Felix Schafer, First Memoirs (1964-1966)

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First 'Part'

First Letter: ??/??/1964

[2][1] Du wirst verstehen, dass was ich sage von persönlichen Erinnerungen an Euch alle durchwoben ist. Ihr beide habt einen entscheidenden Einfluss auf meine Entwicklung gehabt; Dass Karl mich einmal sein “silent model through life” genannt hat gehört zu den Großen Werten meines Lebens. Denn es war ja umgekehrt. Ihr wart und seid für mich ‚guiding model’ und da kann man persönliches nicht ausschalten. Dazu kommt, dass die Auswahl der Fragen mit denen man sich beschäftigt, nicht nur von äußeren Umständen sondern auch von der Persönlichkeit des Auswählenden abhängt. So ist ein volles Verstehen seiner Problemstellungen ohne Begreifen seiner Gefühls und Gedankenwelt unmöglich.

Du weißt vielleicht noch, dass wir uns im Jänner 1924 im Lokal der sozialistischen Studentvereinigung in der D’Orsaygasse also vor vierzig Jahren, kennen lernten. Ich war damals noch nicht 22 und unreif. Ich hatte unklare sozialistische Vorstellungen und sah, wie so viele andere, die demokratischen Einrichtungen, die Partei, mein gewohntes Leben, als unumstößlich an. Ich war zu dieser Zeit oft in der D’Orsaygasse. Das Studentenheim war ganz nahe der Wohnung meiner Eltern und abgesehen von meinem Interesse an sozialistischen Fragen hatte ich damals mehr Zeit. Denn ich war streikender Bankbeamter. Seipel versuchte zwischen uns und dem Bankverband zu vermitteln. Das war wahrscheinlich nicht eben sehr vorteilhaft für uns. Die Staatsgewalt war schon deutlich gegen die Partei gewendet; Die Polizei ging gegen eine Beamtendemonstration vor einer Bank in der Strauchgasse mit ungewohnter Schärfe vor. Doch war es damals noch so, dass Verhaftete sofort entlassen wurde, wenn ein genügend hoher Funktionär der Partei oder Gewerkschaften intervenierte. Während des Streiks las ich in der D’Orsaygrasse die Ankündigung von einem Seminar über Gildensozialismus. Das für das Seminar bestimmte Zimmer war im ersten Stock des schon recht baufälligen Gebäudes. Es lag über dem grossen Sall in dem Deutsch, mehr als ein Jahr später, einen Vortrag hielt (Mai 1925) und sagte: „Zum Bürgerkrieg sind wir zu schwach“. (Neun Jahre vor 1934). Nun damals stand der Faschismus noch nicht in so greifbarer Nähe als einige Jahr später. Ich war, wie manche andere sozialistische Studenten, durch Mises an der Universität zum Denken über Preisbildung unter Sozialismus angeregt worden. (Nan nannte das, wie du ja sich noch erinnern wirst, in den Zwanzigerjahren das Problem der Sozialistischem Wirtschaftsrechnung) Mises prophezeite den Untergang einer sozialistischen Wirtschaft mangels von Marktpreisen. Wie Du dir vorstellen kannst, wussten wir auf seine Argumente wenig Antwort, weil wir von der Sache [3] nichts verstanden, und daher die Gegenargumente nicht kannten. Auch war die Sowjetunion damals in einem Zustand furchtbarster Armut, was angesichts der Erschütterungen durch Revolution, Krieg und Bürgerkrieg kein Wunder war. Doch schien dieser Zustand Mises a priori Recht zu geben. Heute nach vierzig Jahren seine Stellung sehr schwach. Doch damals – seine „Gemeinwirtschaft“ war gerade erschienen – kam sie vielen von uns beunruhigend stark vor. So wie andere suchte auch ich nach einem sozialistischen Preisbildungsprozess und so ging ich mich Großem Interesse zum „Seminar“. Du warst am ersten Abend auch da und bist mir unglaublich jung vorgekommen. Ich hielt Dich für noch nicht zwanzig. Erst waren wir zehn oder mehr, sind aber bald auf vier zusammengeschmolzen. (Alsegg, Bock, Kien – der Name ist vielleicht falsch geschrieben – und ich). Bock arbeitete damals an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung. Karl gab ihm viel von seinem Wissen und von seiner Zeit, wofür Bock sehr dankbar war. In der Studentenvereinigung stand Bock für das was damals „Opposition“ nannte d.h. für ein „Höheres Niveau“ wie er es ausdrückte. Daneben gab seine Eleganz in der D’Orsaygasse manchmal zu Bemerkungen Anlass. „Ich weiß man sagt, dass ich der Eleganteste in der D’Orsaygasse bin und wirft mir das war“ meinte er einmal „Aber sie wissen, dass das nur daher kommt, weil ich auf meine Anzüge so acht gebe. In Wirklichkeit bin ich ein armer Bursch. „In der Tat als ich einmal an Südbahnhof anlässlich eines Ausfluges auf die Rax, den er führte, auf ihn wartete, konnte ich ihn im ersten Augenblick nicht erkennen, weil er in dem abgetragenen Touristenanzug ganz anders als sonst aussah. Im überigen hat er im spanischen Bürgerkrieg und auch bei anderen Gelegenheiten gezeigt, dass er mehr konnte, als sich elegant anzuziehen. Solltest Du noch in Kontakt mit ihm sein, bitte lass ihn herzlich von uns Grüßen. Er wird sich vielleicht noch an uns erinnern.

In „Seminar“ sucht Karl mit unendlich Geduld klar zu mach, dass die Probleme für Sozialisten nicht auch auf der gegenwärtigen Klassengesellschaft entstünden. Der Klassenkampf verberge nur zeitweise das Vorhandesein eines anderen Problems, nämlich dass viele von uns Konsumenten und Produzenten zugleich seien und das jeder in verschiedenem Ausmaße. In einer sozialistischen Wirtschaft müsste auf eine demokratische Weise beschlossen werden, was wir als Produzenten zu leisten hätten und als Konsumenten verbrauchen durften. Als sozialistische Wirtschaft definierte er in seiner Arbeit „Sozialistische Rechnungslegung[4], die damals eben in Archiv für Sozialwissenschaft herauskam, “eine Wirtschaft, die sich die Verwirklichung von zweierlei Forderungen zum Ziel setzt: l. bezüglich der Produktion, der Forderung nach maximalerer Produktivität; 2. Bezüglich der Verteilung, der Forderungen des sozialen Rechtes… Diese formale Unabhängigkeit des Systems der Produktion und des Systems der Verteilung von einander, gilt für uns als das dritte Merkmal sozialistischer Wirtschaft.” (S. 385). Die beiden „Hauptverbände“ in einer gildensozialistischen Wirtschaft (Vertretung der Produzenten) und die „Kommune” und Konsumgenossenschaften (Vertretung der Konsumenten) stellen vom Gesichtspunkt der Wirtschaftsrechnung (er nannte das „Rechnungslegung“ in der Arbeit) zwei Verscheidens „Kostengruppen“ vor, nämlich die der Natur zuzuschreiben Kosten (“Aufwand von Arbeitsmühe und Bodennutzungen”) und die Kosten die „dem bewussten Wirken der Gesellschaft„, dem Eingreifen in die Wirtschaft durch “das soziale Recht” zuzuschreiben sind. Die Rechnungslegung besteht in einer gesonderten Aufstellung jeder der beiden Kostengruppen. Dann weiß man wieviel die Produktion der Güter an sich kostet und “welches Mehropfer an Arbeitsmühe und Bodengütern die “Einwirkung des Sozialen Rechtes verursacht hat” (p. 395) Vorausgesetzt ist allerdings, dass sich die beiden Hauptverbände über die zu produzierenden Gütermengen und ihre Verteilung einigen. Das muss möglich sein, argumentierte er, denn die gleichen Menschen sind einmal als Konsumenten in der “Kommune” und einmal als Produzenten im “Kongress der Produktionsverbände” vertreten. Und “Vertretungen ein und derselben Menschen können nie einen Unlösbaren Widerspruch miteinander geraten” (“Die funktionelle Theorie der Gesellschaft”, Archiv. Bd 52, S. 221).

Das war nur das Skelett eines der Gedankengänge, die im „Seminar“ erörtert wurden. Um ihn herum rankten sich verschiedene andere Fragen. Ihre ganze Tragweite wurde mir erst in späteren Jahren klar. Ich glaube, dass es mit den anderen nicht viel besser war. Junge Menschen sind vielfach zu unreif um solche Gedankengänge in kurzer Zeit voll zu verstehen. “Man muss schnell reifen und ich bin langsam gereift” sagte er mir einmal. Wenn er das von sich selbst gesagt hat, wie müssen erst wir und vor allem ich selbst ausgesehen haben. So ist es nicht überraschend, dass sich das „Seminar“ nach und nach verkleinerte. Das brachte es wahrscheinlich mit sich, dass Ihr „Seminar“ nach einigen Wochen in Euere Wohnung verlegtet. Das ersparte Euch auch das Ausgehen am Abend. So kam ich in Euere Wohnung und mit Euerer Familie in Berührung. Ihr wart damals schon in der Vorgartenstrasse. Kari, die zur Welt kam, als Ihr noch in der Westbahnstrasse gewohnt habt, machte ihre Anfangsversuche im Gehen, als ich sie zum ersten Mal sah. Ich war noch nie vorher in die Vorgarternstrasse gekommen. Die Gegend war mir fremd. Es dauerte einige Zeit bis ich mich zurecht fand, aber schließlich stand ich von Euerer Türe im zweiten Stock. Eine Frau mit freundlich lachenden Gesicht öffnete. Es war Ergi, die treue Hausgehilfin, ein Pfeiler des Haushalts. Was das bedeutet wurde mir erst in vollem Umfang [5] in Neuseeland klar. Hier gibt es keine Hausgehilfinnen Bürgerliche Versuche Frauen zu diesem Zweck von Asien hereinzubringen wurden von der Labour Party immer bekämpft. Man findet es hier irgendwie für unrichtig Haushilfe zu haben und sieht es lieber Haushaltsmaschinen die Hausarbeit machen zu lassen. Und das ist auch richtig. Kommt dann ein Alter in den man auch mit Haushaltmaschinen der Arbeit nicht mehr nachkommen kann, dann muss sie am Rahmen der Social Security von öffentlichen Angestellten gemacht werden. Gerade gestern sind solche Gedanken im Parlament von der Labour Opposition ausgesprochen worden. Allerdings vor vierzig Jahren hat man Hauhaltmaschinen schwerlich gehabt, und ohne solche ist eine treue Ergi unentbehrlich. Ich muss auch ihre Kenntnis des Deutschen nach so vielen Jahren um so mehr bewundern, wo ich in Neuseeland die Schwierigkeiten einer Fremdsprache zu mindestens in den ersten Jahren, gründlich kennen gelernt habe. Sie hatte wahrscheinlich keine systematische Schulung in Deutscher Sprache, doch sprach sie ehr gut, wenn auch mit unverkennbarem Akzent. Wenn Du noch mit ihr in Kontakt bist, bitte richte ihr aus, dass ich sie vielmals grüßen lasse.

