “Man muss schnell reifen und ich bin langsam gereift” sagte er mir einmal. Wenn er das von sich selbst gesagt hat, wie müssen erst wir und vor allem ich selbst ausgesehen haben. So ist es nicht überraschend, dass sich das „Seminar“ nach und nach verkleinerte. Das brachte es wahrscheinlich mit sich, dass Ihr „Seminar“ nach einigen Wochen in Euere Wohnung verlegtet. Das ersparte Euch auch das Ausgehen am Abend. So kam ich in Euere Wohnung und mit Euerer Familie in Berührung. Ihr wart damals schon in der Vorgartenstrasse. Kari, die zur Welt kam, als Ihr noch in der Westbahnstrasse gewohnt habt, machte ihre Anfangsversuche im Gehen, als ich sie zum ersten Mal sah. Ich war noch nie vorher in die Vorgarternstrasse gekommen. Die Gegend war mir fremd. Es dauerte einige Zeit bis ich mich zurecht fand, aber schließlich stand ich von Euerer Türe im zweiten Stock. Eine Frau mit freundlich lachenden Gesicht öffnete. Es war Ergi, die treue Hausgehilfin, ein Pfeiler des Haushalts. Was das bedeutet wurde mir erst in vollem Umfang [5] in Neuseeland klar. Hier gibt es keine Hausgehilfinnen Bürgerliche Versuche Frauen zu diesem Zweck von Asien hereinzubringen wurden von der Labour Party immer bekämpft. Man findet es hier irgendwie für unrichtig Haushilfe zu haben und sieht es lieber Haushaltsmaschinen die Hausarbeit machen zu lassen. Und das ist auch richtig. Kommt dann ein Alter in den man auch mit Haushaltmaschinen der Arbeit nicht mehr nachkommen kann, dann muss sie am Rahmen der Social Security von öffentlichen Angestellten gemacht werden. Gerade gestern sind solche Gedanken im Parlament von der Labour Opposition ausgesprochen worden. Allerdings vor vierzig Jahren hat man Hauhaltmaschinen schwerlich gehabt, und ohne solche ist eine treue Ergi unentbehrlich. Ich muss auch ihre Kenntnis des Deutschen nach so vielen Jahren um so mehr bewundern, wo ich in Neuseeland die Schwierigkeiten einer Fremdsprache zu mindestens in den ersten Jahren, gründlich kennen gelernt habe. Sie hatte wahrscheinlich keine systematische Schulung in Deutscher Sprache, doch sprach sie ehr gut, wenn auch mit unverkennbarem Akzent. Wenn Du noch mit ihr in Kontakt bist, bitte richte ihr aus, dass ich sie vielmals grüßen lasse.

Nun damals an jenem ersten Abend führte sie mich in das Mittelzimmer mit den zwei Fenstern, die auf den Reservegarten der Gemeinde hinausgingen. Das war allerdings nicht zu sehen, es ja schon finster war. Das „Seminar“ war schon in volles Schwung. Karl diskutierte gerade die geldlose Verwaltungswirtschaft Neurath’s. In diesem „Model“ (so würde man heute sagen) waren Konsumenten und Produzenten nicht durch zwei getrenzte Wirtschaftsverbände vertreten. Über Produktion und Konsumption wurde hier in einem zentralen Wirtschaftsrat entschieden. In einer solchen Wirtschaft ist eine Rechnungslegung wie er sie in der gildensozialistischen Wirtschaft zeichnete, unmöglich. Ich glaube es ist am besten, wenn ich das Argument in seinen Worten gebe. Wie er sie in seinen Abhandlung “Sozialistische Rechnungslegung” gebraucht hat. Er sagte hier, dass man in einer Verwaltungswirtschaft die “der Natur zuzuschreibenden Kosten“ von den „Kosten, die die Einwirkung des sozialen Rechtes verursacht“ habe nicht auseinander halten könne. „Wo der Wirtschaftswille als das Ergebnis der gegenseitigen Abwägung verschiedener Motive entspringt, ist eine getrennte Zurechnung der durch diese verschiedene Motive verursachten Kosten Elemente zu diesen Motiven nur dann durchzuführen, wenn diese Motive durch verschiedene Subjekte vertreten werden. Die Hauptursache dieser grundlegenden Einschränkung ist die, dass sich zwei entgegenstehende Motive in einem und demselben Individuum notwendig gegenseitig beeinflussen, indem sie einander durchdringen und dadurch umwandeln. Ist aber erst aus ihnen ein einheitlicher Wille entsprungen so sind sie in diesem Willen überhaupt aufgehoben. Der Wille, die der ihre Resultante ist, tritt an die Stelle der Motive, die seine Komponenten waren. Nur mit Hilfe des Gedächtnisses kann es uns nunmehr gelingem, einer mehr oder minder blassen Schatten der ursprünglichen Motive uns zu vergege[n]wärtigen. Von der genauen und ziffernmäßig ausdrückbaren Erfassung des Intensitätsverhältnisses kann eine Rede mehr sein. „(S. 416/417……)“ Die Scheidung der natürlichen von den sozialen Kosten ist somit nur bei einer Organisation der Wirtschaft möglich, die den Willen zur technischen Produktivität sowie den Willen nach sozialer Gerechtigkeit und der höheren Gemeinnützigkeit der Produktionsrichtung durch zwei verschiedene Subjekte vertreten lässt.“ (S. 416/417)

[6] Das war im wesentlichen das Argument, das an jenem Abend zur Erörterung stand. Allerdings Weiß ich nicht, ob ich damals genügend folgen konnte. Abgesehen von anderen Gründen wurde meine Aufmerksamkeit sofort von den Bilden an den Wänden abgelenkt. Sie zeigten Männer in glänzenden Uniformen, die zur sozialistischen Gedankenwelt welche diskutierte wurde, schwerlich passten. Es waren Deine Verwandten und die Bilder gehörten Nene. Sie erzählte mir später, als sie mich schon einige Zeit gekannt hatte, dass es Mitglieder einer der ältesten ungarischen Adelsfamilie waren und die Familie wäre so alt dass sie keinen Titel hätte, weil es damals noch keine Titel gab, als sie ihr Schloss, (ich glaube der Name war Bekassy) bauten. Sie selbst war Adel und Vornehmheit in Person. Hinter ihrer anfänglichen Zurückhaltung stand tiefe Herzensgüte und Verzicht auf Eigenleben. Ihr kleines Zimmer war ein Museum von Photographien ungarischer Magnaten, kunstvolle Samowars und anderer kleiner Kunstgegestände, denen man ansah, dass sie aus einer entschwundenen oder zumindestens entschwindenden Welt stammten. Dieses Zimmer war das Sanktuarium wohin sie sich zurückzog, wenn ihr die Wirklichkeit zu schwer zu ertragen schien (Und vorausgesetzt sie hatte die Zeit dazu.) „Meine Waffe ist die Höflichkeit“ pflegte sie zu sagen. Manches erzählte sie mir. Von Karl sagte sie, dass er Dich vergöttene und überhaupt bewunderte sie ihn. Sie wusste dass die alte Welt und mit ihr der Glanz der Magnaten (der tausendjährigen Klassen, wie sie sich nicht nannten) zum Untergang verurteilt war. Die Frau des Ministerpräsidenten (das war zu dieser Zeit Bebhlen) hat gesagt, das es nicht mehr nötig ist die Fenster in ihrem Amtswohnung (sie schlossen nicht gut) zu reparieren. Sie glaubt, dass sie sowieso bald ausziehen werden. zählte sie mir einmal. „Und so viele sagen: Es kommt der Bolschewismus“ (Das geschah auch zwanzig Jahre später). Einmal beschrieb sie den Glanz im Schloss mit der vielen Dienerschaft usw. „Aber alles gehört schon der Bank“ fügte sie hinzu. Ihre starke Anhänglichkeit an ihre Familie nachte er für sie schwierig das Verschwinden dieser Zeit nicht zu bedauern. Doch ihr Gefühl für Gerechtigkeit brachte sie an die Seite des Fortschrittes. Nach 1934 hat sie geholfen, soviel sie konnte, Die erste Verordnung des neuen Faschistenregimes am 12. Februar bei der Gemeinde Wien war die Aufhebung der Dienstpragmatik, so dass jeder entlassen werden konnte. Nene ging für mich zum damaligen Vizebürgermeister Winter um das zu verhindern. Er sagte ihr natürlich, dass niemand abgebaut werde, (Ganz genau stimmte das zwar nicht, doch das tut nichts zur Sache). Aber sie werde ich vergessen, welche Mühe sich die alte Dame gab um überhaupt vorzukommen. Im Rathaus war es nicht möglich. So wartete sie eines Sonntags vor der Tür seiner Privatwohnung auf ihn, bis er mit seiner Familie von einem Ausflug zurückkehrte. Und da musste er sie anhören. Oder sie ging zur Polizei für Trude ---- und sagte dem Beamten, er müsse ihr einige Minuten geben, weil es Christpflicht sei für verfolgte Mitmenschen einzustehen. Selbstverständlich wäre das so, stimmte der Beamte zu. Ob ihre Bemühungen in diesem Fall genützt haben, ist allerdings zweifelhaft. 1938 sprach ich zum letzten Mal mit ihr. Es war wegen unserer Auswanderung und ich hat sie an Euch zu schreiben. Sie gab ihrem über die Nazi beredten Ausdruck. „Es ist eine [7] Schande wie man die Juden behandelt“ gab sie ihrem Unwillen Ausdruck, was gewiss sehr mutig war, da doch die Wände Gestapohren hatten. Kurz nach dem Beginn des Naziregimes wurde ich verhaftet und als ich 1939 entlassen wurde, war sie nicht mehr in Wien.

Doch um zur Verwaltungswirtschaft zurückzukehren, ich hätte zu dieser Zeit auch ohne die Ablenkung durch die Bilder an den Wänden kaum viel von der Debatte begriffen, Erst nach Jahren dämmerte mir die Volle Bedeutung der Ablehnung der Verwaltungswirtschaft auf. Sie erschöpfte sich gewiss nicht in dem Hinweis, dass es in der Verwaltungswirtschaft unmöglich sie die der Natur zuzuschreibenden Kosten von den durch das soziale Recht verursachten Kosten getrennt zu erfassen. Die Wurzel seiner Ablehnung lag wahrscheinlich außerhalb der Nationalökonomie. Allerdings bewegte sich der nächste Schritt in der Ausdehnung des Argumentes gegen die Verwaltungswirtschaft noch immer innerhalb der Ökonomie. Es ist die Feststellung, dass hinter den zwei Arten von Kosten die Menschen als Produzenten und Konsumenten und die Beziehungen zwischen ihnen in diesen beiden Funktionen stehen. Un einer sozialistischen Wirtschaft, argumentierte Karl, sollte jeder imstande sein zu entschieden, ob er so und soviel Freizeit diesen und diesen Gütermengen vorziehe oder umgekehrt. Das sollte durch Planung im Wege von Übereinkünften zwischen den beiden Hauptverbänden der Konsumentenhund Produsenten festgelegt werden. In einer Verwaltungswirtschaft müsste das in eier zentralen Planungsstelle geschehen, wo mangels gesonderter Vertretungen der Konsumenten und Produzenten ihre Wünsche nur unvollkommen zum Ausdruck kämen. Daher sei dort die Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten nicht klar. Die Folge sei, dass Produktion und Konsumption möglicherweise den Wünschen der Produzenten und Konsumenten nicht immer entsprächen, “Im Sommer haben sie Pelzschuhe verteilt und Wörterbücher sind dorthin gekommen wo man sie nicht brauchen konnte,” hast Du diese Schwache der Verwaltungswirtschaft an einem Beispiel aus dem Kriegskommunismus illustriert. “Übersicht”, wie Karl die Möglichkeit nannte von den Menschen der Menschen Kenntnis zu erhalten, wäre in einer Verwaltungswirtschaft nur von “oben” und daher nur unvollkommen möglich. Er aber verlangte Übersicht von „unten“ durch demokratisch gewählte Vertretungen von Konsumenten und Produzenten. Jugoslawien und Russland haben gezeigt, wie Recht er hatte.

Beziehungen im Sozialismus “übersichtlich”, d.h. leicht erkennbar sein. Karl nahm hier die Marxistische Stellung ein.

