Remarques (Christianisme et vie économique)

From Karl Polanyi
Jump to navigation Jump to search


Texte en allemand à traduire en français

A. La Chrétienté est-elle en lien avec la « question sociale » ?

[17] Die Antwort wird Ja oder Nein sein, je nach der grundlegenden Natur der zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gegeben Gesellschaft.
In einer wesentlich nicht christlichen Gesellschaft hat das Christentum keine Beziehung zu einzelnen zu oder spezifischen sozialen Fragen.
In einer wesentlich christlichen Gesellschaft hat die Beziehung des Christentums zu sozialen Fragen eine Tatsache und eine Notwendigkeit.
Das Christentum als solchen hat keine Beziehung auf soziale Fragen. Diese sind, wie schon ihr Name sagt, Einzelfragen, spezifische Fragen, während das Christentum auf das menschliche Dasein als Ganzes bezogen ist, das heisst die Beziehung von Mensch zu Gott ist.

In menschlichen Dingen bezieht sich das Christentum auf den Einzelnen in der Gemeinschaft. Keine spezifischen menschlichen Bande, auch nicht Nation, Kirche oder Familie können dem Ruf nach Gemeinschaft ebenbürtig zur Seite stehen.

Selbst die Gesellschaft, insofern sie bloss ein Komplex von materiellen, psychologischen und technologischen Faktoren ist, ist für das Christentum belangles. Nur die Gesellschaft als Ganzes, das heisst, als eine persönliche Beziehung von Individuen ist die Erfüllung unserer Beziehung zu Gott.

Soziale Fragen beziehen sich wieder auf das Individuum, noch auf die Gesellschaft als Ganzes. Sie sind für den Christen nicht relevant. Er muss konsequent ablehnen, ihre Bedeutung anzuerkennen.

Zusammenfassend:

  1. Das Christentum betrifft die Beziehung des Menschen zu Gott.
  2. Diese Beziehung kann nicht anders existieren als innerhalb der Beziehung der Menschheit zu Gott.
  3. Die Beziehung der Menschheit zu Gott erfüllt sich in der Gesellschaft als Ganzes als eine persönliche Beziehung zwischen Individuen.
  4. Kein partieller oder spezifischer sozialer Aspekt des gesellschaftlichen [18] Seins kann für den Christen, abgetrennt von der Gesellschaft als Ganzem, Wirklichkeit haben.

Gesellschaft als Ganzem, Wirklichkeit haben.
Dieses war die Haltung Jesu angesichts der Gesellschaft seiner Zeit. Er rief den Einzelnen, das Individuum, auf, die Gesellschaft zu verlassen - sein Volk, seine Kirche, seine Familie zu verlassen und eine neue Gesellschaft zu gründen. Jesus folgen hiess, ihm auf einem Weg folgen, der aus der Gesellschaft hinaus führte.

Wenn aber der Zustand der Gesellschaft ein Ausdruck der richtigen Beziehung der Menschheit zu Gott ist, dann werden „soziale Fragen” zu einem integrierenden Bestandteil des Lebens des Einzelnen in der Gemeinschaft. Dann kommt dem Christentum eine positive Beziehung zu ihnen eine positive Beziehung zu der „Lösung” dieser Fragen.

B. Y a-t-il une sociologie chrétienne ?

Um zu finden was unsere Beziehung zu Gott ist müssen wir versuchen, die tatsächliche Beziehung der Menschheit zu Gott zu verstehen. Jede Art Wissen über die Gesellschaft bezieht für den Christen ihre Bedeutung daraus, ob und welches Licht es über diesen über alles wichtigen Punkt zu verbreiten vermag. Das versteht man darunter, die Zeichen der Zeit zu deuten.

Die Zeit in diesem Sinne bedeutet die tatsächliche Beziehung der Menschheit zu Gott, den konkreten Inhalt der Gemeinschaft in einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort. Das heisst jene tatsächlichen Beziehungen zwischen den Menschen, nach welchen Gott den Menschen beurteilt.
Das verborgene Wesen der Zeit wird uns nie ganz offenbar. Aber wir dürfen keine Mühe scheuen ihre Zeichen zu lessen, mit der Hilfe von soviel Licht als uns zugänglich ist.

Dieser Aspekt des Wissens über menschliche Dinge ist es allein, der uns hier beschäftigt. Christliche Soziologie bedeutet entweder ein Wissen über die Gesellschaft als Beziehung zwischen Menschen das es uns möglich macht den konkreten Stand der Gesellschaft ins Beziehung zu bringen zum Willen Gottes, oder sie ist völlig bedeutungslos.
Offenbar ist ein Voraussetzung einer solchen Einstellung zum Problem der christlichen Soziologie, dass die Bibel in der Tat eine Theorie der Gesellschaft enthält, und zwar im Sinne einer sozialen Ethik die festlegt, wie die Gesellschaft sein soll.

[19] Enthielte die Bibel keine soziale Ethik, so wäre es sinnlos anzunehmen, man könnte in ihr einen Ausdruck des Willens Gottes in Bezug auf die Gesellschaft finden. Es wäre das eine unmögliche Aufgabe, denn ein solcher Wille wäre nicht vorhanden.