Nun damals an jenem ersten Abend führte sie mich in das Mittelzimmer mit den zwei Fenstern, die auf den Reservegarten der Gemeinde hinausgingen. Das war allerdings nicht zu sehen, es ja schon finster war. Das „Seminar“ war schon in volles Schwung. Karl diskutierte gerade die geldlose Verwaltungswirtschaft Neurath’s. In diesem „Model“ (so würde man heute sagen) waren Konsumenten und Produzenten nicht durch zwei getrenzte Wirtschaftsverbände vertreten. Über Produktion und Konsumption wurde hier in einem zentralen Wirtschaftsrat entschieden. In einer solchen Wirtschaft ist eine Rechnungslegung wie er sie in der gildensozialistischen Wirtschaft zeichnete, unmöglich. Ich glaube es ist am besten, wenn ich das Argument in seinen Worten gebe. Wie er sie in seinen Abhandlung “Sozialistische Rechnungslegung” gebraucht hat. Er sagte hier, dass man in einer Verwaltungswirtschaft die “der Natur zuzuschreibenden Kosten“ von den „Kosten, die die Einwirkung des sozialen Rechtes verursacht“ habe nicht auseinander halten könne. „Wo der Wirtschaftswille als das Ergebnis der gegenseitigen Abwägung verschiedener Motive entspringt, ist eine getrennte Zurechnung der durch diese verschiedene Motive verursachten Kosten Elemente zu diesen Motiven nur dann durchzuführen, wenn diese Motive durch verschiedene Subjekte vertreten werden. Die Hauptursache dieser grundlegenden Einschränkung ist die, dass sich zwei entgegenstehende Motive in einem und demselben Individuum notwendig gegenseitig beeinflussen, indem sie einander durchdringen und dadurch umwandeln. Ist aber erst aus ihnen ein einheitlicher Wille entsprungen so sind sie in diesem Willen überhaupt aufgehoben. Der Wille, die der ihre Resultante ist, tritt an die Stelle der Motive, die seine Komponenten waren. Nur mit Hilfe des Gedächtnisses kann es uns nunmehr gelingem, einer mehr oder minder blassen Schatten der ursprünglichen Motive uns zu vergege[n]wärtigen. Von der genauen und ziffernmäßig ausdrückbaren Erfassung des Intensitätsverhältnisses kann eine Rede mehr sein.” (S. 416/417……) “Die Scheidung der natürlichen von den sozialen Kosten ist somit nur bei einer Organisation der Wirtschaft möglich, die den Willen zur technischen Produktivität sowie den Willen nach sozialer Gerechtigkeit und der höheren Gemeinnützigkeit der Produktionsrichtung durch zwei verschiedene Subjekte vertreten lässt.“ (S. 416/417)

[6] Das war im wesentlichen das Argument, das an jenem Abend zur Erörterung stand. Allerdings Weiß ich nicht, ob ich damals genügend folgen konnte. Abgesehen von anderen Gründen wurde meine Aufmerksamkeit sofort von den Bilden an den Wänden abgelenkt. Sie zeigten Männer in glänzenden Uniformen, die zur sozialistischen Gedankenwelt welche diskutierte wurde, schwerlich passten. Es waren Deine Verwandten und die Bilder gehörten Nene. Sie erzählte mir später, als sie mich schon einige Zeit gekannt hatte, dass es Mitglieder einer der ältesten ungarischen Adelsfamilie waren und die Familie wäre so alt dass sie keinen Titel hätte, weil es damals noch keine Titel gab, als sie ihr Schloss, (ich glaube der Name war Bekassy) bauten. Sie selbst war Adel und Vornehmheit in Person. Hinter ihrer anfänglichen Zurückhaltung stand tiefe Herzensgüte und Verzicht auf Eigenleben. Ihr kleines Zimmer war ein Museum von Photographien ungarischer Magnaten, kunstvolle Samowars und anderer kleiner Kunstgegestände, denen man ansah, dass sie aus einer entschwundenen oder zumindestens entschwindenden Welt stammten. Dieses Zimmer war das Sanktuarium wohin sie sich zurückzog, wenn ihr die Wirklichkeit zu schwer zu ertragen schien (Und vorausgesetzt sie hatte die Zeit dazu.) „Meine Waffe ist die Höflichkeit“ pflegte sie zu sagen. Manches erzählte sie mir. Von Karl sagte sie, dass er Dich vergöttene und überhaupt bewunderte sie ihn. Sie wusste dass die alte Welt und mit ihr der Glanz der Magnaten (der tausendjährigen Klassen, wie sie sich nicht nannten) zum Untergang verurteilt war. Die Frau des Ministerpräsidenten (das war zu dieser Zeit Bebhlen) hat gesagt, das es nicht mehr nötig ist die Fenster in ihrem Amtswohnung (sie schlossen nicht gut) zu reparieren. Sie glaubt, dass sie sowieso bald ausziehen werden. zählte sie mir einmal. „Und so viele sagen: Es kommt der Bolschewismus“ (Das geschah auch zwanzig Jahre später). Einmal beschrieb sie den Glanz im Schloss mit der vielen Dienerschaft usw. „Aber alles gehört schon der Bank“ fügte sie hinzu. Ihre starke Anhänglichkeit an ihre Familie nachte er für sie schwierig das Verschwinden dieser Zeit nicht zu bedauern. Doch ihr Gefühl für Gerechtigkeit brachte sie an die Seite des Fortschrittes. Nach 1934 hat sie geholfen, soviel sie konnte, Die erste Verordnung des neuen Faschistenregimes am 12. Februar bei der Gemeinde Wien war die Aufhebung der Dienstpragmatik, so dass jeder entlassen werden konnte. Nene ging für mich zum damaligen Vizebürgermeister Winter um das zu verhindern. Er sagte ihr natürlich, dass niemand abgebaut werde, (Ganz genau stimmte das zwar nicht, doch das tut nichts zur Sache). Aber sie werde ich vergessen, welche Mühe sich die alte Dame gab um überhaupt vorzukommen. Im Rathaus war es nicht möglich. So wartete sie eines Sonntags vor der Tür seiner Privatwohnung auf ihn, bis er mit seiner Familie von einem Ausflug zurückkehrte. Und da musste er sie anhören. Oder sie ging zur Polizei für Trude ---- und sagte dem Beamten, er müsse ihr einige Minuten geben, weil es Christpflicht sei für verfolgte Mitmenschen einzustehen. Selbstverständlich wäre das so, stimmte der Beamte zu. Ob ihre Bemühungen in diesem Fall genützt haben, ist allerdings zweifelhaft. 1938 sprach ich zum letzten Mal mit ihr. Es war wegen unserer Auswanderung und ich hat sie an Euch zu schreiben. Sie gab ihrem über die Nazi beredten Ausdruck. „Es ist eine [7] Schande wie man die Juden behandelt“ gab sie ihrem Unwillen Ausdruck, was gewiss sehr mutig war, da doch die Wände Gestapohren hatten. Kurz nach dem Beginn des Naziregimes wurde ich verhaftet und als ich 1939 entlassen wurde, war sie nicht mehr in Wien.

Doch um zur Verwaltungswirtschaft zurückzukehren, ich hätte zu dieser Zeit auch ohne die Ablenkung durch die Bilder an den Wänden kaum viel von der Debatte begriffen, Erst nach Jahren dämmerte mir die Volle Bedeutung der Ablehnung der Verwaltungswirtschaft auf. Sie erschöpfte sich gewiss nicht in dem Hinweis, dass es in der Verwaltungswirtschaft unmöglich sie die der Natur zuzuschreibenden Kosten von den durch das soziale Recht verursachten Kosten getrennt zu erfassen. Die Wurzel seiner Ablehnung lag wahrscheinlich außerhalb der Nationalökonomie. Allerdings bewegte sich der nächste Schritt in der Ausdehnung des Argumentes gegen die Verwaltungswirtschaft noch immer innerhalb der Ökonomie. Es ist die Feststellung, dass hinter den zwei Arten von Kosten die Menschen als Produzenten und Konsumenten und die Beziehungen zwischen ihnen in diesen beiden Funktionen stehen. Un einer sozialistischen Wirtschaft, argumentierte Karl, sollte jeder imstande sein zu entschieden, ob er so und soviel Freizeit diesen und diesen Gütermengen vorziehe oder umgekehrt. Das sollte durch Planung im Wege von Übereinkünften zwischen den beiden Hauptverbänden der Konsumentenhund Produsenten festgelegt werden. In einer Verwaltungswirtschaft müsste das in eier zentralen Planungsstelle geschehen, wo mangels gesonderter Vertretungen der Konsumenten und Produzenten ihre Wünsche nur unvollkommen zum Ausdruck kämen. Daher sei dort die Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten nicht klar. Die Folge sei, dass Produktion und Konsumption möglicherweise den Wünschen der Produzenten und Konsumenten nicht immer entsprächen, “Im Sommer haben sie Pelzschuhe verteilt und Wörterbücher sind dorthin gekommen wo man sie nicht brauchen konnte,” hast Du diese Schwache der Verwaltungswirtschaft an einem Beispiel aus dem Kriegskommunismus illustriert. “Übersicht”, wie Karl die Möglichkeit nannte von den Menschen der Menschen Kenntnis zu erhalten, wäre in einer Verwaltungswirtschaft nur von “oben” und daher nur unvollkommen möglich. Er aber verlangte Übersicht von „unten“ durch demokratisch gewählte Vertretungen von Konsumenten und Produzenten. Jugoslawien und Russland haben gezeigt, wie Recht er hatte.