[11] (Nun beginnt das frisch geschriebene):
Er zeigte mir, wie ich mich zu erinnern glaube, folgende Sätze von Marx: „Stellen wir uns einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmittel arbeiten und ihre individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben…… Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution (Kapital Bd., I. S. 42, 45, Hamburg, 1921). Sind die menschlichen Beziehungen zueinander nicht durchsichtig, ist ein Zustand möglich, wo die Einrichtungen, die auf den menschlichen Beziehungen beruhen, unabhängig von diesen [12] Beziehungen zu sein scheinen, und ein die Menschen beherrschende Eigenleben führen. Die menschlichen Beziehungen sind hier von den sozialen Einrichtungen verdeckt; So sagt Marx: “Betrachten wir den Weg, den das Kapital durchmacht, bevor es in der Form von zinstragendem Kapital erscheint. Im unmittelbaren Produktionsprozess ist die Sache noch sehr einfach. Der Mehrwert hat noch keine besondere Form angenommen, außer dieser des Mehrwertes selbst, die ich nur von dem Werte des Produktes unterscheidet, der ein Äquivalent des in ihm reproduzierten Wertes bildet… Der Zirkulationsprozess verwischt schon… den Zusammenhang. Indem die Masse des Mehrwertes hier zugleich bestimmt ist durch die Zirkulationszeit des Kapitals, scheint ein der Arbeitszeit fremdes Element hineinzukommen. Nehmen wir… das fertige Kapital… als eine bestimmte Wertsumme, die in einem bestimmten Zeitraume… bestimmten Profit (Mehrwert) produziert, so existieren in dieser Gestalt Produktionsprozesse nur noch als Erinnerung und als Moment, die gleichzeitig den Mehrwert erscheint jetzt als Profit… durch die Verwandlung des Profit in durchschnittsprofit wird weiter der Profit des besonderen Kapitals… der Quantität nach verschiedenen vom Mehrwert selbst den das besondere Kapital in seiner besonderen Produktionssphäre erzeugt hat… Kapitalien von gleicher Größe liefern gleiche Profite… In allen diesen Ausdrücken ist der Verhältnis des Profits zur organischen Zusammensetzung des Kapitals völlig ausgelöscht … In denselben Grade wie die Gestalt des Profits seinen inneren Karn versteckt, erhält das Kapital mehr und mehr eine sachliche Gestalt, wird aus einem Verhältnis immer mehr ein Ding, das das gesellschaftliche Verhältnis im Leibe, in sich verschluckt hat, ein mit fiktiven Leben und Selbständigkeit sich zu sich selbst verhaltendes Ding, ein sinnlich-übersinnliches Wesen.” (Theorie über den Mehrwert, Bd. III, 1921, S. 553, 554, 555). Karl hat ungefähr zehn Jahre, nachdem er mir diese Stellen gezeigt hatte, diesen Gedankengang mit Berufung auf Marx: folgendermaßen in der “Essence” ausgedrückt: “In a developed market-society distribution of labour intervenes. Human relationships become indirect, instead of immediate co-operation there is indirect co-operation by the medium of the exchange of commodities. The reality of the relationships persists: the producers continue to produce for one another. But this relationship is now hidden behind the exchange goods: it is impersonal: it expresses itself in the objective guise of the exchange value of commodities: it is objective, thing-like. Commodities, on the other hand, take a semblance of life. They follow their own laws: rush in and out of the market: change places: seem to be masters of their own destiny. We are in a spectral world, but in a world in which SPECTRAS ARE REAL. (in contrast to fascist philosophy). For the pseudo-life of the commodity, the objective character of exchange value are NOT illusion. The same holds true of other “objectifications” like the value of money, Capital, Labour, the State. They are the reality of a condition of affairs in which man has been estranged from himself. Part of his self is embodied in these commodities which now possess a strange self-hood of their own. The same holds true of all social phenomena in Capitalism, whether it be the State, Law, Labour. Capital or Religion. (Essence, p. 375)

Ohne Zweifel lehnte Karl diesen Zustand als menschenunwürdig ab. So sagt er im Anschluss an die eben zitierte Stelle: “But the true nature of man – er rechnete sich gewiss zu den Menschen mit “true nature” und er glaubte sicherlich, dass das für jeden Sozialisten galt – rebels against Capitalism. Human relationships are the reality of society. In spite of the division of labour they must be immediate, i. e. personal. The means of production must be controlled by the community. Then human society will be real, for it will be human: a relationship of persons.” (p. 375)

[13] “A relationship of persons” war für Karl eine Beziehung zwischen Menschen deren Persönlichkeit ihm als höchster Wert galt. Er stand für das was er “Christlichen Individualismus” nannte und dessen Doktrine ist “Personality is of infinite value, because there is God.” “It is the doctrine of brotherhood. of Man. That Man have soul is only another way of stating that they have infinite value as individuals.” (p. 369/70) The “infinite value”, den die Persönlichkeit jedes Individuals für ihm hatte, war nur ein anderer Ausdruck dafür, dass er der Erhaltung der “Uniqueness” – das Wort kommt im Schlussteil der Transformation vor – des Individuals höchsten Wert beilegte. Aus dieser Einstellung folgt sein Internationalismus der Menschlichkeit. Er fühlte sich hier eins mit den Kirchen, the “churches, when they denounce racialism for is implied denial of the universalism inherent in their Christian mission.” (p. 388) Und indem er den Begriff des Universalismus erklärte, setzte er fort: “Negatively Universalismus thus more or less synonymous with non-racialism. Its positive meaning is that of an idea implying the concept of mankind. In other words it is the claim of an idea to apply to mankind as a whole, i.e. to all individuals constituting it.” (p. 388) Ich werde im dritten Abschnitt versuchen die Fragen, die er in der “Essence” behandelte, zu erörtern. Hier möchte ich nur bemerken, dass er internationaler “Mensch” im besten Sinne des Wortes war, für den es keine Vorurteile nationaler, rassischer oder anderer Art gab. “Ich bin Kosmopolit, ich bin für Geistesfreiheit, für Freiheit jeder Art” höre ich ihn beim Grünen Ofen im Mittelzimmer leidenschaftlich ausrufen. Ich hoffe nun nach so langen Jahren die volle Bedeutung dieses Ausspruches endlich verstanden zu haben. Er zeigt den tieferen Grund für seine Ablehnung der Verwaltungswirtschaft. Er war, wie schon erwähnt außerhalb der Ökonomie. Die Verwaltungswirtschaft mag ihm als eine monströse Objektivation erschienen sein, in der die menschlichen Beziehungen durch verdeckt waren. Charakteristisch ist vielleicht eine Ausserung von Bock in der Zeit des Seminars. Er sagte: “Für eine Futtermaschine kämpfe ich nicht”. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich vermute, dass aus diesem Satz der Einfluss Karl’s spricht. In der “Essence” kommt nicht nur der Wesensinhalt des Faschismus, sondern vor allem die Essenz seiner Persönlichkeit, Menschlichkeit, Toleranz und Freiheitsdrang wunderbar zum Ausdruck. Das machte ihm zu dem, was er war, und was uns sein Andenken teuer macht. Diese auf Religiosität basierte Weltanschauung der Menschlichkeit war die moralische Einheit seines Wirkens. (Auf die logische komme ich später zurück). Diese moralische Einheit oder Stellungnahme oder wie immer Du das nennen willst war, wie Mehring von Marx sagte, “das Zünglein an der wage seines Schicksals.” Materielle Vorteile achtete er nicht, wenn es auf Kosten seiner menschlichen Prinzipien gegangen wäre.

Du kennst ja sein Leben genau, und so wirst Du beurteilen können ob ich recht haben, wenn ich sage, dass ich zumindest von zwei Anlässen weiß, wo er eine versprechende Karriere Aufgabe, weil er sie mit seinen Prinzipen unvereinbar fand. Das eine Mal gab er, wie ich glaube seine Rechtsanwaltslaufbahn auf, der er doch sein Studium gewidmet hatte. Das war möglicherweise noch vor dem ersten Weltkrieg. Er hat mir nur [14] Andeutungen gemacht. Du weißt natürlich alles genau. Über das andere Mal nag ich mehr sagen können. Es war im Herbst in 1933, als er infolge der zunehmenden faschistischen Tendenzen in der damaligen österreichischen Regierung für den Volkswirt untragbar wurde, und nach London ging. Unerschrocken nahm er die großen Risken auf sich und hielt seine Grundsätze aufrecht. So schwer es damals auch gewesen sein mag seine Prinzipienfestigkeit war sein und damit unser aller Glück. Denn hatte er sich gebeugt und wäre er geblieben, so wäre er wahrscheinlich in die Hände der Nazi gefallen und das hätte er (abgesehen von Dir und Kari) nicht überlicht oder zumindest kaum überlebt. Wir selbst haben es sehr bedauert nicht sogleich nach 1934 das Land verlassen zuhaben. Nur mit Euerer Hilfe sind wir noch mit einem blauen Aug davon gekommen.

Im überigen wird Dir vielleicht folgendes interessant erscheinen: Du erinnerst Dich möglicherweise noch an Jellinek. Erarbeitete mit Karl zusammen beim Volkswirt. Als 1936 die Nazi die demilitarisierte Rheinzone besetzten führten die österreichischen Faschisten die allgemeine Wehrpflicht ein. Bei diesem Anlass wurde die Bevölkerung registriert. Das war Gemeindesuche und so traf ich Jellinek. Er war beim “Arbeitersonntag”, einem Wochenblatt, das im Hause der Arbeiterzeitung von den Faschisten oder ihnen nahestehenden Kreisen als arbeiterfreundliches Organ gedruckt wurde. Wir sprachen natürlich über Euch. Er hielt es nicht für klug, dass Karl weggegangen war. “Es geht ihm schlecht” sagte er. Zwei Jahre später traf ich ihn in Buchenwald. Da hat er ebenso wie ich sehr bedauert nicht nach 1934 ausgewandert zu sein. Wir waren sehr froh zu wissen, dass Ihr alle in Sicherheit wart. Er sprach von seiner möglichen Hoffentlich hat er überlebt.

Nach dieser Abschweifung möchte ich noch einiges über die Objektivationen sagen. Er hat sich nie mit einer gefühlsmäßigen Haltung begnügt, wo auch eine Erklärung möglich war. Das galt auch für die Objektivationen. So sehr er sie als menschenunwürdig ablehnte, hat ihn das nicht gehindert ihre Entstehung als leidenschaftsloser Wissenschaftler zu untersuchen. Hier ging er vom dem marxistischen Begriff des vergesellschafteten Menschen ans. Er benützte die Fassung Max Adlers’s (Adler’s sprach von Karl als “brillant”): “Der Mensch ist sozial, nicht weil er in Gesellschaft lebt, sondern er kann in Gesellschaft leben, weil er schon unmittelbar in seinem Selbstbewusstsein sozial ist… Auf diese Weise ist also das “Soziale” weder etwas zwischen den Menschen, noch über ihnen, sondern es ist in ihnen, und zwar in jedem Einzelnen ganz, so dass der soziale Zusammenhang, die Gesellschaft als Tatsache, nicht als Begriff schon in jedem Einzelbewusstsein vollständig gegeben ist. (Max Adler, Marxistischen Probleme, Stuttgart, 1922, S. 6). Der Begriff des vergesellschafteten Menschen ist, wie ich glaube die logische Einhalt seines Wirkens. Man kann diesen Begriff, wie (ich) mir vorkommt in allen seinen Arbeiten nachweisen. Entweder ist er ausdrücklich erwähnt, oder er liegt seinen Darlegungen stillschweigend zu Grunde. Du wirst ja im Laufe des nächsten Abschnittes sehen, ob ich Recht habe. Selbstverständlich ist das nur ein nachträglicher rückschauender Gedanke, der für sein Werk nicht wesentlich ist. – Um zu den Objektivationen zurückzukehren – der vergesellschaftete Mensch ist unableitbar gesetzt. Ebenso unableitbar muss angenommen werden, dass wir nur zweckmäßig, oder mit Karl’s Worten “sinnhaft” handeln können. “Bewusstsein ohne Sinnhaftigkeit ist unvorstellbar.” So oder so ähnlich hat er das formuliert. Nun geben wir der Verumständung in der wir leben immer einen Sinn, wir betrachten sie immer unter irgendeinem “Aspekt”, wie er sagte. Beispielsweise kann eine [15] Verumständung angenommen werden, in der ein Einzelner über verschiedene Gütermengen mit verschiedenen Möglichkeiten sie zu verwenden verfügt. Dieser Einzelne gibt den Gütermengen den Sinn, dass er durch sie bestimmte Bedürfnisse befriedigen kann und betrachtet sie unter dem Aspekt, dass er die gesamte Güte menge oder seinen Teil derselben gegen eine bestimmte Gütermenge eines anderen Einzelnen austauschen kann. Dieser andere Einzelne, der infolge seines vergesellschafteten Bewusstseins auf die gleiche Weise denkt, hat ebenfalls die Verfügung über bestimmte Gütermengen und es kann angenommen werden, dass er infolge bestimmter Sinngebung und eines bestimmten Aspektes eine Tauschmöglichkeit wählt. Die zu einer Bewegung bestimmter Gütermengen zwischen diesen beiden Einzelnen führt. Aus ihrem Wahlhandlungen, d.h. ihrem wirtschaftlichen Handeln hat sich somit ein bestimmtes Mengenverhältnis zwischen getauschten Gütermengen –ein Preis – ergeben. Dieser Preis gilt für beide und ist damit etwas “Überindividuelles”, eine Objektivation geworden. In diesem Fall ist die menschliche Beziehung noch klar. Doch im Kapitalismus sind die Beziehungen zwischen den Menschen oft durch die Objektivationen verdeckt, wie Karl, indem er Marx folgte, ausgeführt hat – ich brauche das hier nicht mehr zu wiederholen. Doch Karl hat nicht nur das Entstehen der Objektivationen auf die oben ausgeführte Art erklärt, er hat sie auch, soweit es sich um wirtschaftliche Objektivationen handelte, wie z.B. Preis, oder Markt mit der Grenznutzentheorie verknüpft. Obgleich er meinte, dass Marx gerade durch die Arbeitswertlehre zur Erklärung der Objektivationen als ein Resultat menschlicher Beziehungen gekommen wäre, hielt er es für besser die Objektivationen auf den Gebiet Wirtschaft auf der subjektiven Theorie zu basieren. Denn nicht nur sagte er: “Die Grenzwertlehre ist ihr (der Arbeitswertlehre) einfach überlegen.” Er war auch der Ansicht, dass die Grenznutzentheorie mehr die Handlungen und damit die Beziehungen zwischen den Menschen in den Vorder grund rücke als die Arbeitswerttheorie und die klassische Ökonomie überhaupt.

