Von Ilona Duczyńska bis Felix Schafer (15. Februar 1973)

From Karl Polanyi
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Deutscher Text zum Nachlesen

[80] Meine teuer Wawi,

Verzeihe mir, dass ich erst jetzt schreibe. Der “Endspurt" mit meinem Buch ist ein Grund. Der andere ist ein gewissen Kopfzerbrechen über Dein Manuskript. Ich habe es bekommen und Kari wie ich haben es gelegen. Ich bin freilich nur für Form und Ausdrucksweise zuständig und da ist es mir schon klar, dass eine so ungemein “deutsche", d.h., systematisierend-formelle Behandlungsweise keine Chancen hat. Dalton schreibt, in solcher Kürze könne man auch Dinge die dem englischsprechenden Leser unbekannt sind, da sie nie auf Englisch, erschienen sind, nicht behandeln. Hier habe ich den Gewissensbiss, denn ich habe ja auf Kürze gedrängt. Freilich, was ich meine, ist in Kürze das Wesen wieder geben. In freier Formulierung, gewiss nicht an der Systematik hängend. (Wenn ich nicht so überzeugt wäre, dass das Schreiben eine verflixt schwere Profession ist und wenn ich nicht z.B. mein Erstes Kapitel von 50 Seiten viermal, und das Zweite nicht zweimal neu geschrieben hätte, dann täte ich mich nicht traun, mit diesen Weisheiten angedrückt zu kommen. Die grösste Seltenheit ist, dass etwas Geschrieben aufs Erste "Sitzt". In Karls nachgelassenen Schriften finden wir nicht selten 7, 8, 9, 12 Versionen… er hat das auch übertrieben. Dein Manuskript ist eine ausgedehnte Synopsis von etwas, das nicht "geschrieben" ist. Und das kann in der Tat niemand statt Dir tun, auch Kari nicht. Soweit also über “Form”; über “Inhalt” bin ich ha, als Nichtökonomin nicht zuständig, möchte aver sagen, dass hier die zwei Zuständigen weit auseinandergehen. Dalton meint, was hat es schon für ein Interesse, was Karl Polanyi in den Zwanzigerjahren in Wien gedacht hat? That is a very poor view to take on the history of ideas, seien sie ökonomischen oder nicht.

[81] Ich versuche Dir wiederzugeben, was Kari gesagt hat. Ein grosser Mensch, wie K.P., habe auch nur eine ganz begrenzte Zahl von grundlegenden ideen. Sie wandeln sich ab, aber sie kommen doch aus ein un und derselben "matrix" (so würde es Karl gesagt haben); und ihre Abwandlungen zu erfolgen ist wesentlich und wird noch oft versucht werden. Viele werden darüber noch schreiben und jeder in seiner eigenen Art. Sie ist durchaus dafür, dass Du deine Arbeit wirklich schreibst und veröffentlichst. Ich bin voll und ganz ihrer Meinung.

Eine kleine kritische Bemerkung meinerseits zum "Ton". Man merkt, dass Du dert, wo Karl sich auf Marx bezieht, oder wo seine tiefliegende sozialistischen Ueberzeugung zum Ausdruck kommen sollte, einen apologetischen Ton anschlägst. Warum? Wegen der Scheissamerikaner? Sowas wie ein Leisetreten wäre sicher kein glücklicher Beitrag zu Karls "image".

Aber jetzt noch zu etwas, was mir sehr wichtig scheint. Dalton war tief beindruckt von den letzten, persönlichen Seiten Deiner schrift. Er wusste nicht, dass Dein Memoir über Karl existiert -- jeder, ausnahmslos jeder der das gelesen hat, war davon entzückt. Ich schlage vor, dass es in gekürzer englischer Fassung (die ich gerne machen und Dir zur Ueberprüfung geben möchte) unter Deinem Namen als Teil der breiten Biographie erscheint, die ich mit noch Zuziehung von anderen Feunden (so Kenneth Muir in England über die zeit der Christian Left) produzieren soll. Dort sollen die verschiedenen Lebensstationen die ja auch gedanklich ihre eigene Prägung hatten -- Budapest mit dem Galilei Verein, Wien, mit D'Orsaygasse, Volkswirt, Vilksheim, Vorgartenstrasse, London mit der Christian Left, Pickering mit dem Lebensabend und seinen Bestebungen alle aufscheinen. Es ist für den Band "The Social Philosophy of Karl Polanyi, 1908-1964 gedacht, der dann die ausgewählten [82] teils unveröffentlichten, teils vergesenen, teils posthumen Schriften enthalten soll und eine Studie von Karl, die ja auch die Redaktion übernimmt. Die bekannten Schriften und die Zeit von Columbia University des Bildes zu dem sein, was sowiese vorhanden ist.

Das Artikel - und anderes Material, Fragmente, Briefs etc. liegt schon lange beisammen. Braucht aber Uebersetzung - und Redigierungsarbeit.

Ich hoffe das Schutzbunduch in wenigen Monaten abgewimmelt zu haben und habe auch eine recht gute Kofnung für Veröffentlichung bei einem mir äusserst sympathischen Verlag. So dass Kari und ich schon im Spätfrühjahr oder Frühsommer an dieses schöne Werk heranzugehen hoffen. Wir können es ja nur zusammen machen, schon wegen der Dreisprachigkeit der Texte und weil es in erster Linie Karis "pigeon" ist.

Pläne: Dieser Tage nach Pickering zurück. Einen Monat dort. Hoffe Ende Märze bis ende April einen Besuch in Europa zu machen, hauptsächlichen wegen Verlag. Dann wieder Pickering und Montreal für gut ein paar Monate. - Dein Manuskript ist bei Kari. Ihre Adresse für alle ist: Professor Kari Levitt, Department of Economics, McGill University, Montreal, Que. Canada.

Ich umarms Euch.

Brief Informationen

KPA: 58/11, 80-82
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