Beziehungen im Sozialismus “übersichtlich”, d.h. leicht erkennbar sein. Karl nahm hier die Marxistische Stellung ein.[2]

[11] (Nun beginnt das frisch geschriebene):
Er zeigte mir, wie ich mich zu erinnern glaube, folgende Sätze von Marx: „Stellen wir uns einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmittel arbeiten und ihre individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben…… Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution (Kapital Bd., I. S. 42, 45, Hamburg, 1921). Sind die menschlichen Beziehungen zueinander nicht durchsichtig, ist ein Zustand möglich, wo die Einrichtungen, die auf den menschlichen Beziehungen beruhen, unabhängig von diesen [12] Beziehungen zu sein scheinen, und ein die Menschen beherrschende Eigenleben führen. Die menschlichen Beziehungen sind hier von den sozialen Einrichtungen verdeckt; So sagt Marx: “Betrachten wir den Weg, den das Kapital durchmacht, bevor es in der Form von zinstragendem Kapital erscheint. Im unmittelbaren Produktionsprozess ist die Sache noch sehr einfach. Der Mehrwert hat noch keine besondere Form angenommen, außer dieser des Mehrwertes selbst, die ich nur von dem Werte des Produktes unterscheidet, der ein Äquivalent des in ihm reproduzierten Wertes bildet… Der Zirkulationsprozess verwischt schon… den Zusammenhang. Indem die Masse des Mehrwertes hier zugleich bestimmt ist durch die Zirkulationszeit des Kapitals, scheint ein der Arbeitszeit fremdes Element hineinzukommen. Nehmen wir… das fertige Kapital… als eine bestimmte Wertsumme, die in einem bestimmten Zeitraume… bestimmten Profit (Mehrwert) produziert, so existieren in dieser Gestalt Produktionsprozesse nur noch als Erinnerung und als Moment, die gleichzeitig den Mehrwert erscheint jetzt als Profit… durch die Verwandlung des Profit in durchschnittsprofit wird weiter der Profit des besonderen Kapitals… der Quantität nach verschiedenen vom Mehrwert selbst den das besondere Kapital in seiner besonderen Produktionssphäre erzeugt hat… Kapitalien von gleicher Größe liefern gleiche Profite… In allen diesen Ausdrücken ist der Verhältnis des Profits zur organischen Zusammensetzung des Kapitals völlig ausgelöscht … In denselben Grade wie die Gestalt des Profits seinen inneren Karn versteckt, erhält das Kapital mehr und mehr eine sachliche Gestalt, wird aus einem Verhältnis immer mehr ein Ding, das das gesellschaftliche Verhältnis im Leibe, in sich verschluckt hat, ein mit fiktiven Leben und Selbständigkeit sich zu sich selbst verhaltendes Ding, ein sinnlich-übersinnliches Wesen.” (Theorie über den Mehrwert, Bd. III, 1921, S. 553, 554, 555). Karl hat ungefähr zehn Jahre, nachdem er mir diese Stellen gezeigt hatte, diesen Gedankengang mit Berufung auf Marx: folgendermaßen in der “Essence” ausgedrückt: “In a developed market-society distribution of labour intervenes. Human relationships become indirect, instead of immediate co-operation there is indirect co-operation by the medium of the exchange of commodities. The reality of the relationships persists: the producers continue to produce for one another. But this relationship is now hidden behind the exchange goods: it is impersonal: it expresses itself in the objective guise of the exchange value of commodities: it is objective, thing-like. Commodities, on the other hand, take a semblance of life. They follow their own laws: rush in and out of the market: change places: seem to be masters of their own destiny. We are in a spectral world, but in a world in which SPECTRAS ARE REAL. (in contrast to fascist philosophy). For the pseudo-life of the commodity, the objective character of exchange value are NOT illusion. The same holds true of other “objectifications” like the value of money, Capital, Labour, the State. They are the reality of a condition of affairs in which man has been estranged from himself. Part of his self is embodied in these commodities which now possess a strange self-hood of their own. The same holds true of all social phenomena in Capitalism, whether it be the State, Law, Labour. Capital or Religion. (Essence, p. 375)

Ohne Zweifel lehnte Karl diesen Zustand als menschenunwürdig ab. So sagt er im Anschluss an die eben zitierte Stelle: “But the true nature of man – er rechnete sich gewiss zu den Menschen mit “true nature” und er glaubte sicherlich, dass das für jeden Sozialisten galt – rebels against Capitalism. Human relationships are the reality of society. In spite of the division of labour they must be immediate, i. e. personal. The means of production must be controlled by the community. Then human society will be real, for it will be human: a relationship of persons.” (p. 375)

[13] “A relationship of persons” war für Karl eine Beziehung zwischen Menschen deren Persönlichkeit ihm als höchster Wert galt. Er stand für das was er “Christlichen Individualismus” nannte und dessen Doktrine ist “Personality is of infinite value, because there is God.” “It is the doctrine of brotherhood. of Man. That Man have soul is only another way of stating that they have infinite value as individuals.” (p. 369/70) The “infinite value”, den die Persönlichkeit jedes Individuals für ihm hatte, war nur ein anderer Ausdruck dafür, dass er der Erhaltung der “Uniqueness” – das Wort kommt im Schlussteil der Transformation vor – des Individuals höchsten Wert beilegte. Aus dieser Einstellung folgt sein Internationalismus der Menschlichkeit. Er fühlte sich hier eins mit den Kirchen, the “churches, when they denounce racialism for is implied denial of the universalism inherent in their Christian mission.” (p. 388) Und indem er den Begriff des Universalismus erklärte, setzte er fort: “Negatively Universalismus thus more or less synonymous with non-racialism. Its positive meaning is that of an idea implying the concept of mankind. In other words it is the claim of an idea to apply to mankind as a whole, i.e. to all individuals constituting it.” (p. 388) Ich werde im dritten Abschnitt versuchen die Fragen, die er in der “Essence” behandelte, zu erörtern. Hier möchte ich nur bemerken, dass er internationaler “Mensch” im besten Sinne des Wortes war, für den es keine Vorurteile nationaler, rassischer oder anderer Art gab. “Ich bin Kosmopolit, ich bin für Geistesfreiheit, für Freiheit jeder Art” höre ich ihn beim Grünen Ofen im Mittelzimmer leidenschaftlich ausrufen. Ich hoffe nun nach so langen Jahren die volle Bedeutung dieses Ausspruches endlich verstanden zu haben. Er zeigt den tieferen Grund für seine Ablehnung der Verwaltungswirtschaft. Er war, wie schon erwähnt außerhalb der Ökonomie. Die Verwaltungswirtschaft mag ihm als eine monströse Objektivation erschienen sein, in der die menschlichen Beziehungen durch verdeckt waren. Charakteristisch ist vielleicht eine Ausserung von Bock in der Zeit des Seminars. Er sagte: “Für eine Futtermaschine kämpfe ich nicht”. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich vermute, dass aus diesem Satz der Einfluss Karl’s spricht. In der “Essence” kommt nicht nur der Wesensinhalt des Faschismus, sondern vor allem die Essenz seiner Persönlichkeit, Menschlichkeit, Toleranz und Freiheitsdrang wunderbar zum Ausdruck. Das machte ihm zu dem, was er war, und was uns sein Andenken teuer macht. Diese auf Religiosität basierte Weltanschauung der Menschlichkeit war die moralische Einheit seines Wirkens. (Auf die logische komme ich später zurück). Diese moralische Einheit oder Stellungnahme oder wie immer Du das nennen willst war, wie Mehring von Marx sagte, “das Zünglein an der wage seines Schicksals.” Materielle Vorteile achtete er nicht, wenn es auf Kosten seiner menschlichen Prinzipien gegangen wäre.

Du kennst ja sein Leben genau, und so wirst Du beurteilen können ob ich recht haben, wenn ich sage, dass ich zumindest von zwei Anlässen weiß, wo er eine versprechende Karriere Aufgabe, weil er sie mit seinen Prinzipen unvereinbar fand. Das eine Mal gab er, wie ich glaube seine Rechtsanwaltslaufbahn auf, der er doch sein Studium gewidmet hatte. Das war möglicherweise noch vor dem ersten Weltkrieg. Er hat mir nur [14] Andeutungen gemacht. Du weißt natürlich alles genau. Über das andere Mal nag ich mehr sagen können. Es war im Herbst in 1933, als er infolge der zunehmenden faschistischen Tendenzen in der damaligen österreichischen Regierung für den Volkswirt untragbar wurde, und nach London ging. Unerschrocken nahm er die großen Risken auf sich und hielt seine Grundsätze aufrecht. So schwer es damals auch gewesen sein mag seine Prinzipienfestigkeit war sein und damit unser aller Glück. Denn hatte er sich gebeugt und wäre er geblieben, so wäre er wahrscheinlich in die Hände der Nazi gefallen und das hätte er (abgesehen von Dir und Kari) nicht überlicht oder zumindest kaum überlebt. Wir selbst haben es sehr bedauert nicht sogleich nach 1934 das Land verlassen zuhaben. Nur mit Euerer Hilfe sind wir noch mit einem blauen Aug davon gekommen.