Im Jahre 1925/26 hat er diese Gedanken über die Objektivationen in einer Abhandlung niedergelegt, die er die Absicht hatte dem “Kampf” zu schicken. Ob es jemals dazugekommen ist, weiß ich nicht. Aber in dieser Zeit hat er mit mir viel über diese Thema gesprochen, weil ich darüber meine Dissertation gemacht habe. Ihr beide habt mir viel Zeit in den Erörterungen gegeben, die ungefähr ein Jahr gedauert haben. Er hat zu gleicher Zeit, wie mir vorkommt, auch Bock in seiner Dissertation über sozialistische Wirtschatrechnung geholfen. Beide Dissertationen waren irgendwie miteinander in Beziehung, obgleich Bock und ich das nie diskutiert haben. Ich kann Euch beiden heute nur für die große Hilfe, die Ihr mir gegeben habt, herzlich danken. Ich habe 1925 und 1926 viel, zusammengelesen und natürlich ist wenig dabei herausgekommen. Dich dem was über die Grenznutentheorie bemerkt habe, steht nichts drinnen. Das andere aber ist [16] außer einer Besprechung von einigen Autoren über das Thema der Gedankengang Karl’s den ich versucht habe darzustellen. Die Dissertation ging erst zu Max Adler, der außer ordentlicher Professor war, und dann zu Kelsen. Max Adler war froh zu sehen, dass Karl der geistige Vater der Dissertation war. Auch wenn Karl’s Name nicht in der Arbeit gestanden wäre, hätte mir niemand geglaubt, dass das auf meines Mist gewaschen wäre. Kelsen hat mir gegenüber zwar nichts über meine Berufung auf Karl gesagt, aber irgendwie ist bei der Prüfung eine Frage im Zusammenhang mit der Dissertation gekommen, die ich natürlich nicht beantworten konnte. Darauf hat Kelsen gemeint, dass das Thema ohne anderweitige Hilfe – er hat Karl’s Namen auch bei dieser Gelegenheit nicht genannt – für mich zu schwer gewesen wäre, wie man ja sehen können und ist mit nachsichtigem Lächeln auf eine andere Frage übergegangen.

Heute wüsste ich vielleicht besser Beschied, obwohl ich noch immer sehr wenig über solche Gebiete weiß. Allerdings war mir schon damals klar, warum Karl das Problem der Objektivationen so am Herzen lag. Es war für ihn ja ein Aspekt des Problems der individuellen Freiheit. Doch abgesen davon glaube ich dass sich noch eine andere Formulierung des Freiheitsproblems bei ihm finden lässt. Sie hängt möglicher weise mit seiner Ablehnung der Anschauung der Freidenker zusammen, nach der das Geistige mit dem Körperlichen so enge verbunden ist, dass nach dem Tode weder vom Körper noch vom Geist (der Seele) etwas überig bleibe. Mir kommt vor, dass er diese Ansicht als untragbar empfand. Es war vielleicht sein leidenschaftlicher Wunsch und auch sein Überzeugung, dass das Geistige vom Körperlichen wenigsten soweit frei sein solle und müsse, dass es in gewissen Fällen den Tod überleben könnte. Möglicherweise kann ich mich auf folgenden Satz in der “Transformation” stützen: “Man has accepted the reality of death and built his bodily life upon it.” Mir kommt vor, dass er mit dem Wort “Bodily” sagen wollte, dass es noch ein anderes Leben als das körperliche (“Physical” sagt Kari in ihrem Artikel) gab. Und für dieses anders Leben hat er den Tod nicht akzeptiert, wenn ich richtig verstanden habe. Aber auch wenn das was ich hier geschrieben habe ein völliger Unsinn sein mag, eines steht fest weil auch es aus dem schönen Artikel Kari’s entnehmen kann (d.h. habe es mir schon immer gedacht, aber ich bin unsagbar froh, dass Kari mich bestätigt), dass er sich vom Tod nicht in seinem Bestreben schlagen ließ, für den Fortschritt der Menschheit seine ganze Kraft einzusetzen. Ich glaube, Ihr werdet mir Recht geben, wenn ich die folgenden Sätze vom ihn in diesem Sinne interpretierte: “The revealed reality of death is the ultimate source of the excuse for an empty life. The response of creative man is to fill this void through work and the permanence of achievement Hence art and poetry, science and philosophy, the lone sacrifice of the true soul”. Es war in seiner Arbeit für charakteristisch, dass er im Kleinen gern nachgab, aber nicht im Großen, wenn er trotz aller Schwächen etwas für richtig ansah. Ich erinnere mich noch wie er einmal sagte, als er die Einwände gegen sein Theorem. “Kaufkraftwirtschafte-Tauschwirtschaft” – ich hoffe darüber in nächsten Brief zu schrieben – unter die Lupe nahm: “Was ich zugebe sind alles nur Kleinigkeiten. Im Wesentlichen gebe ich nichts zu”.

Seine Weltanschauung war ihm gewiss ein großen Trost in den körperlichen Leiden, die er mitzumachen hatte. Ich kann nur von der Wiener [17] Zeit sprechen. Es war ein leidenschaftlicher Kampf gegen seine Krankheit, die ihn in seiner Arbeitsfähigkeit immer wieder einschränkte. Einmal erzählte er mir, wie er in seiner Jigend sich durch Stundengeben erhalten musste, bis er zusammenbrach. “Ein Onkel” so sagte er “dachte sich damals “Der Junge Mensch soll sich nur plagen”. Plötzliche war es aus. Und man erlangt die frühere Arbeitskraft nie wieder. “Besodens in den ersten zwei oder drei Jahren, in denen ich ihn kannte, machte er Furchtbares mit. Er glaubte damals an Leberschrumpfung zu leiden und der Arzt gab ihm nur noch zwei Jahre. Glücklicherweise war es eine Fehldiagnose. Doch was immer seine Leiden waren, er trug sie mit Würde. Nicht selten waren die Schmerzen wo arg, dass er sich buchstäblich im Bett von einer Seite zur anderen gewälzt hat. Eine ungeheurere Willenskraft war nötig um einem solchen Zustand zum Trotz die Arbeit beim Volkswirt zu tun. Ich bin überzeugt, dass seine menschliche und im Grunde optimistische Weltanschauung viel dazu beigetragen hat, ihm über diese Schreckliche Zeit hinwegzuhelfen.

Leider habe ich damals seine Weltanschauung nur mangelt begriffen. Teils war ich zu einseitig mit Ökonomie beschäftig, teil war ich zu unreif. Wenn er über solche metaphysische Fragen zu mir sprach, war es so wie wenn man Erbsen an die Wand wirft. Doch so eigenartig es klingt, vieles habe ich in mich aufgenommen ohne dessen gewahr zu sein und seine Worte sind mir nach Jahren zurückgekommen. Ich erinnere mich auch, dass er mir erzählte, er habe methodologische Fragen mit seinem Bruder Michael erörtert. Er erwähnte diese Diskussionen mehrere Male um dazulegen, dass die Wirtschaftstheorie als Beschreibung von Wahlhandlungen mit Psychologie nichts zu tun habe, vielmehr sei die Psychologie nur eine der Möglichkeiten den Inhalt der Wahlhandlungen zu beschrieben. Das legte die formale Natur der Ökonomie bloß. Ebenso argumentierte er betreffen die Erkenntnistheorie. Insbesondere habe due vergesellschaftete Natur des Bewusstseins – dass wir so eingerichtet sind, dass wir einander verstehen können und in einer Gesellschaft leben können (ich habe schon vorher versucht das zu erwähnen), das “Transzendental-Soziale” Max Adler’s – mit Psychologie keine Verbindung. Für die Behandlung der Objektivationen, den Sprung vom Individuellen zur Gesellschaft war das richtig. Denn war der Mensch in seinem Bewusstsein schon vergesellschaftet, so war in jedem Einzelnen die Gesellschaft schon a priori gegeben und der “Sprung” vom Einzelnen zur Gesellschaft existierte nicht. Wo man vorgab, dass en existierte, und irgendwelche Lösungen zu seiner Überbrückung vorschlug, behandelte man daher nur ein Scheinproblem, weil in Wirklichkeit keines da war.

[17] Karl macht diese formales Überlungen viel Freude. Zwar fühlte er sich manchmal durch die Vielgestaltigkeit seiner Interessen aufgehalten. “Ich bin viel zu polyphon, deswegen bringe, ich nichts fertig”, sagte er mich einmal. Doch gerade seine Vielseitigkeit war neben Deinen politischen Interessen eine den Ursprachen, die Euer Heim zu einem wissenschaftlichen und politischem “Salon” machten, wo manche Euere Freunde für Ihre spätere Arbeit entscheidend geformt wurden. Ich kenne natürlich nur einige wenige aus Eurem Kreis. Philosophische, Literatur – und Kunstprobleme habte Ihr oft mit “Grossväterchen” Aurel Kolnai diskutierte. Bei Euch fand er eine nicht-materialistische Weltanschauung [18] kombiniert mit einer erkenntnistheoretischen Grundlage, die Kant mit Marx verband. (Karl folgt hier Max Adler, zumindestens kommt es mir so vor). Das war für Kolnai sehr anziehend, dann er hatte damals sehr anziehend, denn er hatte damals sich von einem materialistischen Weltanschauung abgekehrt, (ich bin natürlich nicht ganz sicher) und suchte nach einer philosophischen Basis, auf der er die Sozialwissenschaft mit seiner Vorliebe für die katholische Kirche vereinigen könnte. Dabei war er nach wie vor Sozialist. Ich bin überzeugt, dass Karl ihm in diesem Stadium entscheiden beigestanden ist. “The war against the West” leg Zeugnis davon ab. An nicht wenigen Stellen ist es, als on man Euere eindringlichen Stimmen hören könnte. Ich lernte Interessanten Umständen eine zweites Mal vorgesellt, und das kam so. Ein Onkel, bei dem er wohnte, war Direktor einer Unternehmung, die in den ersten Jahren der Zwischenkriegszeit mit den Bank zu tun hatte, in der mein Vater arbeitete. Den beiden älteren Herren, die die Vorkriegszeit noch nicht vergessen hatten, kamen – und das ist nur natürlich – die jungen Menschen der damaligen Zeit in mancher Hinsicht merkwürdig vor. So sagte eines Tages Kolnai’s Onkel zu meinem Vater: “Stellen Sie sich vor, ich habe einen total verrückten Neffen.” Mein Vater erklärte, dass er mit seinem Sohn nicht viel besser dran sei, worauf Kolnai’s Onkel meinte: “Wir wäre es wenn man die beiden jungen Leute zusammenbrächte? So wanderte ich eines Sontag Vormittag in den siebten Bezirk, wo Kolnai’s Onkel wohnte. Alle Teile wären überrascht, dass wir uns so wieso schon kannten und als wir allein waren, hatten wir Stoff zu großer Heiterkeit. Kolnai’s “war against the West” ist leider von unzerstörbarer Aktualität des Kampfes des Ungeistes und der Unvernunft gegen die Vernunft oder wie immer Du es nennen magst. Das Euch ist eine Grossleistung. Wenn Du noch mit Kolnai in Kontakt bist, bitte lass ihn vielmals von uns grüßen. Ich kann mich noch an manche Gespräche mit ihm erinnern. Ich glaube Karl brachte ihm zum Volkswirt. Doch unter dem Faschismus schied er aus, weil er, wie mir sagte, fand, dass der Volkswirt unter Frau Klausberger zu sehr national geworden sei. Hoffentlich lebt er noch und in Umständen, die an für sich befriedigend erachtet.

Ein anderer, der Euerem “Salon” sehr viel verdankt, war Karl Popper. Er war einer den wenigen, der in das Pädagogische Institut der Stadt Wien aufgenommen wurde, weil er für den Lehreberuf so geeignet erschien. Der Andrang zum Pädagogischen Institut was infolge der chronischen Massenarbeitslosigkeit in Österreich sehr groß. 1926 sagte beispielsweise eine junge Erzieherin zu mir: “So viele wollen Lehrer werden! Da haben sie sich mehr zu helfen gewusst und haben das Pädagogische Institut erfunden.” – ein für die damalige Zeit bezeichnende – der Ausspruch, weil es ja o schwer war einem Posten zu finden. Popper arbeitete auch als Lehrer an philosophischen Fragen weiter. Ich glaube, dass er schon in Wien einen Preis für eine Arbeit erhielt, die er noch unter dem Heimwehrfaschismus verfasste. Das führte ihn glückerweise als lecturer nach Neuseeland. Dort hat er uns geholfen, dass und das ---mit nach Neuseeland gegeben wurde, und so sind wir auch ihm zu großem Dank verpflichtet. Ich glaube er ist jetzt in London Professor. Ich habe seine Büche, die natürlich hier sind, nie gelesen, weil es ja nicht mein Gebiet ist. Doch ich habe das Gefühl, dass zumindestens in seinem Buch über Historismus der Einfluss der Vorgartenstrasse deutlich sichtbar ist. Bitte, richte auch ihn unsere Grüße aus, wenn Du mit ihm in Kontakt bist.

[19] Eines unter den Besuchern des “Salons”, den ich noch gut in Erinnerung habe ist Hans Zeisel. Ich habe noch die zahlreichen Erörter ungen im Ohr, in denen Karl ihn mit der Natur erkenntnistheoretischer Fragen vertraut machen wollte. Was aus ihn und anderen wie z.B. Lazarsfeld, Ludwig Wagner geworden ist, weiß ich nicht. Ich kann nur hoffen, dass sie den Faschismus überlebt haben.