(Unter Gesellschaft verstehen wir stehen hier die objektiven Formen der Gemeinschaft, das heisst, etwas worauf Ethik Bezug hat. Auf die nicht menschlichen, also technologischen, psycho-psychiologischen oder materiellen Aspekte der Gesellschaft kann Ethik, selbstredend, nicht bezogen werden.)

Hier weichen wir also von dem (zu untersuchenden) Bericht ab. Seine kategorische Behauptung, „dass wir in der Bibel keine systematische Soziologie vorfinden, weder im Sinne einer Theorie der Gesellschaft wie sie ist, noch im Sinne einer Sozialethik, die festlegen würde, wie die Gesellschaft sein soll” ist entweder nichts sagend oder falsch. Es ist nichtssagend, wenn das Beiwort „systematisch” oder der formale Charakter der Wissenschaft der Soziologie überbetont wird. Denn wer würde eine klar ausgesprochene Wahrheit unbeachtet lassen nur weil sie weniger „systematisch“ oder „wissenschaftlich“ ausgedrückt ist als sich unsere soziologischen Standardwerke auszudrücken einbilden? Wenn aber der Behauptung des Berichtes heissen soll, dass die Bibel keine Sozialethik enthält, dann müssen wir widersprechen. Es wäre richtiger zu sagen, die Babel besteht aus dieser Sozialethik, - ausser Beziehung dazu „wie die Gesellschaft sein soll”, unseres Erachtens mit Unrecht. Übrigens ist die Theorie darüber, wie die Gesellschaft sein soll unlösbar verbunden mit der Theorie darüber, wie die Gesellschaft ist. Weder im alten, noch im neuen Testament ausser Beziehung zu der Gesellschaft wie sie ist. Die Gesellschaft wie sie ist, ist nichts anderes als die Gesellschaft, die so sein sollte, wie Gott sie haben will. Dieses „seins sollte” wirkt an dem was „ist”, kann das was „ist” unter Umständen zerschmettern. Die Bibel enthält somit wesentliches Wissen sowohl über die Gesellschaft wie sie ist als auch über die Gesellschaft, wie sie sein soll.

Doch will diese Stelle des Berichtes vielleicht nur zum Ausdruck bringen, dass die Bibel uns keine Antwort gibt auf die „sozialen Fragen” im spezifischen Sinne des Wortes. Das ist, wie wir anfange [20] gezeigt haben, wahr. Aber der Grund dafür liegt nicht darin, worin ihn der Bericht erblickt, sondern in seinem Gegenteil. Die sozialen Fragen sind darum irrelevant, weil kein Teilaspekt des Lebens des Einzelnen in der Gemeinschaft abgetrennt werden kann vom menschlichen Sein als Ganzes. Das ist die Sozialethik der Bibel. Nicht der Mangel an einer Sozialethik ist es also, der das Christentum gegenüber den „sozialen Fragen” gleichgültig macht, sondern gerade der Inhalt dieser Ethik.