Im überigen wird Dir vielleicht folgendes interessant erscheinen: Du erinnerst Dich möglicherweise noch an Jellinek. Erarbeitete mit Karl zusammen beim Volkswirt. Als 1936 die Nazi die demilitarisierte Rheinzone besetzten führten die österreichischen Faschisten die allgemeine Wehrpflicht ein. Bei diesem Anlass wurde die Bevölkerung registriert. Das war Gemeindesuche und so traf ich Jellinek. Er war beim “Arbeitersonntag”, einem Wochenblatt, das im Hause der Arbeiterzeitung von den Faschisten oder ihnen nahestehenden Kreisen als arbeiterfreundliches Organ gedruckt wurde. Wir sprachen natürlich über Euch. Er hielt es nicht für klug, dass Karl weggegangen war. “Es geht ihm schlecht” sagte er. Zwei Jahre später traf ich ihn in Buchenwald. Da hat er ebenso wie ich sehr bedauert nicht nach 1934 ausgewandert zu sein. Wir waren sehr froh zu wissen, dass Ihr alle in Sicherheit wart. Er sprach von seiner möglichen Hoffentlich hat er überlebt.

Nach dieser Abschweifung möchte ich noch einiges über die Objektivationen sagen. Er hat sich nie mit einer gefühlsmäßigen Haltung begnügt, wo auch eine Erklärung möglich war. Das galt auch für die Objektivationen. So sehr er sie als menschenunwürdig ablehnte, hat ihn das nicht gehindert ihre Entstehung als leidenschaftsloser Wissenschaftler zu untersuchen. Hier ging er vom dem marxistischen Begriff des vergesellschafteten Menschen ans. Er benützte die Fassung Max Adlers’s (Adler’s sprach von Karl als “brillant”): “Der Mensch ist sozial, nicht weil er in Gesellschaft lebt, sondern er kann in Gesellschaft leben, weil er schon unmittelbar in seinem Selbstbewusstsein sozial ist… Auf diese Weise ist also das “Soziale” weder etwas zwischen den Menschen, noch über ihnen, sondern es ist in ihnen, und zwar in jedem Einzelnen ganz, so dass der soziale Zusammenhang, die Gesellschaft als Tatsache, nicht als Begriff schon in jedem Einzelbewusstsein vollständig gegeben ist. (Max Adler, Marxistischen Probleme, Stuttgart, 1922, S. 6). Der Begriff des vergesellschafteten Menschen ist, wie ich glaube die logische Einhalt seines Wirkens. Man kann diesen Begriff, wie (ich) mir vorkommt in allen seinen Arbeiten nachweisen. Entweder ist er ausdrücklich erwähnt, oder er liegt seinen Darlegungen stillschweigend zu Grunde. Du wirst ja im Laufe des nächsten Abschnittes sehen, ob ich Recht habe. Selbstverständlich ist das nur ein nachträglicher rückschauender Gedanke, der für sein Werk nicht wesentlich ist. – Um zu den Objektivationen zurückzukehren – der vergesellschaftete Mensch ist unableitbar gesetzt. Ebenso unableitbar muss angenommen werden, dass wir nur zweckmäßig, oder mit Karl’s Worten “sinnhaft” handeln können. “Bewusstsein ohne Sinnhaftigkeit ist unvorstellbar.” So oder so ähnlich hat er das formuliert. Nun geben wir der Verumständung in der wir leben immer einen Sinn, wir betrachten sie immer unter irgendeinem “Aspekt”, wie er sagte. Beispielsweise kann eine [15] Verumständung angenommen werden, in der ein Einzelner über verschiedene Gütermengen mit verschiedenen Möglichkeiten sie zu verwenden verfügt. Dieser Einzelne gibt den Gütermengen den Sinn, dass er durch sie bestimmte Bedürfnisse befriedigen kann und betrachtet sie unter dem Aspekt, dass er die gesamte Güte menge oder seinen Teil derselben gegen eine bestimmte Gütermenge eines anderen Einzelnen austauschen kann. Dieser andere Einzelne, der infolge seines vergesellschafteten Bewusstseins auf die gleiche Weise denkt, hat ebenfalls die Verfügung über bestimmte Gütermengen und es kann angenommen werden, dass er infolge bestimmter Sinngebung und eines bestimmten Aspektes eine Tauschmöglichkeit wählt. Die zu einer Bewegung bestimmter Gütermengen zwischen diesen beiden Einzelnen führt. Aus ihrem Wahlhandlungen, d.h. ihrem wirtschaftlichen Handeln hat sich somit ein bestimmtes Mengenverhältnis zwischen getauschten Gütermengen –ein Preis – ergeben. Dieser Preis gilt für beide und ist damit etwas “Überindividuelles”, eine Objektivation geworden. In diesem Fall ist die menschliche Beziehung noch klar. Doch im Kapitalismus sind die Beziehungen zwischen den Menschen oft durch die Objektivationen verdeckt, wie Karl, indem er Marx folgte, ausgeführt hat – ich brauche das hier nicht mehr zu wiederholen. Doch Karl hat nicht nur das Entstehen der Objektivationen auf die oben ausgeführte Art erklärt, er hat sie auch, soweit es sich um wirtschaftliche Objektivationen handelte, wie z.B. Preis, oder Markt mit der Grenznutzentheorie verknüpft. Obgleich er meinte, dass Marx gerade durch die Arbeitswertlehre zur Erklärung der Objektivationen als ein Resultat menschlicher Beziehungen gekommen wäre, hielt er es für besser die Objektivationen auf den Gebiet Wirtschaft auf der subjektiven Theorie zu basieren. Denn nicht nur sagte er: “Die Grenzwertlehre ist ihr (der Arbeitswertlehre) einfach überlegen.” Er war auch der Ansicht, dass die Grenznutzentheorie mehr die Handlungen und damit die Beziehungen zwischen den Menschen in den Vorder grund rücke als die Arbeitswerttheorie und die klassische Ökonomie überhaupt.

Im Jahre 1925/26 hat er diese Gedanken über die Objektivationen in einer Abhandlung niedergelegt, die er die Absicht hatte dem “Kampf” zu schicken. Ob es jemals dazugekommen ist, weiß ich nicht. Aber in dieser Zeit hat er mit mir viel über diese Thema gesprochen, weil ich darüber meine Dissertation gemacht habe. Ihr beide habt mir viel Zeit in den Erörterungen gegeben, die ungefähr ein Jahr gedauert haben. Er hat zu gleicher Zeit, wie mir vorkommt, auch Bock in seiner Dissertation über sozialistische Wirtschatrechnung geholfen. Beide Dissertationen waren irgendwie miteinander in Beziehung, obgleich Bock und ich das nie diskutiert haben. Ich kann Euch beiden heute nur für die große Hilfe, die Ihr mir gegeben habt, herzlich danken. Ich habe 1925 und 1926 viel, zusammengelesen und natürlich ist wenig dabei herausgekommen. Dich dem was über die Grenznutentheorie bemerkt habe, steht nichts drinnen. Das andere aber ist [16] außer einer Besprechung von einigen Autoren über das Thema der Gedankengang Karl’s den ich versucht habe darzustellen. Die Dissertation ging erst zu Max Adler, der außer ordentlicher Professor war, und dann zu Kelsen. Max Adler war froh zu sehen, dass Karl der geistige Vater der Dissertation war. Auch wenn Karl’s Name nicht in der Arbeit gestanden wäre, hätte mir niemand geglaubt, dass das auf meines Mist gewaschen wäre. Kelsen hat mir gegenüber zwar nichts über meine Berufung auf Karl gesagt, aber irgendwie ist bei der Prüfung eine Frage im Zusammenhang mit der Dissertation gekommen, die ich natürlich nicht beantworten konnte. Darauf hat Kelsen gemeint, dass das Thema ohne anderweitige Hilfe – er hat Karl’s Namen auch bei dieser Gelegenheit nicht genannt – für mich zu schwer gewesen wäre, wie man ja sehen können und ist mit nachsichtigem Lächeln auf eine andere Frage übergegangen.