In vielen Diskussion mit diesem gewiss sehr begabten Menschen habe ich nicht teilgenommen, weil ich wie gesagt zu wenig von dem Gegenstand wusste und im allgemeinen zu unreif war. Vielfach hörte ich nur mit halbem Ohr zu oder spielte mit Kari, damals noch “Baby” oder Hasenhund genannt. Als ich sie zu ersten Male sah konnte sie kaum noch gehen und schon gar nicht über den runden braunen Tisch im Mittelzimmer hinübersehen. Ihr eigentlicher Wohnraum war im rechten Zimmer, das gleichfalls zwei Fenster hatte. Die auf die Vorgartenstrasse hinausgingen. Doch spielten wir, wenn im Mittelzimmer gerade kein Platz war, oder wenn sie nicht bei Nene war, anten deren liebender Fürsorge sie aufwuchs. Oft spielte sie aus dem Fußboden bei Euch in Mittelzimmer mit Büchern und Zeitungen, an denen es ja bei Euch kein Mangel war. Oder sie wanderte im Zimmer herum machte das oder jenes. Ihr ließet sie, wie Ihr mit liebvollen Lächeln nanntet, ihr “Unwesen treiben”. Aus den Zeitungen machten wir Tschakos und größere Schiffe Verschriebene Heftseiten und Maschinschreibpapier waren stärker und eigneten sich wunderbar für Schnäbel, die man zuklappen konnte und die von selbst aufsprangen. In der warmen Jahreszeit saßen mir manchmal im Garten. Kari ging mit mir vor den Güter auf und ab. Auf der Straße gab es viel zu bewundern die Menschen, die Autos, die Hunde, Katzen, Tauben und Spatzen. Meinen Namen konnte sie im Anfang nicht gut aussprechen. So kam ich zu dem besonderen Titel Wawi, den ich durch die Jahre beibehielt. Kein Wunder, dass sie in der schönen Atmosphäre Eueres Heimes in Eurem Sinne aufwuchs. Euere Gespräche, die Menschen, die sie am Morgen in die Arbeit gehen sh, die rote Fahne, die jeden ersten Mai vom Fenster im Mittelzimmer ausgesteckt im Winde flatterte, waren gewiss Eindrücke, die auch sie an die Seite der Menschlichkeit zogen. Nene, ihre Großmutter konnte das Alte infolge ihres Gefühles für Gerechtigkeit nicht mehr als gut anerkennen. Dieses Gefühl wurde bei ihrer Tochter zur Revolte der Notwendigkeit. Bei Kari, der Enkelin, war das Neue Selbstverständlichkeit geworden. Als im Marz 1933 das Notverordnungsregime etabliert wurde, verstand sie schon was vorging. Kurz nachdem Karl in November 1933 nach England gegangen war, kam sie mit Nene auf Besuch zu uns. Nene brachte eine Taufgeschenk für unseren Sohn, damals vier Monate als. Es war ein Silberlöffel mit Nene’s Familienwappen, der “Nenelöffel”, wie wir sagen und den wir noch immer haben. Wir sprachen besorgt über die faschistische Gefahr, die die eine Gewitterwolke drohend am Himmel stand. Drei Monate später waren die letzten Reste dem Demokratie verschwunden. Nach dem Februar 1934 wollte Kari nicht mehr in die Schule gehen. Die ihr leibgeworden Lehrer waren nicht mehr da. Sie kam nach England und das war das Beste. Ich habe seither nur Bilder von ihr gesehen. Sie und eines den Kinder sieht Karl sprechend ähnlich. Wir wünschen ihr und ihre Familie alles Gute. Sie wird sich vielleicht noch das was ich über die Vorgartenstraße geschrieben habe, erinnern. Viele herzliche Grüße.

[20] Um wieder auf das “Seminar” zurückzukommen möchte ich sagen dass es trotz der Beschäftigung mit anderen Gegenständen fortgeführt wurde. Doch löste es sich im Frühsommer 1924 allmählich auf. Alsegg und Pikler kamen nur selten, und Bock arbeitete, wie gesagt, zu dieser Zeit an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung und sprach daher viel mit Karl über diese Thema. Ich glaube, dass auch Karl sehr an dem Gegenstand interessiert war, weil er im Zusammenhang mit seiner Arbeit “Sozialistische Rechnungslegung” tiefer in der Theorie der Preisbildung in einer sozialistischen Wirtschaft eindringen wollte. Zumindestens sagt er am Schluss seiner Abhandlung: “Geflissentlich haben wir in unserem Gedankengang die Wirtschaftstheoretischen Probleme umgangen, die in der Form, der sachlichen Voraussetzungen unserer Annahmen an uns herangetreten sind. Nichts wurde bezüglich der Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Voraussetzungen behauptet und bewiesen, um nichts wird somit das Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftslehre selbst durch unsere Ausführungen seiner Lösung näher gebracht. (Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 49. S. 42x)

Das führte ihn zum Problem Preise ohne Voraussetzungen schon bestehender Preise unter einer sozialistischen Wirtschaft abzuleiten.

Second Letter: 14 December 1964

[21] Er war immer da, [ihr] ich war mir über manches nicht so klar wie jetzt. Ich sehe Euch alle vor mir wie wenn es gestern gewesen wäre. Wir fehlen die Worte das zu sagen, ___ ich sagen nivelte sind so gehe ich lieber wiedu zur Schreibmaschine sind fange dort an, nämlich mit dem bestreben Karl’s seine Abhandlung über die sozialistische Rechnungslegung durch Eindringen in sozialistische Wirtschaftstheorie zu vervollständigen, [22] wenn das du richtige Ausdruck ist. So beginne ich nicht aber Wiederhabhung der Schlussalätze in der sozialistischen Rechnungslegung. Er sagt dort, Geflissentlich haben wir in unserem Gedankengang die wirtschaftstheoretischen Probleme umgangen, die in der Form der sachlichen Voraussetzungen unserer Annahmen an uns herangetreten sind. Nichts wurde bezüglich der Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Voraussetzungen bewiesen. Um nichts wird somit das Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftslehre selbst durch unsere Ausführungen seiner Lösung näher gebracht.” (Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 49, S.420)

Als Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftstheorie ah er damals –zumindest kommt es mir so vor – die Frage an, unter sozialistischen Voraussetzungen eine Güterverteilung durch einen Preisbildungsprozess abzuleiten, Er betonte dabei, dass die Preise an sich nebensächlich wären. Er strebt nach einer Verteilung der Güter, die dem Rationalitätsprinzip. K in Sinne, wie es Mises verlangte, Genüge leisten würde. „Die Hauptasche ist die Verteilung der Güter. Die Preise bilden sich schon dabei“ meinte er. Er wollte nun eine Verteilung der Güter unter einem Preissystem unter dem Maximum der erforderlichen Voraussetzungen ableiten. Um diese Zeit las er nicht nur die österreichischen Grenznutzler (vor allem Böhm-Bawerk und Wieser, aber auch Schumpeter), sondern insbesondere J.B. Clark. Möglicherweise hatte Bock seine Aufmerksamkeit auf Clark gelenkt. Bock arbeitete damals, wie erwähnt, an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung und vielleicht hatte er damals Clark mit Karl diskutiert. Irgendwie glaubte er, dass Clark auch für die Prüfung wichtig wäre. Und so las er Clark zusammen mit einem Studienkollegen (ich glaube Blumenfeld war sein Name). Beide konnten, wie ich mich zu erinnern glaube, nur wenig englisch, Bock nahm vielleicht auch den Rat Strigl’s an, der in seinem Seminar einmal sagte: “Lesen Sie Clark und lernen Sie englisch dabei”. Jedenfalls war, wie ich weiß das Lesen Clarks für beide – Bock und Blumenfeld – mit gewissen Sprachschwierigkeiten verbunden. Nichts war nun natürlicher als dass sich Bock an Karl wendete, der doch perfekt Englisch kannte. Karl wurde wahrscheinlich durch das Bild der Sozialwirtschaft bei Clark in seinem Denken über sozialistische Wirtschaft unter einem Preissystem angeregt. Bei Clark ist nämlich die Wirtschaft gleichsam in zwei Teile gespalten. Auf der einen Seite stehen die Konsumenten mit ihrem Geld und auf der anderen Seite die Arbeiter als Besitzer und Verkäufer ihrer Arbeitskraft sowie die Besitzer der Kapitalgüter. (Letzteres ist nicht die genaue Formulierung, aber ich glaube es tut hier nichts zur Sache). Du siehst vielleicht schon hier die Aelichkeit mit seiner Konstruktion der Kaufkraftwirtschaft. Doch darüber später. Hier möchte ich nur sagen, dass Karl’s Interesse vor allem der Preisbildung bei Clark galt. Clark’s Lösung hat bekanntlich zwei Alternativen. Einmal leitet Clark die Arbeitslöhne vom Lohn des Grenzarbeiters ab. Der Lohn des Grenzarbeiters ist die Minderung, die das Nationaleinkommen erleidet, wenn eine Arbeiter wegfällt. Der Lohn des Grenzarbeiters ist der Lohn für jeden Arbeiter. Daher ist der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen gefunden, wenn der Lohn des Grenzarbeiters mit der Anzahl der Arbeiter multipliziert wird. Ist der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen bestimmt, so kann dieser Anteil vom Nationaleinkommen abgezogen werden. Das Resultat ist der Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen. Die andere Alternative ist, das Einkommen des Kapitales dadurch abzuleiten, dass man ein kleines Teilchen des vorhandenen Vorrates an Kapitalgütern wegfallen lässt. Die Minderung des Nationaleinkommens, [23] die dadurch verursacht wird, bestimmt den Preis jenes Kapitalteilchens, das Grenzkapitalteilchens. Multipliziert man es mit den anderen Kapitalteilchen, aus denen der Vorrat des Kapitalgüter besteht dann erhält man den Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen. Der Anteil der Löhne wird durch Abzug des Kapitalanteils vom Nationaleinkommen gefunden. (Ich bin mir bewusst, dass diese Theorie sehr schlecht dargestellt ist, aber ich glaube, dass es für hier genügt). Der bekannte Einwand gegen Clark ist, dass er nicht bewiesen habe, dass man zum gleichen Anteil der Löhne und des Kapitals am Nationaleinkommen gelange, ob man nun die Löhne oder den Preis er Kapitalgüter direkt durch Wegfall eines Arbeiters bezw. eines Kapitalteilchens bestimme, oder ob man diese Anteile indirekt durch Abziehen vom Nationaleinkommen bestimme. Karl hat dieser Einwand eigentlich nicht oder nur wenig interessiert, weil er keine Verbindung mit einer Preisbildung unter Sozialismus sah. Auch die Folgerung Clark’s, dass der Kapitalismus gerecht sei, weil jeder in seiner Wirtschaft das erhalte, was sein Produkt „wert“ sei, war für ihn unwichtig. Er lohnte sie einfach ab. “Es ist genial” rief er aus “wie er aus der Stellung im Produktionsprozess die Einkommen ableitet. Aber das zu folgern, dass das auch gerecht sei, ist logisches Missverständnis.” Auch die Debatte zwischen Clark und den Österreichern (vor allem Böhm-Bawerk), ob Clark Geldkapital oder “Naturalkapital meine” berührte ihn nicht sehr stark. Ihn stärte anderes.

[23] Ökonomische Theorie war für ihn – zumindestens damals, wie ich glaube – vor allem ein Werkzeug, das ihn zeigen sollte, wie eine sozialistische Wirtschaft unter einem Preisbildungssystem arbeiten könnte[.] Nun musste er finden, das Clark – und das galt auch für alle anderen, die Löhne und Preise für Güter durch den Wegfall des Grenzarbeiteres oder des letzten Güterteileichens erklären („Verlustprinzip“ Karl sagte) – schon eine Verteilung der Arbeitskraft und Kapitalgüter vorausgesetzt hatte. “Ja” argumentierte Karl “wenn ein Wegfall von gewissen Mengen von Arbeitskraft oder Gütern eine Ertragsminderung bedeuten, dann müssen diese Dinge schon gewidmet sein.” Rief er aus. “Ihr Schicksal ist schon entschieden”. Er aber gerad zeigen, wie man in einer sozialistischen Wirtschaft Gütervorräte widmen könnte, deren “Schicksal noch entschieden” war. In der Tat kann man – und wieder zu Clark zurückzukehren – den Wegfall eines Arbeiteres (des “Grenzarbeiteres”) nicht annehmen, ohne dass dieser Arbeiter bereits in einem bestimmten “job” tätig ist. Mit anderen Worten: Nicht nur muss schon entschieden sein, welche Gütermenge er zu erzeugen hilft, es müssen auch die Konsumguter schon geplant sein, für die er hilft die Produktionsmittel zu erzeugen, d.h. eine Nachfrage der Konsumenten nach bestimmten Gütermengen muss schon gegeben sein. “Es ist ja schon alles da” meinte Karl. Das gleiche fand er bei der Untersuchung der Theorien anderer Autoren insbesondere Böhm-Bawerk, Menger, Schumpeter, Wicksteed und Wieser. Zum Beispiel bei Menger perkoliert der Wert der Preis der Konsumgüter durch die verschiedenen Produktionsstadien zu den Produktionsgütern höchster Ordnung Arbeitskraft und Boden. Das setzt schon Werte oder Preise für Konsumgüter voraus, also schon produzierte Mengen von Konsumgütern. Das erschien Karl ungenügend.