Können wir die Zeichen der Zeit deuten, das heisst, die tatsächliche Beziehung der Menschheit zu Gott?
Den Christen bewegt vor allem der Wunsch, seine tatsächliche Beziehung zu Gott zu erkennen. Die christliche Lehre sagt, dass diese Beziehung unzertrennlich ist von seiner Beziehung zu seinen Brüdern. Das unterliegt der christlichen Auffassung der Gesellschaft.
Eine christliche Soziologie muss daher Wege finden, um unsere tatsächlichen Beziehungen zu unseren Brüdern an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit aufzuzeigen.
Bis zu einem gewissen Grade mag diese Beziehung für verschiedene Individuen innerhalb der Gesellschaft verschieden sein. Aber in ihren Grundzügen ist diese Beziehungen für jede besondere Gruppe von Perschen in jeder besonderen Form einer Gesellschaft identisch, denn die notwendig und naturgebunden Beziehungen - zu welchen auch die wirtschaftlichen Beziehungen gehören - sind für die Mitglieder dieser Gruppe identisch. Ausserdem sind bis zu einem gewissen Grade diese notwendigen Beziehungen für jedes Mitglied einer besonderen Form einer Gesellschaft identisch Rücksicht auf seine relative Stellung innerhalb dieser Gesellschaft. Bis zu diesem Grade kann also kein Einzelner der Verantwortung für den Weiterbestand jener besonderen Form der Gesellschaft entgehen.
In einer primitiven Gesellschaft, wie es die der alten Juden war, lagen die Dinge ziemlich einfach. Die alten jüdischen Gesetze legten die Art der Gemeinschaft fest, in der Gott wollte, dass sein ausgewähltes Volk lebe. Wichen die Juden vom vorgezeichneten Wege abäso war es ein Leichtes zu sehen, in welchen Punkt und bis zu welchem Grade sie sich gegen das Gesetz vergangen hatten. Selbst in der mittelalterlichen Gesellschaft war es nicht unmöglich eine Beziehung zwischen den tatsächlichen Beziehungen der Menschen unter einander und dem Willen Gottes zu finden. Auch hier war, wie bei den alten Juden, die Gesellschaft als Ganzes geheiligt durch ihre positive Beziehung zum Willen Gottes. Erst in unserer heutigen industriellen Gesellschaft ist es fast unmöglich geworden, individuelle persönliche Beziehungen im direkten [21] nicht mittelbarem Gewebe der Gesellschaft aufzuspüren und die Gesellschaft als Ganzes in klarer und endgültiger Weise zun Willen Gottes in Beziehung zu setzen. Aus diesen Verhältnissen heraus erwächst das Bedürfnis nach einer christlichen Soziologie.
Hier müssen wir vom neuen dem Bericht widersprechen. Er wendet sich gegen die Autoren, die die christliche Soziologie mit „geschichtlich bedingten Systemen der Sozialethik” zu identifizieren scheinen. Darin liegt wiederum eine Zweideutigkeit. Denn, wird der Ausdruck „identifizieren” überbetont, dann ist die Aussage nichts sagend. Wenn aber in der Tat diese Aussage da besagt, dass die religiöse Bedeutung einer christlichen Soziologie gerade in der Herausentwicklung eines „historisch bedingten Systems der Sozialethik” läge. Wogegen wir uns senden ist gerade die Tendenz einiger christlicher Autores, Systeme der Sozialethik zu entwickeln, die wir unhistorische Sozialethik nennen möchten, das heisst, ein System von ethischen Grundsätzen, die nur dem Namen nach sozial sind, da sie auf keine historisch gegebene Gesellschaft angewendet werden können.
Was wir heute brauchen, ist gerade eine besseres Wissen über die Art und Weise, wie Sozialethik durch die Faktoren der der Umgebung, des heisst durch die technologischen, psycho-physiologischen, usw. Faktoren bedingt wird, in der Gesellschaft einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Ortes.
Es ist die Aufgabe der christlichen Denker ein geordnetes Wissen über die menschliche Gesellschaft zu schaffen, das das Zeitliche in Beziehung zum Ewigen beleuchtet und so die Seele ihr eigenes Selbst in der Gesellschaft erkennen lässt, trotz der Selbstentfremdung, die letzten Endes den Faktoren der Umgebung zuzuschreiben ist.
In diesem Sinne muss der Marxismus als eine Spitzenleistung christliche Soziologie angesprochen werden. Der Marxismus ist ein bewusster Versuch, die Tatsächliche Beziehung der Menschheit zu Gott festzulegen. Seine wesentliche Aufgabenstellung liegt darin, festzulegen, was der Christ die „Erfüllung der zeit” nennt. Vom theologischen Gesichtspunkt aus gesehen ist es ein Versuch, die menschliche Zeit mit der „ewigen” Zeit in Beziehung zu setzen. Sein Ziel ist die Definition der konkreten Stufen im Prozess der menschlichen Selbstverwirklichung. Dadurch setzt er uns instand, die Hindernisse zu erkennen, die im Zeitlichen liegen, sich einer besseren Annäherung jenes Aspekts des Ewigen entgegensetzen, der sich uns in der wahren Natur des Menschen offenbart. Der Marxismus is nicht so sehr ein weltlicher Messianismus, als eine grandiose soziologische Darbietung des „Pilgrim's-Progross”. [22] Der „Pilgrim” - das ist die wahre Natur des Menschen. Er ist der Hauptdarsteller in der marxistischen Vision der Geschichte der Menschheit. Das „Proletariat” erscheint bei Marx lediglich als die historisch bedingte Personifikation dieser unsichtbaren Figur auf der Szene.
Der wesentliche Unterschied zwischen Hegel und Marx wurde zu Unrecht in der angeblich idealistischen Geschichtsphilosophie Hegels gegenüber der angeblich materialistischen Geschichtsauffassung Marx' gesehen.
Der eigentliche Unterschied liegt darin, dass Marx die wahre Natur des Menschen als hinter der Geschichte wirkende Kraft einführte, während bei Hegel der Begriff Gott dazu missbraucht wurde, den vollendetsten Verlust persönlicher Freiheit zu rechtfertigen, denn je ein deutscher Philosoph seit der Reformation auszusprechen gewagt hat. Vor fast genau hundert Jahren hat Marx seine philosophische Laufbahn mit einem unveröffentlichten Werk „Kleanthes“ begonnen (1835), das er selbst in einem Brief an seinen Vater als ein „philosophisches“ und dialektisches Traktat über die Natur der Gottheit, in ihrer Manifestation als reiner Begriff, als Religion, als Natur und als Geschichte” bezeichnet hat. Marx' ökonomische Lehren waren lediglich eine Anwendung seiner Soziologie auf einen besonderen Aspekt der Gesellschaft. Seine Soziologie war nur ein Aspekt seiner allgemeinen Philosophie. Aber diese allgemeine Philosophie war rein theologischen Ursprunges. In dieser Abstammung des Marxismus liegt seine gewaltige Bedeutung für die christliche Soziologie.

Informations sur le texte

Référence :
Publication originale : Bemerkungen (en marge de “Christianity and economic Life”)
AKP : 19/22, 17-27 (6 p. + 5 pages tapées)
Autres langues :

Lge Nom
EN Remarks