Heute wüsste ich vielleicht besser Beschied, obwohl ich noch immer sehr wenig über solche Gebiete weiß. Allerdings war mir schon damals klar, warum Karl das Problem der Objektivationen so am Herzen lag. Es war für ihn ja ein Aspekt des Problems der individuellen Freiheit. Doch abgesen davon glaube ich dass sich noch eine andere Formulierung des Freiheitsproblems bei ihm finden lässt. Sie hängt möglicher weise mit seiner Ablehnung der Anschauung der Freidenker zusammen, nach der das Geistige mit dem Körperlichen so enge verbunden ist, dass nach dem Tode weder vom Körper noch vom Geist (der Seele) etwas überig bleibe. Mir kommt vor, dass er diese Ansicht als untragbar empfand. Es war vielleicht sein leidenschaftlicher Wunsch und auch sein Überzeugung, dass das Geistige vom Körperlichen wenigsten soweit frei sein solle und müsse, dass es in gewissen Fällen den Tod überleben könnte. Möglicherweise kann ich mich auf folgenden Satz in der “Transformation” stützen: “Man has accepted the reality of death and built his bodily life upon it.” Mir kommt vor, dass er mit dem Wort “Bodily” sagen wollte, dass es noch ein anderes Leben als das körperliche (“Physical” sagt Kari in ihrem Artikel) gab. Und für dieses anders Leben hat er den Tod nicht akzeptiert, wenn ich richtig verstanden habe. Aber auch wenn das was ich hier geschrieben habe ein völliger Unsinn sein mag, eines steht fest weil auch es aus dem schönen Artikel Kari’s entnehmen kann (d.h. habe es mir schon immer gedacht, aber ich bin unsagbar froh, dass Kari mich bestätigt), dass er sich vom Tod nicht in seinem Bestreben schlagen ließ, für den Fortschritt der Menschheit seine ganze Kraft einzusetzen. Ich glaube, Ihr werdet mir Recht geben, wenn ich die folgenden Sätze vom ihn in diesem Sinne interpretierte: “The revealed reality of death is the ultimate source of the excuse for an empty life. The response of creative man is to fill this void through work and the permanence of achievement Hence art and poetry, science and philosophy, the lone sacrifice of the true soul”. Es war in seiner Arbeit für charakteristisch, dass er im Kleinen gern nachgab, aber nicht im Großen, wenn er trotz aller Schwächen etwas für richtig ansah. Ich erinnere mich noch wie er einmal sagte, als er die Einwände gegen sein Theorem. “Kaufkraftwirtschafte-Tauschwirtschaft” – ich hoffe darüber in nächsten Brief zu schrieben – unter die Lupe nahm: “Was ich zugebe sind alles nur Kleinigkeiten. Im Wesentlichen gebe ich nichts zu”.

Seine Weltanschauung war ihm gewiss ein großen Trost in den körperlichen Leiden, die er mitzumachen hatte. Ich kann nur von der Wiener [17] Zeit sprechen. Es war ein leidenschaftlicher Kampf gegen seine Krankheit, die ihn in seiner Arbeitsfähigkeit immer wieder einschränkte. Einmal erzählte er mir, wie er in seiner Jigend sich durch Stundengeben erhalten musste, bis er zusammenbrach. “Ein Onkel” so sagte er “dachte sich damals “Der Junge Mensch soll sich nur plagen”. Plötzliche war es aus. Und man erlangt die frühere Arbeitskraft nie wieder. “Besodens in den ersten zwei oder drei Jahren, in denen ich ihn kannte, machte er Furchtbares mit. Er glaubte damals an Leberschrumpfung zu leiden und der Arzt gab ihm nur noch zwei Jahre. Glücklicherweise war es eine Fehldiagnose. Doch was immer seine Leiden waren, er trug sie mit Würde. Nicht selten waren die Schmerzen wo arg, dass er sich buchstäblich im Bett von einer Seite zur anderen gewälzt hat. Eine ungeheurere Willenskraft war nötig um einem solchen Zustand zum Trotz die Arbeit beim Volkswirt zu tun. Ich bin überzeugt, dass seine menschliche und im Grunde optimistische Weltanschauung viel dazu beigetragen hat, ihm über diese Schreckliche Zeit hinwegzuhelfen.

Leider habe ich damals seine Weltanschauung nur mangelt begriffen. Teils war ich zu einseitig mit Ökonomie beschäftig, teil war ich zu unreif. Wenn er über solche metaphysische Fragen zu mir sprach, war es so wie wenn man Erbsen an die Wand wirft. Doch so eigenartig es klingt, vieles habe ich in mich aufgenommen ohne dessen gewahr zu sein und seine Worte sind mir nach Jahren zurückgekommen. Ich erinnere mich auch, dass er mir erzählte, er habe methodologische Fragen mit seinem Bruder Michael erörtert. Er erwähnte diese Diskussionen mehrere Male um dazulegen, dass die Wirtschaftstheorie als Beschreibung von Wahlhandlungen mit Psychologie nichts zu tun habe, vielmehr sei die Psychologie nur eine der Möglichkeiten den Inhalt der Wahlhandlungen zu beschrieben. Das legte die formale Natur der Ökonomie bloß. Ebenso argumentierte er betreffen die Erkenntnistheorie. Insbesondere habe due vergesellschaftete Natur des Bewusstseins – dass wir so eingerichtet sind, dass wir einander verstehen können und in einer Gesellschaft leben können (ich habe schon vorher versucht das zu erwähnen), das “Transzendental-Soziale” Max Adler’s – mit Psychologie keine Verbindung. Für die Behandlung der Objektivationen, den Sprung vom Individuellen zur Gesellschaft war das richtig. Denn war der Mensch in seinem Bewusstsein schon vergesellschaftet, so war in jedem Einzelnen die Gesellschaft schon a priori gegeben und der “Sprung” vom Einzelnen zur Gesellschaft existierte nicht. Wo man vorgab, dass en existierte, und irgendwelche Lösungen zu seiner Überbrückung vorschlug, behandelte man daher nur ein Scheinproblem, weil in Wirklichkeit keines da war.

[17] Karl macht diese formales Überlungen viel Freude. Zwar fühlte er sich manchmal durch die Vielgestaltigkeit seiner Interessen aufgehalten. “Ich bin viel zu polyphon, deswegen bringe, ich nichts fertig”, sagte er mich einmal. Doch gerade seine Vielseitigkeit war neben Deinen politischen Interessen eine den Ursprachen, die Euer Heim zu einem wissenschaftlichen und politischem “Salon” machten, wo manche Euere Freunde für Ihre spätere Arbeit entscheidend geformt wurden. Ich kenne natürlich nur einige wenige aus Eurem Kreis. Philosophische, Literatur – und Kunstprobleme habte Ihr oft mit “Grossväterchen” Aurel Kolnai diskutierte. Bei Euch fand er eine nicht-materialistische Weltanschauung [18] kombiniert mit einer erkenntnistheoretischen Grundlage, die Kant mit Marx verband. (Karl folgt hier Max Adler, zumindestens kommt es mir so vor). Das war für Kolnai sehr anziehend, dann er hatte damals sehr anziehend, denn er hatte damals sich von einem materialistischen Weltanschauung abgekehrt, (ich bin natürlich nicht ganz sicher) und suchte nach einer philosophischen Basis, auf der er die Sozialwissenschaft mit seiner Vorliebe für die katholische Kirche vereinigen könnte. Dabei war er nach wie vor Sozialist. Ich bin überzeugt, dass Karl ihm in diesem Stadium entscheiden beigestanden ist. “The war against the West” leg Zeugnis davon ab. An nicht wenigen Stellen ist es, als on man Euere eindringlichen Stimmen hören könnte. Ich lernte Interessanten Umständen eine zweites Mal vorgesellt, und das kam so. Ein Onkel, bei dem er wohnte, war Direktor einer Unternehmung, die in den ersten Jahren der Zwischenkriegszeit mit den Bank zu tun hatte, in der mein Vater arbeitete. Den beiden älteren Herren, die die Vorkriegszeit noch nicht vergessen hatten, kamen – und das ist nur natürlich – die jungen Menschen der damaligen Zeit in mancher Hinsicht merkwürdig vor. So sagte eines Tages Kolnai’s Onkel zu meinem Vater: “Stellen Sie sich vor, ich habe einen total verrückten Neffen.” Mein Vater erklärte, dass er mit seinem Sohn nicht viel besser dran sei, worauf Kolnai’s Onkel meinte: “Wir wäre es wenn man die beiden jungen Leute zusammenbrächte? So wanderte ich eines Sontag Vormittag in den siebten Bezirk, wo Kolnai’s Onkel wohnte. Alle Teile wären überrascht, dass wir uns so wieso schon kannten und als wir allein waren, hatten wir Stoff zu großer Heiterkeit. Kolnai’s “war against the West” ist leider von unzerstörbarer Aktualität des Kampfes des Ungeistes und der Unvernunft gegen die Vernunft oder wie immer Du es nennen magst. Das Euch ist eine Grossleistung. Wenn Du noch mit Kolnai in Kontakt bist, bitte lass ihn vielmals von uns grüßen. Ich kann mich noch an manche Gespräche mit ihm erinnern. Ich glaube Karl brachte ihm zum Volkswirt. Doch unter dem Faschismus schied er aus, weil er, wie mir sagte, fand, dass der Volkswirt unter Frau Klausberger zu sehr national geworden sei. Hoffentlich lebt er noch und in Umständen, die an für sich befriedigend erachtet.

Ein anderer, der Euerem “Salon” sehr viel verdankt, war Karl Popper. Er war einer den wenigen, der in das Pädagogische Institut der Stadt Wien aufgenommen wurde, weil er für den Lehreberuf so geeignet erschien. Der Andrang zum Pädagogischen Institut was infolge der chronischen Massenarbeitslosigkeit in Österreich sehr groß. 1926 sagte beispielsweise eine junge Erzieherin zu mir: “So viele wollen Lehrer werden! Da haben sie sich mehr zu helfen gewusst und haben das Pädagogische Institut erfunden.” – ein für die damalige Zeit bezeichnende – der Ausspruch, weil es ja o schwer war einem Posten zu finden. Popper arbeitete auch als Lehrer an philosophischen Fragen weiter. Ich glaube, dass er schon in Wien einen Preis für eine Arbeit erhielt, die er noch unter dem Heimwehrfaschismus verfasste. Das führte ihn glückerweise als lecturer nach Neuseeland. Dort hat er uns geholfen, dass und das ---mit nach Neuseeland gegeben wurde, und so sind wir auch ihm zu großem Dank verpflichtet. Ich glaube er ist jetzt in London Professor. Ich habe seine Büche, die natürlich hier sind, nie gelesen, weil es ja nicht mein Gebiet ist. Doch ich habe das Gefühl, dass zumindestens in seinem Buch über Historismus der Einfluss der Vorgartenstrasse deutlich sichtbar ist. Bitte, richte auch ihn unsere Grüße aus, wenn Du mit ihm in Kontakt bist.