“Man muss sehen unter welchen mindestvoraussetzungen eine Verkehrswirtschaft abgeleitet werden kann” sagte er zwischen der Türe von Euerem Schlafzimmer und der gegenüberliegenden Türe in das andere zweifensterige Simmer an grünem Ofen und ruides Tisch vorbei auf und ab gehen. Ich erinnere mich genau an die Szene. Kari spielte auf dem Boden mit Büchern. Mit einigen baute sie Häuser und auf [24] einigen saß sie wie auf einem Schemel. “Das ist die Lektüre meiner Tochter” sagte er. Du bist wieder an dem rundeu Tisch gesessen. Kari beschäftigte sich mit den Büchern vor dem Bibliothekskasten, der an der linken Zimmerwand stand, wenn man vom Vorzimmer in das Mittelzimmer kam. Der Kasten war diesmal nicht so voll wie sonst. Entweder waren einige Bücher, mit denen sich Kari gerade unterhielt, herausgefallen, oder man hatte sie bei irgendeine Anlass herausgenommen. Doch ein dickeres Buch stand im Kasten. Weil der Kasten nicht ganz voll war, war der Titel und Autor gut sichtbar. Ich kann mich an den Titel nicht erinnern, doch weiß ich, dass der Name des Autors “Pikler” war. Ich glaube, er war Professor des Römischen Rechtes an der Universität in Budapest, als Karl studierte. “Wir hatten einmal irgendwelche Institutionen zu beschreiben” erzählte mir Karl (soweit ich mich erinnere)” und meine Arbeit hat ihm scheinbar gefallen. “Karl fiel ihm bei dieser Gelegenheit auf – “Von Ihnen wird man hören” sagte der Professor zu ihm. Und dann erzählte er mir von einem Vortrag den Pikler an der Universität hielt und der gestört wurde. Es ging dabei nicht ohne die üblichen Krawalle ab. “Von Ihnen sind die Haarbüschel nur so geflogen” sagte der Professor danach zu Karl. “Nach dem Vortrag haben wir Pikler nach Hause begleitet, damit ihm nichts passiert. Und das war der Anlass, dass wir den Verein Galilei gegründet haben” sagte er. Die Mitglieder des “Galilei” waren natürlich eine Minderheit und hatten es nicht leicht. Ich glaube mich zu erinnern, dass er der erste Vorsitzende war, wie er mir erzählte. Gewiss hatte er schon damals Ruf, sonst hätte man ihn nicht auf eine so verantwortliche und exponierte Stelle gewählt. Ich glaube, dass schon vor der Gründung des “Galilei” gewisse Zusammenhänge zwischen den links gerichtsteten Studenten und Lehren beständen, Wenigstens erinnere ich mich, dass ihn (mir kommt vor es war noch bevor “Galilei”) ein Student der gruppe: ihm mitteilte; “Gerade ist Balacs ermordet werden.” (Der Name mag falsch sein, aber es war, wie ich glaube, ein Professor, der Spann in mancher Hinsicht vorweggenommen hatte.) Natürlich war es nicht wahr. Man sollte Karl nur auf die Probe stellen, und sehen wie er auf plötzliche eintretende Ereignisse reagierte. Er erzählte mir das alles bei verschiedenen Gelegenheiten. Man konnte ja nicht immer von “Fach” sprechen. Ein solcher Anlass von seinen Universitätserlebnissen zu reden, waren die sogenannten „Hochschulkrawalle“, an der Wiener Universität. Mit dem Erstarken der Redaktion wurden sie häufiger. Im wesentlichen bestanden sie darin, dass die Organisation der Nazistudenten – damals nannten sie sich anders – erklärte, dass die Universität von nun ab “deutsch” sein. Daher hätten jüdische Professoren und Studenten keinen Zutritt. Wir gingen natürlich an die Universität. Da wir aber in der Minderheit waren, war unseres Bleibens dort nicht sehr lange. Es war ein eigentümlicher Zustand. Der Rektor gestützt auf eine gewohnheitsrechtlich bestehende Autonomie der Universität weigerte sich die Polizei zu rufen. Er stellte eben die Vorlesungen ein. Das kostete manchmal ein Semester, weil auch keine Prüfungen stattfanden, soweit ich mich erinnere. In der Allee auf dem Ring vor der Universität stand, wenn gerade “gekämpft” wurde, ein Wagen der Rettungsgesellschaft, um etwaige Verwundete in’s Spital zu führen. Vor dem Wagen, zur Universität zu, stand ein Polizeikordon.

Niemand, außer Professoren und andere Menschen mit spezieller Erlaubnis wurde hinaufgelassen. Wenn im Laufe der Raufereien jemand von der großen Stiege der Universitätsrampe hinuntergestoßen [25] wurde, find ihn die Polizei auf, und übergab ihn entweder der wartenden Ambulanz oder ließ ihn gehen. Doch durfte er nicht mehr auf die Universität zurück. Manchmal teilten eine ganze Reihe von uns dieses Schicksal. Hinter dem Polizeikordon wurde man zum “Weitergehen” aufgefordert. So promenierten wir einige Stunden vor der Universität auf und ab, bis gewöhnlich jemand von unserem Studentenheim oder einer unserer Abgeordneten kam, und uns sagte, dass wir zur Organisation gehen sollten. Die war erst in der D’Orsaygasse und später in der Werdertorgasse. In früheren Jahren konnte man im Zug gehen, später verbot es die Polizei. 1926 – ich glaube das war das Jahr – gab Seitz als Wiener Landeshauptmann der Polizei die “Weisung” bei Störungen des Unterrichtsbestrieben an den Hochschulen an Ort und Stelle die Ordnung aufrechtzuerhalten. Eines Tages beriefen wir uns diese “Weisung”. Doch der diensthabende Polizeioffizier lehnte es ab. Er würde die Autonomie der Universität, die ihm seinen Doktorgrad gegeben hätte, nicht verletzen. Dabei blieb es, weil der Landeshauptmann zwar “Weisungen” erteilen, aber mangels Disziplinargewalt ihre Ausführung nicht erzwingen konnte. Wie es heute ist, kann ich natürlich nicht sagen. Zurückblickend möchte ich bemerken, dass wir naturgemäß immer verloren. Das war bei der großen Übermacht der Gegenseite nicht anders zu erwarten. Doch teilweise war es vielleicht dem Umstand zuzuschreiben, dass den anderen im Gegensatz zu uns der “Wirbel” als eine Art “frischfröhlicher Krieg” Freud machte. Sie waren wahrscheinlich zumindest unterbewusst ein Ausdruck jener faschistischen Anschauungen, die Karl in seiner “Essence of Fascism” so wunderbar schilderte und analysierte und von denen er schrieb, “if there is one thing which could justify either of them, it is the appalling alternative by the other.” (p. 382) Ich hoffe im dritten Abschnitt, wo ich versuchen werde, einiges über seine späteren Werke zu sagen, diese meisterhafte Abhandlung über den Faschismus so gut ich kann, darzustellen und sie mit seinem überigen Schaffen zu verbinden. Hier aber fühle ich mich noch in den Jahren 1925/27 also ungefähr sieben bis zehn Jahre vor dem Erscheinen der “Essence”. Das führt mich wieder in die Vorgartenstrasse zurück.

Wie gesagt suchte er nach den Mindestvoraussetzungen zur Ableitung einer Verkehrswirtschaft. Ich sehe ihn wie wenn es gestern gewesen ware, vor mir. “Vor allem muss man einen Vorrat von Gütern annehmen”, sagte er auf und ab gehend. “Ohne Güter gibt es keine Wirtschaft. Und dann braucht man menschliche Bedürfnisse,” setzte er fort. Güter, von denen man nichts wisse, oder Güter, die für menschlichen Bedürfnisbefriedigung ungeeignet seien, weil sie zu weit entfernt von potentiellen Verbrauchern seien, oder weil sie aus anderen Gründen zur Befriedigung von Bedürfnissen nicht in Frage kämen seien keine Güter. “Also muss man Menschen mit Bedürfnissen annehmen” meinte er. Er sprach von “Wirtschaftssubjekten” im Sinne der herkömmlichen Terminologie. “Aber das genügt noch nicht. Die Wirtschaftssubjekte müssen ihren Bedürfnissen Ausdruck geben können. Die Menschen müssen sagen können, was sie haben wollen.” Als einziger mag das unter einem Preisbildungssystem zu erreichen erschien die Annahme eines Mittels, das aus homogen Einheiten bestand. Er nannte dieses Mittel “Kaufkraft”. Aber es war offenbar nicht genug jedes Wirtschaftssubjekte mit einer bestimmten Menge an “Kaufkraft” auszustatten. Er musste noch [26] für jedes Wirtschaftssubjekt bestimmte Mengenverhältnisse zwischen “Kaufkraft” und den Güterarten annehmen, die es mit der “Kaufkraft” erwerben konnte.

An diesem Punkt aber blieb er stehen. Die Annahme von “Kaufkraft” und Mengenverhältnissen zwischen “Kaufkraft” und den Güterarten, die man durch Ausgeben der Kaufkraft erwerben konnte, fand er bedenklich. “Ja, nehme ich nicht schon Preise von vornherein an?” fragte er sich, beim Fenster zwischen dem Schreibtisch und dem grauüberzogenem Divan, durch das man auf die Blumen in dem großen Reservegarten der Gemeinde Wien hinaussah. “Ich soll doch Preise erste erklären und da habe ich schon Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Gütern. Kann man das wirklich tun?” Nach einigen Nachdenken entschied er, dass er das zu könne. Denn erstens war keine andere Möglichkeit gegeben, als diese Mengenverhältnisse anzunehmen, wenn die Wirtschaftssubjekte ihre Bedürfnisse, d.h. ihre Wünsche nach Gütern ausdrücken sollten. Und zweitens war keine Notwendigkeit für jedes Wirtschaftssubjekt das gleiche Mengenverhältnis zwischen seiner “Kaufkraft” und die Güterarten anzunehmen. Da blieb noch genug Raum für den Preisbildungsprozess. “Ich nehme ja für jedes Wirtschaftssubjekt ein anderes Mengenverhältnis zwischen Kaufkraft und Gütern an “argumentierte Karl. Der Preisbildungsprozess hebt aus allen diesen verschiedenen Mengenverhältnissen für jede Güterart ein Mengenverhältnis hervor, das für alle Wirtschaftssubjekte gilt, und bei dem alle Gütermengen mit der ganzen Kaufkraft, die die Wirtschaftssubjekte haben, erworben werden. “Und weiter erklärte Karl: “Dass ich diese Mengenverhältnisse annehment muss, ist eigentlich ganz klar. Sie sind ja Verwendungsmöglichkeiten für Vorräte” (die Vorräte an Kaufkraft, mit der jedes Wirtschaftssubjekt ausgestattet war)” und für die Wirtschaftstheorie sind sie Verwendungsmöglichkeiten unableitbar gesetzt. Ohne das wäre der Begriff des Wirtschaftens als Wahlhandlung zwischen Verwendungsmöglichkeit sinnlos. Der Preisbildungsprozess hebt nur eine der vielen Verwendungsmöglichkeiten als Preis hervor.

Damit war er zu einer Position vorgedrungen, die über die übliche Theorie hinausführt. Zu Beginn der Grenznutzentheorie (die “Klassiker” wie Jevons, Böhm-Bawerk, Menger um nur einige Namen zu erwähnen) suchten ihre Vertreter den Preis als etwas “objektives” von den “subjektives” Bedürfnissen aus zu erfassen. Man wollte den “Sprung” vom “Subjektiven” zum “Objektiven” machen. Im Lichte der Tatsache, dass der Preisbildungsprozess nur ein Mengenverhältnis, das als Verwendungsmittelsmöglichkeit unableitbar gesetzt ist, aus den anderen Mengenverhältnissen hervorhebt, die gleichfalls als Verwendungsmöglichkeiten unableitbar gesetzt sind, erscheint ein solcher “Sprung” als ein Scheinproblem, das gar nicht besteht. Karl hob das hier hervor, wie er das gleiche auch bei den Objektivationen ausgeführt hatte. (Ich glaube, dass ich diesen Punkt bei Objektivationen im ersten Abschnitt erwähnt habe).

Die heutige Theorie spricht im Gegensatz zu den “klassikern” der Grenznutzenschule nicht mehr davon KP Preise von den Bedürfnissen ableiten zu wollen. Sie begnügen sich damit entweder unter Voraussetzung von Preisen nur ihre Änderungen durch verschieden “Effekte” zu erklären (z.B. Hicks). Oder wenn sie den Preisbildungsprozess schlechthin erklären wollen (sie nennen das auch Tausch) setzen sie Mengenverhältnisse als Verwendungsmöglichkeiten für irgendeinen Vorrat voraus, und tun das gleiche wie Karl, ohne es aber ausdrücklich zu sagen. So heißt es z. B. in einem an der Universität in Wellington, Neuseeland vielgelesenem “Textbook” von K. F. Boulding “Economic Analysis”.