[19] Eines unter den Besuchern des “Salons”, den ich noch gut in Erinnerung habe ist Hans Zeisel. Ich habe noch die zahlreichen Erörter ungen im Ohr, in denen Karl ihn mit der Natur erkenntnistheoretischer Fragen vertraut machen wollte. Was aus ihn und anderen wie z.B. Lazarsfeld, Ludwig Wagner geworden ist, weiß ich nicht. Ich kann nur hoffen, dass sie den Faschismus überlebt haben.

In vielen Diskussion mit diesem gewiss sehr begabten Menschen habe ich nicht teilgenommen, weil ich wie gesagt zu wenig von dem Gegenstand wusste und im allgemeinen zu unreif war. Vielfach hörte ich nur mit halbem Ohr zu oder spielte mit Kari, damals noch “Baby” oder Hasenhund genannt. Als ich sie zu ersten Male sah konnte sie kaum noch gehen und schon gar nicht über den runden braunen Tisch im Mittelzimmer hinübersehen. Ihr eigentlicher Wohnraum war im rechten Zimmer, das gleichfalls zwei Fenster hatte. Die auf die Vorgartenstrasse hinausgingen. Doch spielten wir, wenn im Mittelzimmer gerade kein Platz war, oder wenn sie nicht bei Nene war, anten deren liebender Fürsorge sie aufwuchs. Oft spielte sie aus dem Fußboden bei Euch in Mittelzimmer mit Büchern und Zeitungen, an denen es ja bei Euch kein Mangel war. Oder sie wanderte im Zimmer herum machte das oder jenes. Ihr ließet sie, wie Ihr mit liebvollen Lächeln nanntet, ihr “Unwesen treiben”. Aus den Zeitungen machten wir Tschakos und größere Schiffe Verschriebene Heftseiten und Maschinschreibpapier waren stärker und eigneten sich wunderbar für Schnäbel, die man zuklappen konnte und die von selbst aufsprangen. In der warmen Jahreszeit saßen mir manchmal im Garten. Kari ging mit mir vor den Güter auf und ab. Auf der Straße gab es viel zu bewundern die Menschen, die Autos, die Hunde, Katzen, Tauben und Spatzen. Meinen Namen konnte sie im Anfang nicht gut aussprechen. So kam ich zu dem besonderen Titel Wawi, den ich durch die Jahre beibehielt. Kein Wunder, dass sie in der schönen Atmosphäre Eueres Heimes in Eurem Sinne aufwuchs. Euere Gespräche, die Menschen, die sie am Morgen in die Arbeit gehen sh, die rote Fahne, die jeden ersten Mai vom Fenster im Mittelzimmer ausgesteckt im Winde flatterte, waren gewiss Eindrücke, die auch sie an die Seite der Menschlichkeit zogen. Nene, ihre Großmutter konnte das Alte infolge ihres Gefühles für Gerechtigkeit nicht mehr als gut anerkennen. Dieses Gefühl wurde bei ihrer Tochter zur Revolte der Notwendigkeit. Bei Kari, der Enkelin, war das Neue Selbstverständlichkeit geworden. Als im Marz 1933 das Notverordnungsregime etabliert wurde, verstand sie schon was vorging. Kurz nachdem Karl in November 1933 nach England gegangen war, kam sie mit Nene auf Besuch zu uns. Nene brachte eine Taufgeschenk für unseren Sohn, damals vier Monate als. Es war ein Silberlöffel mit Nene’s Familienwappen, der “Nenelöffel”, wie wir sagen und den wir noch immer haben. Wir sprachen besorgt über die faschistische Gefahr, die die eine Gewitterwolke drohend am Himmel stand. Drei Monate später waren die letzten Reste dem Demokratie verschwunden. Nach dem Februar 1934 wollte Kari nicht mehr in die Schule gehen. Die ihr leibgeworden Lehrer waren nicht mehr da. Sie kam nach England und das war das Beste. Ich habe seither nur Bilder von ihr gesehen. Sie und eines den Kinder sieht Karl sprechend ähnlich. Wir wünschen ihr und ihre Familie alles Gute. Sie wird sich vielleicht noch das was ich über die Vorgartenstraße geschrieben habe, erinnern. Viele herzliche Grüße.

[20] Um wieder auf das “Seminar” zurückzukommen möchte ich sagen dass es trotz der Beschäftigung mit anderen Gegenständen fortgeführt wurde. Doch löste es sich im Frühsommer 1924 allmählich auf. Alsegg und Pikler kamen nur selten, und Bock arbeitete, wie gesagt, zu dieser Zeit an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung und sprach daher viel mit Karl über diese Thema. Ich glaube, dass auch Karl sehr an dem Gegenstand interessiert war, weil er im Zusammenhang mit seiner Arbeit “Sozialistische Rechnungslegung” tiefer in der Theorie der Preisbildung in einer sozialistischen Wirtschaft eindringen wollte. Zumindestens sagt er am Schluss seiner Abhandlung: “Geflissentlich haben wir in unserem Gedankengang die Wirtschaftstheoretischen Probleme umgangen, die in der Form, der sachlichen Voraussetzungen unserer Annahmen an uns herangetreten sind. Nichts wurde bezüglich der Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Voraussetzungen behauptet und bewiesen, um nichts wird somit das Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftslehre selbst durch unsere Ausführungen seiner Lösung näher gebracht. (Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 49. S. 42x)

Das führte ihn zum Problem Preise ohne Voraussetzungen schon bestehender Preise unter einer sozialistischen Wirtschaft abzuleiten.

Second 'Part'

Second Letter: 14 December 1964

[21] Er war immer da, [ihr] ich war mir über manches nicht so klar wie jetzt. Ich sehe Euch alle vor mir wie wenn es gestern gewesen wäre. Wir fehlen die Worte das zu sagen, ___ ich sagen nivelte sind so gehe ich lieber wiedu zur Schreibmaschine sind fange dort an, nämlich mit dem bestreben Karl’s seine Abhandlung über die sozialistische Rechnungslegung durch Eindringen in sozialistische Wirtschaftstheorie zu vervollständigen, [22] wenn das du richtige Ausdruck ist. So beginne ich nicht aber Wiederhabhung der Schlussalätze in der sozialistischen Rechnungslegung. Er sagt dort, Geflissentlich haben wir in unserem Gedankengang die wirtschaftstheoretischen Probleme umgangen, die in der Form der sachlichen Voraussetzungen unserer Annahmen an uns herangetreten sind. Nichts wurde bezüglich der Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Voraussetzungen bewiesen. Um nichts wird somit das Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftslehre selbst durch unsere Ausführungen seiner Lösung näher gebracht.” (Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 49, S.420)

Als Hauptproblem der sozialistischen Wirtschaftstheorie ah er damals –zumindest kommt es mir so vor – die Frage an, unter sozialistischen Voraussetzungen eine Güterverteilung durch einen Preisbildungsprozess abzuleiten, Er betonte dabei, dass die Preise an sich nebensächlich wären. Er strebt nach einer Verteilung der Güter, die dem Rationalitätsprinzip. K in Sinne, wie es Mises verlangte, Genüge leisten würde. „Die Hauptasche ist die Verteilung der Güter. Die Preise bilden sich schon dabei“ meinte er. Er wollte nun eine Verteilung der Güter unter einem Preissystem unter dem Maximum der erforderlichen Voraussetzungen ableiten. Um diese Zeit las er nicht nur die österreichischen Grenznutzler (vor allem Böhm-Bawerk und Wieser, aber auch Schumpeter), sondern insbesondere J.B. Clark. Möglicherweise hatte Bock seine Aufmerksamkeit auf Clark gelenkt. Bock arbeitete damals, wie erwähnt, an seiner Dissertation über sozialistische Wirtschaftsrechnung und vielleicht hatte er damals Clark mit Karl diskutiert. Irgendwie glaubte er, dass Clark auch für die Prüfung wichtig wäre. Und so las er Clark zusammen mit einem Studienkollegen (ich glaube Blumenfeld war sein Name). Beide konnten, wie ich mich zu erinnern glaube, nur wenig englisch, Bock nahm vielleicht auch den Rat Strigl’s an, der in seinem Seminar einmal sagte: “Lesen Sie Clark und lernen Sie englisch dabei”. Jedenfalls war, wie ich weiß das Lesen Clarks für beide – Bock und Blumenfeld – mit gewissen Sprachschwierigkeiten verbunden. Nichts war nun natürlicher als dass sich Bock an Karl wendete, der doch perfekt Englisch kannte. Karl wurde wahrscheinlich durch das Bild der Sozialwirtschaft bei Clark in seinem Denken über sozialistische Wirtschaft unter einem Preissystem angeregt. Bei Clark ist nämlich die Wirtschaft gleichsam in zwei Teile gespalten. Auf der einen Seite stehen die Konsumenten mit ihrem Geld und auf der anderen Seite die Arbeiter als Besitzer und Verkäufer ihrer Arbeitskraft sowie die Besitzer der Kapitalgüter. (Letzteres ist nicht die genaue Formulierung, aber ich glaube es tut hier nichts zur Sache). Du siehst vielleicht schon hier die Aelichkeit mit seiner Konstruktion der Kaufkraftwirtschaft. Doch darüber später. Hier möchte ich nur sagen, dass Karl’s Interesse vor allem der Preisbildung bei Clark galt. Clark’s Lösung hat bekanntlich zwei Alternativen. Einmal leitet Clark die Arbeitslöhne vom Lohn des Grenzarbeiters ab. Der Lohn des Grenzarbeiters ist die Minderung, die das Nationaleinkommen erleidet, wenn eine Arbeiter wegfällt. Der Lohn des Grenzarbeiters ist der Lohn für jeden Arbeiter. Daher ist der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen gefunden, wenn der Lohn des Grenzarbeiters mit der Anzahl der Arbeiter multipliziert wird. Ist der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen bestimmt, so kann dieser Anteil vom Nationaleinkommen abgezogen werden. Das Resultat ist der Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen. Die andere Alternative ist, das Einkommen des Kapitales dadurch abzuleiten, dass man ein kleines Teilchen des vorhandenen Vorrates an Kapitalgütern wegfallen lässt. Die Minderung des Nationaleinkommens, [23] die dadurch verursacht wird, bestimmt den Preis jenes Kapitalteilchens, das Grenzkapitalteilchens. Multipliziert man es mit den anderen Kapitalteilchen, aus denen der Vorrat des Kapitalgüter besteht dann erhält man den Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen. Der Anteil der Löhne wird durch Abzug des Kapitalanteils vom Nationaleinkommen gefunden. (Ich bin mir bewusst, dass diese Theorie sehr schlecht dargestellt ist, aber ich glaube, dass es für hier genügt). Der bekannte Einwand gegen Clark ist, dass er nicht bewiesen habe, dass man zum gleichen Anteil der Löhne und des Kapitals am Nationaleinkommen gelange, ob man nun die Löhne oder den Preis er Kapitalgüter direkt durch Wegfall eines Arbeiters bezw. eines Kapitalteilchens bestimme, oder ob man diese Anteile indirekt durch Abziehen vom Nationaleinkommen bestimme. Karl hat dieser Einwand eigentlich nicht oder nur wenig interessiert, weil er keine Verbindung mit einer Preisbildung unter Sozialismus sah. Auch die Folgerung Clark’s, dass der Kapitalismus gerecht sei, weil jeder in seiner Wirtschaft das erhalte, was sein Produkt „wert“ sei, war für ihn unwichtig. Er lohnte sie einfach ab. “Es ist genial” rief er aus “wie er aus der Stellung im Produktionsprozess die Einkommen ableitet. Aber das zu folgern, dass das auch gerecht sei, ist logisches Missverständnis.” Auch die Debatte zwischen Clark und den Österreichern (vor allem Böhm-Bawerk), ob Clark Geldkapital oder “Naturalkapital meine” berührte ihn nicht sehr stark. Ihn stärte anderes.