[27] “In the case of any given exchange there is a certain range of price within which the exchange will take place, but outside of which one of the parties will feel that he does not benefit by the exchange. To return to our friends Mrs. Jones and the shopkeeper. There is also some price of butter above Mrs. Jones will not buy… There is also some price of butter below which the shopkeeper will not think it worthwhile to sell” (p. 35) In diesem für Studenten sehr leicht und fasslich geschrieben Darstellung ist klar von Preisen die Rede, bevor es noch zum Tausch, d.h. zum Preisbildungsprozess gekommen ist. Doch ist nicht gesagt, dass der Tausch nur einen der “Preise” die schon vorausgesetzt sind, zu dem “Preis macht, bei dem dann tatsächlich getauscht wird. Für Karl bedeutete die Voraussetzung von Preisen als Verwendungsmöglichkeiten, dass sich hier er vergesellschaftete Mensch “meldete” wie er zu sagen pflegte. Die Notwendigkeit Verwendungsmöglichkeiten für den Vorrat an Kaufkraft oder Tauschverwendungsmöglichkeiten (die “prices” bei Boulding) anzunehmen setzt auch Menschen voraus, die wissen, dass man mit der Kaufkraft etwas kaufen könne, oder dass man mit einer bestimmten Gütermenge eine andere eintauschen könne, mit anderen Worten eine Sozialwirtschaft ist bereits vorausgesetzt und mit Menschen, deren Bewusstsein so eingerichtet ist, dass sie in einen Sozialwirtschaft leben können. Damit kam Karl wieder beim vergesellschaften Menschen an, dem Begriff, der wie ich glaube, die logische Einheit seines Schaffens ist. In der Ökonomischen Theorie hat er durch diesen Begriff ihre Voraussetzungen entwickelt und klargelegt. (Ich werde noch später darauf zurückkommen). Leider hat er seine Ergebnisse nie veröffentlicht. Das ist charakteristische für ihn. Er war zu bescheiden um Publikation anzustreben.

“Wenn er irgendwie bekannt werden soll ist er dafür nicht zu haben” sagte seine Mutter mir einmal, als ich sie spät am Abend einmal nach Hause begleitete. Das war ungefähr im Juni oder Juli 1926. Die Abende waren schon warm, und so blieb sie, bis es sich etwas abkühlte. Ich fuhr mit ihr bis zu ihrem Haus, das in der Hitzinger Hauptstraße war. Es ging mir ähnlich wie damals als ich das erste Mal zu Euch kam. Ich war kaum noch in dieser Gegen gewesen. Und doch viel Jahre später wohnten wir in der Nähe und da habe ich die Familie manchmal besucht. Ich fürchte, dass sie mit Ausnahme der Leinen Tochter, die der Großmutter und auch Karl sehr ähnlich sah, alle Opfer der Nazi geworden sind. An Deinen Schwager Seczi kann ich mich sehr gut erinnern. Doch näher bekannt wurde ich erst mit ihm in Buchenwald. So wie Jellinek war auch er glücklich darüber, dass Ihr in Sicherheit wart. Für sich selbst war er nicht sehr optimistisch und leider behielt er Recht. Doch trug er sein Schicksal heldenhaft. Er bemühte sich auch unter diesen furchtbaren Umständen sein seelisches Gleichgewicht zu bewahren, was ihm auch gelang. Er besprach mit uns die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, soweit man sie aus den Zeitungen, die in das Lager kamen, erfahren konnte. “Diese Nazi sind eigenartig” sagte er einmal. “Sie haben gegen die Verschiendenen Schichten verschiedene Haltungen. Die Kapitalisten behandeln sie wunderbar, da sind ganz bürgerlich, aber die Juden behandeln sie wie die Bolschewiken die Kapitalisten.” Dieser Ausspruch ist mir wieder eingefallen, als ich Karl’s “Essence” gelesen habe. Es war eben eine Unterdrückung der Demokratie zu um einen korporativen Kapitalismus unter dem Pseudomysticismus des Rassenbregriffes – so ungefahr hat Karl es formuliert – zu bilden. Natürlich anerkannten wir die Leistung der Vollbeschäftigung. Doch Seczi sprach oft von der “Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft” vom Außenhandel in lebenswichtigen Gütern und dass eine Autarkie nur in begrenzten Sinne möglich wäre. Über kurz oder lang [28] müsste sich das geltend machen. Die Richtigkeit dieser Ansicht konnten war täglich sehen. Denn manche Dinge, die wir hatten, waren nur “Ersatz”, die das ausländische Produkt nicht ersetzen konnten. Beispielweise die neuen Gefangenuniformen, die von außen sehr schön aussahen, boten nur wenig Schutz gegen Regen, weil das Material zum Zerfallen neigte. Ausserdem strömten sie bei solchen Anlässen einen an Leim erinnernden Geruch aus, Seczi zog immer wieder unsere Aufmerksamkeit auf solche “Ersätze”. Sie waren für ihn einer der Beweise, dass sich auf die Dauer das Regime nicht würde halten können. Wie sein Ende kommen würde, das konnten weder er noch andere 1938-39 d.h. der zeit vor dem Kriege, vorhersagen. Doch war er mit der Ausnahme für sich selbst, völlig zuversichtlich. Ich glaube er wurde ein Opfer der beinahe bei jedem Wetter im Freien arbeiten musste, kein Wunder war. Er soll in Frieden ruhen. Viele herzliche Gruße dem überlebenden Teil seiner Familie. Ich kann mich noch an alle sehr gut erinnern.

Das war ungefähr zwölf oder dreizehn Jahre nach der Zeit in der Karl die Mindestvoraussetzungen eines Preisbildungssystems unter Sozialismus ausarbeitete. Damals hätte man sich solches nicht träumen lassen, zumindestens ich nicht. Man glaubte die Zeit zum ruhigen Nachdenken zu haben. Preisbildung unter Sozialismus wurde (ich kann nur schon früher Gesagtes wiederholen) als ein Kernproblem des Sozialismus betrachtet. In dem Bestreben die Mindestvoraussetzungen eines Preisbildungsprozesses zu erforschen und dann sozialistische Annahmen in das “Model” (“Konstruktion” sagte Karl) einzubauen hatte Karl, wie schon erwähnt, einen Gutervorrat angenommen, der auf Wirtschaftssubjekte zu verteilen war. Jedes Wirtschaftssubjekt wurde mit einem Vorrat an “Kaufkraft” ausgestattet. Aussedem wurden für jedes Wirtschaftssubjekt Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Gütern angenommen. Nachdem er sich klar darüber gar, dass das, wie erwähnt, nicht die Voraussetzung von Preisen beinhaltete, ging er weiter. Wieder sehe ich ihn vor mir von der Tür des Schlafzimmers zwischen den rundem Tisch und dem Schreibtisch vorbei zur gegenüberliegenden Türe auf und ab gehen. Du bist wieder beim runden Tisch gesessen und Kari “trieb Unwesen”, wie Ihr damals sagtes. “Ich nehme nun weiter an” argumentierte Karl, “dass jedes Wirtschaftssubjekt seine ganze Kaufkraft ausgibt. Aber jeder muss die Möglichkeit haben, zumindestens zwei Güterarten mit seiner Kaufkraft zu erwerben.” Das bedeutete, dass für den Vorrat an Kaufkraft jedes Wirtschaftssubjektes Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und zumindestens zwei Güterarten gegeben sein müssen. Denn “wenn einer seiner ganze Kaufkraft nur für eine einzige Güterart ausgeben kann, dann hat er ja keine Alternative. Das ist keine Wirtschaft, weil keine Wahlhandlung da ist. Nur dann, wenn man zumindestens zwei Güterarten annimmt, hat man die Wahlhandlung drin. Das ist dann Wirtschaft.

So kam er zu dem, was “das Problem der zwei Vorräte” nannte. Es handelte sich dabei darum die Vorräte von zwei Güterarten im Besitz der Gesellschaft im Wege eines Preisebildungsprozesses unter Wirtschaftssubjekte, die mit “Kaufkraft” unter den erwänten Voraussetzungen ausgestattet waren, zu verteilen. Sein Suchen nach einen Lösung war vielleicht dem Anschein nach das was er später “formal” nannte. Und doch war es “substantiv” (Ich übertrage hier diese beiden Ausdrücke, wie ich sie in Kari’s Abhandlung fand in’s Deutsche.) Denn das Ziel war zu einem Preisbildungsprozesses in einer Wirtschaft zu kommen, in der die Wirtschaftssubjekte im Produktionsprozess abhängig war. Außerdem waren die zu verteilenden Gütermengen im Besitz der Gesellschaft. Das ergab eine Ordnung, die als “deliberate subordination of the economy to the ends of the human community” (ich zitierte hier wieder Kari) interpretiert werden konnte. Das wurde schon [29] damals ausgesprochen. So sagte ihm einmal Birkenfeld, dass das Wirtschaftsbild der “zwei Vorräte” sozialistischen sei. Darauf antworte Karl, dass es ihm nur Vergnügen mache zu hören, dass das Problem der zwei Vorräte, wie er es fasste, den Kapitalismus transzendiere. So zeigte sich vielleicht schon im “Problem der zwei Vorräte”, die Unterscheidung zwischen “formaler” und “substantiver” Theorie, die für sein späteres Wirken so entscheidend werden sollte.

Doch das nach der Wiener Zeit, soweit mir vorkommt. In der Zeit von der ich jetzt berichten will, (Mitte der Zwanzigerjahre) war er unter anderem mit dem “Problem der zwei Vorräte” sehr beschäftigt. Im allgemeinen folgte er der in der damaligen Grenznutzenschule übligen Vorgang. Das heiß er nahm das an, was man nach Chamberlin-Robinson (sie schrieben in den Dreißigerjahren) “perfect competition” (vollkommene Konkurrenz) nannte. Das Wirtschaftssubjekt, welches für eine Einheit einem bestimmten Güterart mehr Kaufkrafteinheiten bot als ein anderes erhielt vor jenem anderen die Gütermenge, die es nachgefragte hatte. Das wurde so lange fortgesetzt, bis der ganze Vorrat der betreffenden Güterart unter die Wirtschaftssubjekte verteilt war. Die Zahl der Kaufkrafteinheit, die das zuletzt beteilte Wirtschaftssubjekt für die Einheit der betreffenden Güterart “geboten” hatte, erschien dann als “Preis” für die Einheit der betreffenden Güterart, der für alle Wirtschaftssubjekte galt. Das war der in der Theorie übliche Vorgang. So bekamen alle Wirtschaftssubjekte Güter erhielten, (mit der Ausnahme des zuletzt beteilten Wirtschaftssubjektes) die ihnen “nachfragten” Gütermengen zu einer geringeren Anzahl von Kaufkrafteinheiten als sie “geboten” hatten – der Fall der “Konsumentenrente”. Karl nannte das “Überwertungen” weil diese Wirtschaftssubjekte, wie er es ausdrückte, die Gütereinheit “überwertet” hätten. Der Rest der Wirtschaftssubjekte ging leer aus, weil sie weniger “geboten hatten als das zuletzt betwilte Wirtschaftssubjekt. Karl sprach hier von “Unterwertungen”. Das Problem war nun von diesen “Überwertungen” und Unterwertungen für jede Güterart zu einem Mengenverhältnis zwischen einer Gutereinheit und “Kaufkraft zu kommen, bei dem die “nachfragte” Gesamtmenge dem vorhandenen Vorrat gleich war. (Equilibrium)

Als beste Lösung erschien es Karl die “Preise” die sich bei der erstmaligen Verteilung der Gütervorräte gebildet hatten, bei der folgenden Güterverteilung als Verwendungsmöglichkeiten für die Kaufkraft der Wirtschaftssubjekte zu benützen. Wenn z. B. “Preis” für einen Laib Brot 5 Kaufkrafteinheiten beträgt, so wird für den nächsten Schritt im Preisbildungsprozess das Mengenverhältnis “1 Laib Brot – 5 Kaufkrafteinheiten” als Verwendungsmöglichkeit für die Kaufkraft jedes Wirtschaftssubjektes angenommen. Jeder muss daher dieses Mengenverhältnis seiner “Nachfrage” nach Brot zu Grunde legen. Es ist nun möglich, dass die gesamt nachfragte Menge nach Brot kleinen ist als der vorhanden Vorrat. In diesem Fall wird das Mengenverhältnis ersetzt wo 1 Laib Brot weniger Kaufkrafteinheit z. B. 4 – gleichgesetzt ist. Dann wird sich – setzt man voraus – infolge der herabgesetzten Anzahl der zum Erwerb eines Laib Brotes nötig en Kaufkrafteinheiten die “Nachfrage nach Brot verwehren, und die nachfrage und vorhandene Brotmenge nähern sich einander an. Das Wird so lange fortgesetzt, bis sie identisch sind. [30] Dann ist das Gleichgewicht zwischen “Nachfrage” und “Angebot” erreicht und die faktische Verteilung des Brotvorrates kann vor such gehen. Nun kann aber bei der Annahme des Mengenverhältnisses “1 Laib Brot 5 Kaufkrafteinheiten” als Verwendungsmöglichkeit für die Kaufkraft jedes Wirtschaftssubjektes die gesamte nachgefragte Brotmenge grösser sein als der vorhandene Vorrat. Dann gilt das Gegenteil von denn was eben gesagt wurde. Der “Preise” wird langsam erhäht, bis die gesamte Menge nachgefragten Brotes so klein gewarden ist, dass sie sich an den vorhanden Brotvorrat angeglichen hat. Dann ist wieder das Gleichgewicht erreicht, unter dem die faktische Verteilung des Brotvorrates angenommen kann.

Im wesentlichen war diese Lösung eine Methode einen Preis für jede Güterart zunächst provisorisch zu erreichen und dann zu ungültigen Preisen dadurch zu kommen, dass mit jedem folgenden provisorischem Preisbildungsprozess die gesamte nachfragte Gütermenge sich dem vorhandenen Vorrat annäherte Methode wurde scheinbar von Edgeworth und Walras angewendet. Sie wollten in die Preistheorie in bestimmten Fällen “reconstruction” einbauen, bis Nachfrage und Angebot gleich geworden wären. Ich habe diese Autoren leider nicht gelesen. Doch Hicks erwähnt sie in Verbindung mit dieser Methode. Er sagte in einem kleinen Nebenabschnitt mit dem Titel: “The formation of prices. In general traders cannot be expected to know just what total supplies are available an any market, nor what total demand will be forthcoming at particular prices, any price which is fixed initially, will be only a guess. It is not probable that demand and supply will actually be found to be equated at such a guessed price: if they are not, then in the course of trading the price will move up or down. Now if there is a change in the midst of trading, the situation appears to elude the ordinary apparatus of demand-and-supply analysis: for, strictly speaking demand curves and supply curves give us the amounts which buyers and sellers will demand and supply respectively at any particular price, if that price is fixed at the start and adhered to throughout. Earlier writers, such as Walras (Walras, Elements, p. 44 – no edition indicated) and Edgeworth (Mathematical Psychics p. 17, Ausgabe nicht gegeben) had therefore supposed that demand-and-supply analysis ought to be confined to such markets as permitted of “recontract”: i.e. markets such that if a transaction was put through at the a “false” price (we shall find it convenient to have a term to mark prices other than the equilibrium price), it could be revised when the equilibrium price was reached. Since such markets are highly exceptional, their solution of the problem (if it can be called one) was not very convincing” (p. 128 J.R. Hicks, Value and Capital, 2nd edition Oxford, 1948, pp. XI and 340).

Auch dieses Zitat ist ein Beispiel dafür, wie in der heute üblichem Theorie Preise schon vorausgesetzt werden, ohne dass es gesagt wird, dass das aus ihrer Funktion als Verwendungsmöglichkeiten in Form von Mengenverhältnissen zwischen Gütermenden oder zwischen Geld und Gütermengen folgt. Daneben ist interessant, dass der Fall des “reconstructing” hier als Ausnahme behandelt wird. Bei Karl aber ist es der Hauptfall, weil man immer auf ihn stoßen muss, sobald man eine Sozialwirtschaft unter den Mindestvoraussetzungen ableiten will, wie er es getan hat. Es ist wirklich Schade, dass er nie dazugekommen ist, diese Bedeutung des Problems der zwei Vorrate zu veröffentlichen.

[31] Er war allerdings an solchen Fragen als “formal” vielleicht weniger interessiert, weil es ihm vor allem auf die sozialistische Anwendung der Theorie ankam. Und hier war das “Problem der zwei Vorräte” noch lange nicht für ihn erledigt, weil es zahlreiche Einzelfälle hatte, die er alle zum Beweis der prinzipiellen Möglichkeit einer Preisbildung und daher eines Marktes in einer sozialistischen Wirtschaft heranziehen wollte.

Im überigen tat er nur was Oskar Lange und andere entweder zur gleichen Zeit oder später getan haben, nämlich die formale Schale der Grenznutzentheorie mit einem historischen Inhalt zu füllen (ich glaube das Bild kommt von Schumpeter) und dieser Inhalt war sozialistisch.

Mir kommt auch vor, dass der junge Gaitskell, an den ich mich nur sehr dunkel erinnere bei Mises im Seminar im November 1933 einen Vortrag über sozialistische Wirtschaftsrechnung hielt, der sich auf den Linien des “Problems der zwei Vorräte” bewegte, und über den Mises nicht erbaut war. Das Referat war gewiss unter Karl’s entscheidenden Einfluss. Ich kann mich noch genau erinnern wie er mir einmal, es war möglicherweise 1925 – Wieser in diesem Zusammenhang zitierte. Er saß mit einem Buch Wieser’s in der Hand auf dem grau überzogenem, der im Mittelzimmer zwischen Bibliothekskasten und Fenster stand, aus dem schon am 30. April abends die rote Fahne ausgesteckt war. Vor dem Diwan stand der Schreibtisch mit Manuskripten und Zeitungsausschnitten für den Volkswirt und oft lagen auch doch Bücher. Eines davon war eben dieses Buch von Wieser, wo er verschiedene Abhandlungen gesammelt herausgegeben hatte, in einer dieser Abhandlungen kann vor, dass die Zeit kommen würde, wo die Sozialisten ihre Ablehnung der Grenznutztheorie aufgeben würden, weil sie ja den Sozialismus als Weltanschauung nicht ausschließe. Im Gegenteil die Sozialisten würden die Grenznutzentheorie “besetzen” um sie für ihre Zwecke zu verwenden. Karl war gewiss einer der ersten der im Streben nach einer sozialistischen Preisbildung die Grenznutzentheorie “besetzt” hat. Wenn er es, wie ich glaube, das auch nicht veröffentlich hat, weil er zumindest ich weiß, nicht dazu kam, so soll doch seine “Besetzung” dieser von vielen Sozialisten damals als “bürgerlich” angesehenen Theorie hier festgestellt werden.

Die “Besetzung” der Grenznutzentheorie vollzog sich großenteils in damals in dem exakten Durchdenken der möglichen Falle des Problems der zwei Vorräte. Immer wieder tauchten neue Varianten dieses Problems auf, die behandelt werden wollten. “Ja wenn man an der Sache tüchtig weiter arbeitet, kann man schon zu etwas dabei kommen”, sagte er eines Abends als er nicht unzufrieden einen Fall des Problems des zwei Vorräte rekapitulierte. Er war im Bett nach einer Grippe, die ihm an den Rand einer Lungenentzündung gebracht hatte, aber glücklicherweise ohne Kompilation vorübergangen war. Auf dem Nachttischen neben dem Bett lagen einige Bücher. Dahinter war die Türe, die in das Zimmer der Nene führte. Auf dem Bett war eine kleine Katze, die Ihr zur Gesellschaft Kari’s in’s Haus genommen hattet. Das Tier war irgendwie rotgelb. (Ginger würde am hier sagen). Die Katze war noch sehr jung und daher so klein, dass sie bei ihren Wanderungen auf der Bettdecke öfters zwischen Bettkante und Wand fiel. Dann miante sie mit schwacher und hoher Stimme worauf Karl sie wieder auf die Bettdecke setzte. Später wurde aus der kleinen Katze ein großer Kater, der sich im Klosterneuburger Strandbad im folgenden Sommer selbständig machte. Doch vorläufig war noch Winter und Karl war froh, dass die mit der Grippe verbunden “greulichen Kopfwehs”, wie er sagte, ihn jetzt nicht mehr plagten. So war er, wenn auch noch nicht ganz hergestellt, wieder obenauf.

[32] Das zeigte sich besonders als einer der Zuhörer seiner Erörterungen über den eben behandelt Fall des Zweivorräteproblems etwas kleinlaut fragte: “Was ist da eigentlich mit der Marxistischen Wertlehre?” “Ja, was ich da sage (er meinte den soeben diskutierten Fall des Zweivorräteproblems – ich kommt auf dieses Problem später zurück) bestätigt ja nur die subjektive Schule” erklärte er. “Nimmt man Knappheit der Güter an, dann ist die subjektive Theorie der Marxistischen Wertlehre einfach überlegen. Aber wenn man keine Knappheit annimmt, dann kommt nur die Marxistische Theorie in Frage. Und im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts über den Marx schreibt nehmen die Kapitalisten nie Knappheit an Arbeitern an. Sie glauben immer, dass doch noch einer da ist, wenn sie einen wollen. Das ist natürlich nur eine Illusion der Kapitalisten aber Marx hat sie ernst genommen. Er wollte zeigen, was dabei herauskommt, wenn man das tut. Da braucht an dann für den Wert oder Preis etwas “objektives”, weil ja keine Knappheit besteht. Deswegen ist hier, aber nur hier die Marxistische Wertlehre am Platz. “So ungefähr habe ich noch das im Ohr, was Karl bei dieser Gelegenheit sagte. Diese Interpretation nicht nur an Karl’s Auffassung der Objektivationen, die er wie Marx zum Teil als Ausdruck von Illusionen der Kapitalisten ansah. Abgesehen von der Beziehung zu dem Objektivationen kündigte sich in Karl’s Interpretation der Marxistischen Wertlehre sein späteres Wirken an. Denn in der “Transformation” hat er ebenfalls die sich angeblich selbst regulierende Marktwirtschaft ernst genommen, indem er ihr Wirken ohne jede hindernde Intervention annahm. Er zeigte, dass die Marktwirtschaft infolge der in ihr inhärent vorhandenen Kräfte sich als untragbar erweisen musste und deshalb die Gesellschaft in einer Art Selbsterhaltungstrieb die Marktwirtschaft des 19. Jahrhunderts nach und nach durch Intervention so einschränken musste, bis schließlich sehr wenig von ihr überig blieb, und er als Resultat dieses Prozesses feststellen konnte: “Nineteen century civilization has collapsed” (Wie ihr wisst ist das der erste Satz in der “Transformation”). Ich habe hier etwas berührt, worauf ich erst im dritten Abschnitt zurückzukommen beabsichtige. Doch möchte ich nur noch hinzufügen, dass seine schon damals zu Tage tretende Argumentation den Kapitalismus “ernst zu nehmen” sich in das große marxistische Schema einfugt, dass zeigt, wie der Kapitalismus, wenn man ihn nicht irgendwie reguliert (und Marx setzte einen unregulierten Kapitalismus voraus) schließlich untragbar wird und daher verschwindet. Der Gedenkengang Karl’s bezüglich der Marktwirtschaft und die Marxistische Theorie vom Zusammenbruch des Kapitalismus erscheinen mir daher sehr verwandt zu sein. Ich führe das schon hier an, weil ich mich so weit als möglich bemühen will darzustellen, wie sich sein späteres Wirken schon Jahrzehnte vorher ankündigte. Leider ist davon, soweit ich weiß, nichts veröffentlicht. Auch scheint seine Einstellung zu Marx, weil er ja nicht nur die Wertlehre, sondern auch das orthodoxe Festhalten an jedem Gedanken des Marxismus ablehnte, vielfach nicht genügend verstanden worden zu sein.

Charakteristisch war vielleicht eine Bemerkung als wir spät an einem warmen Juni oder Juliabend 1924 vom “Seminar” nach Hause gingen. Es war eine schöne milde Sommernacht. Wir waren noch in der Vorgartenstrasse und gingen in der Richtung gegen die Lassallestrasse. Man kam so einem kleinen Park – ich glaube er hieß Volkswehrpark und 1934 standen dort, wenn ich mich richtig erinnere, die Kanonen mit denen der Goethehof beschossen wurde – wo die Endstad[ien] [33] der Strassenbahn (Linie 5) war, mit der wir nach Hause fahren wollten. Niemand sprach zunächst ein Wort. Zumindest ich, aber wahrscheinlich auch die anderen genossen die herrlichen Duft, den die Pflanzen im Reservegarten der Stadt Wien, der an die Vorgartenstrasse anstieß, ausströmten. Aber als wir fast schon Ecke Vorgartenstrasse-Lassallestrasse erreicht hatten, brach einer das Schweigen (ich glaube, es war Bock) und sagte: “Was lässt er (Karl war gemeint) von Marx überig?” Nach einiger Zeit antwortete einer (ich weiß nicht mehr wer): “Eigentlich gar nichts.” Wären wir nicht alle unter 23 gewesen, und wären wir daher reifer gewesen, so hätte wahrscheinlich zumindestens einer geantwortet “Eigentlich alles.” Das Wort “alles” würde hier die historische Betrachtungsweise gemeint haben. Trotzdem Karl sich viel mit formaler Grenznutzentheorie befasste, war er sich dessen bewusst, dass er sie unter sozialistischen, d.h. unter bestimmten historischen Voraussetzungen anwendete, weil er ja mit Hilfe dieser Theorie einen Preisbildungsprozess in einer sozialistischen Wirtschaft ableiten wollte. Jahre bevor er, wie Du Kari in Deinem schönen Artikel schreibst, “crossed the line into the disciplines of economic anthropology” war sein “approach” schon “substantive” weil immer an bestimmten historischen Wirtschaftsformen interessiert. Und das war marxistisch und ist so durch ganzes Leben geblieben. Auch hier kann man die Verbundenheit seines früheren und späteren Wirkens erkennen.