Ökonomische Theorie war für ihn – zumindestens damals, wie ich glaube – vor allem ein Werkzeug, das ihn zeigen sollte, wie eine sozialistische Wirtschaft unter einem Preisbildungssystem arbeiten könnte[.] Nun musste er finden, das Clark – und das galt auch für alle anderen, die Löhne und Preise für Güter durch den Wegfall des Grenzarbeiteres oder des letzten Güterteileichens erklären („Verlustprinzip“ Karl sagte) – schon eine Verteilung der Arbeitskraft und Kapitalgüter vorausgesetzt hatte. “Ja” argumentierte Karl “wenn ein Wegfall von gewissen Mengen von Arbeitskraft oder Gütern eine Ertragsminderung bedeuten, dann müssen diese Dinge schon gewidmet sein.” Rief er aus. “Ihr Schicksal ist schon entschieden”. Er aber gerad zeigen, wie man in einer sozialistischen Wirtschaft Gütervorräte widmen könnte, deren “Schicksal noch entschieden” war. In der Tat kann man – und wieder zu Clark zurückzukehren – den Wegfall eines Arbeiteres (des “Grenzarbeiteres”) nicht annehmen, ohne dass dieser Arbeiter bereits in einem bestimmten “job” tätig ist. Mit anderen Worten: Nicht nur muss schon entschieden sein, welche Gütermenge er zu erzeugen hilft, es müssen auch die Konsumguter schon geplant sein, für die er hilft die Produktionsmittel zu erzeugen, d.h. eine Nachfrage der Konsumenten nach bestimmten Gütermengen muss schon gegeben sein. “Es ist ja schon alles da” meinte Karl. Das gleiche fand er bei der Untersuchung der Theorien anderer Autoren insbesondere Böhm-Bawerk, Menger, Schumpeter, Wicksteed und Wieser. Zum Beispiel bei Menger perkoliert der Wert der Preis der Konsumgüter durch die verschiedenen Produktionsstadien zu den Produktionsgütern höchster Ordnung Arbeitskraft und Boden. Das setzt schon Werte oder Preise für Konsumgüter voraus, also schon produzierte Mengen von Konsumgütern. Das erschien Karl ungenügend.

“Man muss sehen unter welchen mindestvoraussetzungen eine Verkehrswirtschaft abgeleitet werden kann” sagte er zwischen der Türe von Euerem Schlafzimmer und der gegenüberliegenden Türe in das andere zweifensterige Simmer an grünem Ofen und ruides Tisch vorbei auf und ab gehen. Ich erinnere mich genau an die Szene. Kari spielte auf dem Boden mit Büchern. Mit einigen baute sie Häuser und auf [24] einigen saß sie wie auf einem Schemel. “Das ist die Lektüre meiner Tochter” sagte er. Du bist wieder an dem rundeu Tisch gesessen. Kari beschäftigte sich mit den Büchern vor dem Bibliothekskasten, der an der linken Zimmerwand stand, wenn man vom Vorzimmer in das Mittelzimmer kam. Der Kasten war diesmal nicht so voll wie sonst. Entweder waren einige Bücher, mit denen sich Kari gerade unterhielt, herausgefallen, oder man hatte sie bei irgendeine Anlass herausgenommen. Doch ein dickeres Buch stand im Kasten. Weil der Kasten nicht ganz voll war, war der Titel und Autor gut sichtbar. Ich kann mich an den Titel nicht erinnern, doch weiß ich, dass der Name des Autors “Pikler” war. Ich glaube, er war Professor des Römischen Rechtes an der Universität in Budapest, als Karl studierte. “Wir hatten einmal irgendwelche Institutionen zu beschreiben” erzählte mir Karl (soweit ich mich erinnere)” und meine Arbeit hat ihm scheinbar gefallen. “Karl fiel ihm bei dieser Gelegenheit auf – “Von Ihnen wird man hören” sagte der Professor zu ihm. Und dann erzählte er mir von einem Vortrag den Pikler an der Universität hielt und der gestört wurde. Es ging dabei nicht ohne die üblichen Krawalle ab. “Von Ihnen sind die Haarbüschel nur so geflogen” sagte der Professor danach zu Karl. “Nach dem Vortrag haben wir Pikler nach Hause begleitet, damit ihm nichts passiert. Und das war der Anlass, dass wir den Verein Galilei gegründet haben” sagte er. Die Mitglieder des “Galilei” waren natürlich eine Minderheit und hatten es nicht leicht. Ich glaube mich zu erinnern, dass er der erste Vorsitzende war, wie er mir erzählte. Gewiss hatte er schon damals Ruf, sonst hätte man ihn nicht auf eine so verantwortliche und exponierte Stelle gewählt. Ich glaube, dass schon vor der Gründung des “Galilei” gewisse Zusammenhänge zwischen den links gerichtsteten Studenten und Lehren beständen, Wenigstens erinnere ich mich, dass ihn (mir kommt vor es war noch bevor “Galilei”) ein Student der gruppe: ihm mitteilte; “Gerade ist Balacs ermordet werden.” (Der Name mag falsch sein, aber es war, wie ich glaube, ein Professor, der Spann in mancher Hinsicht vorweggenommen hatte.) Natürlich war es nicht wahr. Man sollte Karl nur auf die Probe stellen, und sehen wie er auf plötzliche eintretende Ereignisse reagierte. Er erzählte mir das alles bei verschiedenen Gelegenheiten. Man konnte ja nicht immer von “Fach” sprechen. Ein solcher Anlass von seinen Universitätserlebnissen zu reden, waren die sogenannten „Hochschulkrawalle“, an der Wiener Universität. Mit dem Erstarken der Redaktion wurden sie häufiger. Im wesentlichen bestanden sie darin, dass die Organisation der Nazistudenten – damals nannten sie sich anders – erklärte, dass die Universität von nun ab “deutsch” sein. Daher hätten jüdische Professoren und Studenten keinen Zutritt. Wir gingen natürlich an die Universität. Da wir aber in der Minderheit waren, war unseres Bleibens dort nicht sehr lange. Es war ein eigentümlicher Zustand. Der Rektor gestützt auf eine gewohnheitsrechtlich bestehende Autonomie der Universität weigerte sich die Polizei zu rufen. Er stellte eben die Vorlesungen ein. Das kostete manchmal ein Semester, weil auch keine Prüfungen stattfanden, soweit ich mich erinnere. In der Allee auf dem Ring vor der Universität stand, wenn gerade “gekämpft” wurde, ein Wagen der Rettungsgesellschaft, um etwaige Verwundete in’s Spital zu führen. Vor dem Wagen, zur Universität zu, stand ein Polizeikordon.