Doch noch diesem Abstecher zurück in Euere Wohnung in die Vorgartenstrasse, wo Du Kari ja so schöne Kindheitsjahre verbracht hast. Die Diskussionen wurden nicht selten durch das Läuten des Telephones unterbrochen. Es war über dem Schreibtisch zwischen den beiden Fenstern des Mittelzimmers an der Wand angebracht. Sehr oft war jemand vom “Volkswirt” am Apparat, nicht selten Walter Federn, der Herausgeber. Der “Volkswirt” war wie Ihr ja wisst ein bürgerliches Blatt, aber doch der Linken und insbesondere der Sozialdemokratie nicht schlecht gesinnt. Karl konnte dort leicht arbeiten, ohne seine Prinzipien zu verleugnen. Federn war ein Liberaler, aber nicht im Sinne was man wirtschaftlichen “Liberalismus” nennen könnte. Für ihn bedeutete Liberalismus vor allem, was die Französische Revolution als “Menschenrechte” bezeichnete. Freiheit des Wortes erachtete er als lebenswichtig. In mancher Hinsicht erinnerte er an die Nene. Ebenso wie sie war er von einer Atmosphäre von Milde. Güte und Würde umgeben. Mit seiner feinen schmalen Nase und dem angegrauten Bart sah er wie ein biblischer Patriarch in moderner Kleidung aus. Ein überzeugter Demokrat seit jeher, bekannte er sich in der Emigration nach 1938 als Sozialist. Seine Stellung wurde natürlich mit der wachsenden Reaktion immer schwieriger. Knapp bevor oder nach dem Februar 1934, als die letzten Reste der demokratischen Republik in Österreich unterdrückt wurden, musste er als Herausgeber zurücktreten. “Mit Trauer und Schmerz stehen wir an der Bahre”. (der Demokratie) “schrieb der “Volkswirt” nach den Februarereignissen und gab damit seiner Missbilligung der Aufrichtung eines vollen faschistischen Regimes unerschrocken Ausdruck. Trotzdem Federn unter dem Druck des Faschismus sich als Herausgeber zurückziehen musste, konnte er in der Redaktion bleiben. Er ging in den für ihn so schwierigen Jahren 1934-38 immer bis gerade zur Grenze des Möglichen. Leider habe ich nur 2 Nummern des Volkswirtes. Sie zeigen wie Federn den Geist des freien Wortes trotz Unterdrückung für diejenigen, die zwischen den Zeilen zu lesen verstanden, aufrecht halten konnte. Ich werde das später an einigen Zitaten aus dem Volkswirt zu zeigen versuchen. 1938 musste er als “Nicht-Arier”, wie man damals sagte, aus dem Volkswirt ausscheiden. Glücklicherweise entkam er. Ich glaube, dass er noch den Zusammenbruch des Faschismus erlebte. 1938-1939 [34] lernte ich seinen Neffen in Buchenwald kennen, der sieben Jahre Konzentrationslager wunderbarerweise überlebte. Er konnte sich nicht genug darüber freuen, dass sein Onkel in Sicherheit war.

Walter Federn brachte nun Karl wie ich glaube im Frühjahr oder Sommer 1924 zum Volkswirt. Der Grund scheint mir gewesen zu sein, dass Gustav Stolper, der jahrelange Mitherausgeber des Volkwirtes ein ähnliches Wochenblatt, den Deutschen Volkswirt, gründete. Federn hätte keine bessere Wahl zum Ersatz Stolpers treffen können. Er war sich dessen auch bewusst. “Polanyi ist der genialste Mensch, den ich je gekannt habe” sagte er mir, als ich ihn kurz vor meiner Verhütung im April oder Mai 1938 besuchte. In der Tat schien Karl bald Federn’s alter ego geworden zu sein. “Zuerst war es etwas schwierig” sagte er einmal zu mir, “aber später ist es leicht geworden. Es sind ja immer die gleichen Problem, mit denen man zu tun hat.” Er war außenpolitischer Redakteur. Jeden Tag kam die Times, die Arbeiter-Zeitung und die Reichspost in’s Haus. “Leider muss ich sie lesen meinte er einmal von der letzteren. Er zeichnete sich gewisse Artikel oder Nachrichten an, die er dann ausschnitt, und in seine beim Volkswirt sprichwörtlich gewordene Aktentasche legte. Die packte er Dienstagvormittag in der wöchentlichen Redaktionssitzung aus. Da wurden nicht nur die Artikel, die in der nächsten Nummer erscheinen sollten, festgelegt. Es wurde auch beschlossen worüber die sogenannten “Glossen” erscheinen sollten. “Eine Glosse muss so aussehen wie die andere, man soll nicht sehen können, wer sie geschrieben hat” sagte er einmal, als er gerade eine ausarbeitete. Ich glaube Karl freute die Arbeit beim Volkswort ungemein. Er war viel mehr als nur der außenpolitische Redakteur. Er war in Wirklichkeit, wie gesagt, Federns rechte Hand. Manchmal kam das auch äußerlich dadurch zum Ausdruck, dass er bei verschiedenen Anlassen als Chefredakteur bezeichnete wurde. Und das war er in der Tat. Nicht nur war er der Herausgeber, wenn Federn auf Urlaub oder krank war. Er ging auch am Dienstag nach jeder Redaktionssitzung mit zwei oder drei Mitarbeiten in das unweit von der Redaktion – sie befand sich in der Porzellangasse 27 – gelegene Kaffeehaus “Bauernfeld”, Dort hielt er noch eine kleine Nachredaktionssitzung, wo er das in der Porzellangasse festgelegte in gewissen Details ausführte.

Obgleich Karl immer den Volkswirt da war und eigentlich keine streng abgegrenzte Arbeitszeit hatte, war es für Euch alle, wie ich glaube, eine glückliche Zeit. Die Glossen mussten unpersönlichen geschrieben sein, aber in seinen Artikeln konnte er in seinem ihm eigenen Stil schreiben. Leicht fasslich und doch mit tiefer Sachkenntnis geschrieben fielen sie auf und wurden natürlich vor allem von den Gegnern gelesen. Die unpersönlichen Glossen zu schreiben fand er manchmal schwer. Ich erinnern mich noch an einen Anlass im März 1927. Am Anfang Marz 1927 wurde im Arsenal, wie Du Dich liebe Ilona vielleicht noch erinnern wirst, er Einbruch entdeckt (die Arbeiter-Zeitung behauptete der Einbruch sei gestellt worden) und bei dieser Gelegenheit ein Waffenlager des Schutzbundes beschlagnahmt. “Vaugoins verrückter Putsch” oder so ähnlich war damals im “Abend”, einem Linksblatt, als Schlagzeile zu lesen. Karl hatte eine Glosse darüber zu schreiben. “Das ist schwer” sagte er, wieder an den grünen Ofen gelehnt. Doch brachte er die Glosse nach einigem Nachdenken zustande und diktierte sie Dir in die Maschine – Ich glaube Du liebe Ilona, hast auch beim Volkswirt zeitweise mitgearbeitete. 1924 hast Du, wie ich glaube, nach einer Reise in das schon damals faschistische Italien über Deine Eindrucke im Volkswirt geschrieben. Mir kommt vor, dass es drei Artikel waren, Es war entweder knapp vor oder nach der Ermordung Mateotti’s. Neben der faschistischen Partei bestanden noch andere Parteien legal. Aber das Einparteiensystem war schon sehr nahe. Ich weiß noch wie Karl sich [35] über Deine bevorstehende Rückkehr freute. “Jetzt ist sie schon über der Grenze” sagte er mir eines Abends, als ich gerade bei ihm war.

Leider habe ich aus diesen Jahren keine Artikel von ihm, so dass ich nichts zitieren kann. Doch besitze ich zwei Artikel aus der späteren Zeit, als sich die Reaktion schon ganz Europa sehr geltend machte. Da möchte ich in der zweiten Halfte dieses Abschnittes, der von diesen Jahren handelt etwas zitieren. Vielleicht wirst Du liebe Ilona, wenn Du nach Wien kommst in einer Bibliothek die Artikel von ihm finden. Sie müssten heute gut und lehrreich zu lesen sein.

Die Arbeit beim Volkswirt hat ihn in seinem theoretischen Schaffen gewiss nicht gestört, sondern eher angeregt. Zumindestens riet er mir einmal in einer theoretischen Erörterung den wirtschaftlichen Teil von Zeitungen zu lesen, weil Theorie ohne Wirklichkeitsnähe nicht viel Sinn habe. Und das bringt mich wieder zu Karl’s theoretischen Diskussionen, Sie drehten sich damals zum großen Teil um das “Durchdenken”, wie er es sagte, des Problems der zwei Vorräte in seinen zahlreichen Sonderfällen. Wie bereits erwähnt handelte es sich darum einen Vorrat, der aus mindestens zwei Güterarten bestand unter die Wirtschaftssubjekte zu verteilen, von denen jedes über eine bestimmte Kaufkraftmenge verfügte. Dazu waren Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Güterarten als Verwendungsmöglichkeiten für die Kaufkraftmenge jedes Wirtschaftssubjektes gegeben. Ja nach dem zu betrachtenden Fall bestand der Gutervorrat aus zwei Konsumgüterarten (Konsumgüter wurden als Güter in verbrauchbarem Zustand definiert) oder aus zwei Produktionsmittelarten (Güterarten, die erst durch einen Umvandlungsprozess (dem Produktionsprozess) in verbrauchbaren Zustand versetzt werden müssen) oder der Vorrat bestand aus einer konsumguterart und einer Produktionsmittelart, oder aus zwei Produktionsmittelarten oder er bestand aus Güterarten, die zu verschiedenen Zeitpunkten verfügbar wurden usw. kurz eine Fülle von Fällen bot sich dar.

So verschieden sie auch waren, eines hatten sie gemeinsam. Für jedes Wirtschaftssubjekt wurde in jedem Fall eine Kaufkraftmenge und Mengenverhaltnisse zwischen Kaufkraft und Güterarten als Verwendungsmöglichkeiten für seine Kaufkraftmenge angenommen. Daher konnte jedes Wirtschaftssubjekt in jedem Falle wählen für welche Gütermengen es seine Kaufkraft ausgeben wollte, Insbesondere bestand kein Unterschied zwischen Konsumgütern und Produktionsmittels in dieser Hinsicht. Für beide Güterarten mussten Mengenverhaltnisse zwischen ihnen und der Kaufkraft unableitbar angenommen werden. Denn diese Mengenverhaltnisse sind Verwendungsmöglichkeiten für die Kaukraftmengen im Besitz der Wirtschaftssubjekte. Keine Notwendigkeit bestand die Mengenverhältnisse zwischen Produktionsmitteln und Kaufkraft von Mengenverhaltnissen zwischen Konsumgütern und Kaufkraft abzuleiten. Hätte man aber eine solche Ableitung von den “Bedürfnissen” (ein nebelhafter Begriff) der Wirtschaftssubjekte aus versucht, dann hätte sich ergeben, dass sich die Bedürfnisse nur in der Wahl der Wirtschaftssubjekte zwischen Verwendungsmöglichkeiten ausdrücken können.

Eine Wahl ist aber ohne Voraussetzung von Verwendungsmöglichkeiten zwischen denen man zu wahlen hat, nicht denkbar. So kommt man auch von den “Bedürfnissen” aus wieder zur Wahlhandlung. Was außerhalb dieses Zusammenhanges die Bedürfnisse sind, ist für die Wirtschaftstheorie nicht interessant, weil es außerhalb ihres Gebietes liegt. Ähnlich war es vielleicht möglich die Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und bestimmten Konsumgütern in die Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und denjenigen Produktionsmittelarten zu auspalten, aus denen die Konsumgüterarten gestellt wurden. Doch auch eine solche Konstruktion wäre außerhalb der Wahlhandlung der Wirtschaftssubjekte zwischen Verwendungsmöglichkeiten und wäre daher außerhalb der Wirtschaft, und damit belanglos.

[36] Von diesem Aspekt erscheint die Forderung den Wert oder Preis der Produktionsmittel von Wert oder Preis der Konsumgüterabzuleiten, zu denen Herstellung sie verwendet wurden, weil nur Konsumguter direkt Bedürfnisse befriedigen können, auf einem Mißverständnis zu beruhen. Karl selbst war überrascht, dass ihm diese Frage – das “Zurechnungsproblem” wie es die “österreichische Schule” der grenznutzenlehre nannte – nicht begegnete. “Wo bleibt eigentlich das Zurechnungsproblem?” frage er sich. Doch zu dieser Zeit war das noch nicht im Vordergrund seines Interesses. Er war wahrscheinlich froh, dass sich die Falle des Problems der zwei Vorrate, die ja für ihn Fälle einer sozialistischen Preisbildung waren, ohne die Komplikation zusätzlicher Fragen, wie des “Zurechnungsproblem” lösen ließen. Erst einige Zeit später kam er auf diesen Fragenkomplex zurück.

Doch etwas anderes fesselte damals bei der Erörterung der Falle des Problems der zwei Vorräte seine Aufmerksamkeit. Ihm fiel auf, dass das was er “Kaufkraft” nannte dem “stoffwertlosen” Geld Knapps sehr ähnlich sah, und dass “Kaufkraft”. Das setzte er in Gegensatz zum “Warengeld”, das nur Geld war, weil es durch die Wahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte zum Tauschmittel machten. Damit war er vom Problem der zwei Vorräte zu einem Begriffspaar gekommen, das sich bald zum Paar zweier Typen von Sozialwirtschaft bei ihm entwickelte. Er nannte diese sozialwirtschaftlichen Modelle “Tauschwirtschaft” und “Kaufkraftwirtschaft”. Dieses Begriffspaar lässt sich in Arbeiten deutlich verfolgen. Doch davon möchte ich hier nicht mehr sprechen, ich hoffe mit seinem “Tauschwirtschaft-Kaufkraftwirtschaft” Theorem, wie er nannte, die zweite Hälfte diese Abschnittes zu geginnen, Geld war, das unbleitbar als Vorrat gesetzt war und daher nicht durch die Wahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte geschaffen war, sondern im Gegenteil schon eine Voraussetzung für die Denkbarkeit der Wahlhandlungen war. (Die Lage bezüglich der Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Güterarten ist ähnlich, wie früher erwähnt.)

Third Letter: 23 April 1965

Second 'Part' / Fourth Letter: 15 February 1966

Third 'Part'

Fifth Letter : 10 June 1966

Sixth Letter: 25 July 1966


Deutscher Text zum Tippen

Seventh Letter: 12 October 1966

Text Informations

KPA: 29/09

Editor's Notes