Niemand, außer Professoren und andere Menschen mit spezieller Erlaubnis wurde hinaufgelassen. Wenn im Laufe der Raufereien jemand von der großen Stiege der Universitätsrampe hinuntergestoßen [25] wurde, find ihn die Polizei auf, und übergab ihn entweder der wartenden Ambulanz oder ließ ihn gehen. Doch durfte er nicht mehr auf die Universität zurück. Manchmal teilten eine ganze Reihe von uns dieses Schicksal. Hinter dem Polizeikordon wurde man zum “Weitergehen” aufgefordert. So promenierten wir einige Stunden vor der Universität auf und ab, bis gewöhnlich jemand von unserem Studentenheim oder einer unserer Abgeordneten kam, und uns sagte, dass wir zur Organisation gehen sollten. Die war erst in der D’Orsaygasse und später in der Werdertorgasse. In früheren Jahren konnte man im Zug gehen, später verbot es die Polizei. 1926 – ich glaube das war das Jahr – gab Seitz als Wiener Landeshauptmann der Polizei die “Weisung” bei Störungen des Unterrichtsbestrieben an den Hochschulen an Ort und Stelle die Ordnung aufrechtzuerhalten. Eines Tages beriefen wir uns diese “Weisung”. Doch der diensthabende Polizeioffizier lehnte es ab. Er würde die Autonomie der Universität, die ihm seinen Doktorgrad gegeben hätte, nicht verletzen. Dabei blieb es, weil der Landeshauptmann zwar “Weisungen” erteilen, aber mangels Disziplinargewalt ihre Ausführung nicht erzwingen konnte. Wie es heute ist, kann ich natürlich nicht sagen. Zurückblickend möchte ich bemerken, dass wir naturgemäß immer verloren. Das war bei der großen Übermacht der Gegenseite nicht anders zu erwarten. Doch teilweise war es vielleicht dem Umstand zuzuschreiben, dass den anderen im Gegensatz zu uns der “Wirbel” als eine Art “frischfröhlicher Krieg” Freud machte. Sie waren wahrscheinlich zumindest unterbewusst ein Ausdruck jener faschistischen Anschauungen, die Karl in seiner “Essence of Fascism” so wunderbar schilderte und analysierte und von denen er schrieb, “if there is one thing which could justify either of them, it is the appalling alternative by the other.” (p. 382) Ich hoffe im dritten Abschnitt, wo ich versuchen werde, einiges über seine späteren Werke zu sagen, diese meisterhafte Abhandlung über den Faschismus so gut ich kann, darzustellen und sie mit seinem überigen Schaffen zu verbinden. Hier aber fühle ich mich noch in den Jahren 1925/27 also ungefähr sieben bis zehn Jahre vor dem Erscheinen der “Essence”. Das führt mich wieder in die Vorgartenstrasse zurück.

Wie gesagt suchte er nach den Mindestvoraussetzungen zur Ableitung einer Verkehrswirtschaft. Ich sehe ihn wie wenn es gestern gewesen ware, vor mir. “Vor allem muss man einen Vorrat von Gütern annehmen”, sagte er auf und ab gehend. “Ohne Güter gibt es keine Wirtschaft. Und dann braucht man menschliche Bedürfnisse,” setzte er fort. Güter, von denen man nichts wisse, oder Güter, die für menschlichen Bedürfnisbefriedigung ungeeignet seien, weil sie zu weit entfernt von potentiellen Verbrauchern seien, oder weil sie aus anderen Gründen zur Befriedigung von Bedürfnissen nicht in Frage kämen seien keine Güter. “Also muss man Menschen mit Bedürfnissen annehmen” meinte er. Er sprach von “Wirtschaftssubjekten” im Sinne der herkömmlichen Terminologie. “Aber das genügt noch nicht. Die Wirtschaftssubjekte müssen ihren Bedürfnissen Ausdruck geben können. Die Menschen müssen sagen können, was sie haben wollen.” Als einziger mag das unter einem Preisbildungssystem zu erreichen erschien die Annahme eines Mittels, das aus homogen Einheiten bestand. Er nannte dieses Mittel “Kaufkraft”. Aber es war offenbar nicht genug jedes Wirtschaftssubjekte mit einer bestimmten Menge an “Kaufkraft” auszustatten. Er musste noch [26] für jedes Wirtschaftssubjekt bestimmte Mengenverhältnisse zwischen “Kaufkraft” und den Güterarten annehmen, die es mit der “Kaufkraft” erwerben konnte.

An diesem Punkt aber blieb er stehen. Die Annahme von “Kaufkraft” und Mengenverhältnissen zwischen “Kaufkraft” und den Güterarten, die man durch Ausgeben der Kaufkraft erwerben konnte, fand er bedenklich. “Ja, nehme ich nicht schon Preise von vornherein an?” fragte er sich, beim Fenster zwischen dem Schreibtisch und dem grauüberzogenem Divan, durch das man auf die Blumen in dem großen Reservegarten der Gemeinde Wien hinaussah. “Ich soll doch Preise erste erklären und da habe ich schon Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Gütern. Kann man das wirklich tun?” Nach einigen Nachdenken entschied er, dass er das zu könne. Denn erstens war keine andere Möglichkeit gegeben, als diese Mengenverhältnisse anzunehmen, wenn die Wirtschaftssubjekte ihre Bedürfnisse, d.h. ihre Wünsche nach Gütern ausdrücken sollten. Und zweitens war keine Notwendigkeit für jedes Wirtschaftssubjekt das gleiche Mengenverhältnis zwischen seiner “Kaufkraft” und die Güterarten anzunehmen. Da blieb noch genug Raum für den Preisbildungsprozess. “Ich nehme ja für jedes Wirtschaftssubjekt ein anderes Mengenverhältnis zwischen Kaufkraft und Gütern an “argumentierte Karl. Der Preisbildungsprozess hebt aus allen diesen verschiedenen Mengenverhältnissen für jede Güterart ein Mengenverhältnis hervor, das für alle Wirtschaftssubjekte gilt, und bei dem alle Gütermengen mit der ganzen Kaufkraft, die die Wirtschaftssubjekte haben, erworben werden. “Und weiter erklärte Karl: “Dass ich diese Mengenverhältnisse annehment muss, ist eigentlich ganz klar. Sie sind ja Verwendungsmöglichkeiten für Vorräte” (die Vorräte an Kaufkraft, mit der jedes Wirtschaftssubjekt ausgestattet war)” und für die Wirtschaftstheorie sind sie Verwendungsmöglichkeiten unableitbar gesetzt. Ohne das wäre der Begriff des Wirtschaftens als Wahlhandlung zwischen Verwendungsmöglichkeit sinnlos. Der Preisbildungsprozess hebt nur eine der vielen Verwendungsmöglichkeiten als Preis hervor.

Damit war er zu einer Position vorgedrungen, die über die übliche Theorie hinausführt. Zu Beginn der Grenznutzentheorie (die “Klassiker” wie Jevons, Böhm-Bawerk, Menger um nur einige Namen zu erwähnen) suchten ihre Vertreter den Preis als etwas “objektives” von den “subjektives” Bedürfnissen aus zu erfassen. Man wollte den “Sprung” vom “Subjektiven” zum “Objektiven” machen. Im Lichte der Tatsache, dass der Preisbildungsprozess nur ein Mengenverhältnis, das als Verwendungsmittelsmöglichkeit unableitbar gesetzt ist, aus den anderen Mengenverhältnissen hervorhebt, die gleichfalls als Verwendungsmöglichkeiten unableitbar gesetzt sind, erscheint ein solcher “Sprung” als ein Scheinproblem, das gar nicht besteht. Karl hob das hier hervor, wie er das gleiche auch bei den Objektivationen ausgeführt hatte. (Ich glaube, dass ich diesen Punkt bei Objektivationen im ersten Abschnitt erwähnt habe).

Die heutige Theorie spricht im Gegensatz zu den “klassikern” der Grenznutzenschule nicht mehr davon KP Preise von den Bedürfnissen ableiten zu wollen. Sie begnügen sich damit entweder unter Voraussetzung von Preisen nur ihre Änderungen durch verschieden “Effekte” zu erklären (z.B. Hicks). Oder wenn sie den Preisbildungsprozess schlechthin erklären wollen (sie nennen das auch Tausch) setzen sie Mengenverhältnisse als Verwendungsmöglichkeiten für irgendeinen Vorrat voraus, und tun das gleiche wie Karl, ohne es aber ausdrücklich zu sagen. So heißt es z. B. in einem an der Universität in Wellington, Neuseeland vielgelesenem “Textbook” von K. F. Boulding “Economic Analysis”.

[27] “In the case of any given exchange there is a certain range of price within which the exchange will take place, but outside of which one of the parties will feel that he does not benefit by the exchange. To return to our friends Mrs. Jones and the shopkeeper. There is also some price of butter above Mrs. Jones will not buy… There is also some price of butter below which the shopkeeper will not think it worthwhile to sell” (p. 35) In diesem für Studenten sehr leicht und fasslich geschrieben Darstellung ist klar von Preisen die Rede, bevor es noch zum Tausch, d.h. zum Preisbildungsprozess gekommen ist. Doch ist nicht gesagt, dass der Tausch nur einen der “Preise” die schon vorausgesetzt sind, zu dem “Preis macht, bei dem dann tatsächlich getauscht wird. Für Karl bedeutete die Voraussetzung von Preisen als Verwendungsmöglichkeiten, dass sich hier er vergesellschaftete Mensch “meldete” wie er zu sagen pflegte. Die Notwendigkeit Verwendungsmöglichkeiten für den Vorrat an Kaufkraft oder Tauschverwendungsmöglichkeiten (die “prices” bei Boulding) anzunehmen setzt auch Menschen voraus, die wissen, dass man mit der Kaufkraft etwas kaufen könne, oder dass man mit einer bestimmten Gütermenge eine andere eintauschen könne, mit anderen Worten eine Sozialwirtschaft ist bereits vorausgesetzt und mit Menschen, deren Bewusstsein so eingerichtet ist, dass sie in einen Sozialwirtschaft leben können. Damit kam Karl wieder beim vergesellschaften Menschen an, dem Begriff, der wie ich glaube, die logische Einheit seines Schaffens ist. In der Ökonomischen Theorie hat er durch diesen Begriff ihre Voraussetzungen entwickelt und klargelegt. (Ich werde noch später darauf zurückkommen). Leider hat er seine Ergebnisse nie veröffentlicht. Das ist charakteristische für ihn. Er war zu bescheiden um Publikation anzustreben.

“Wenn er irgendwie bekannt werden soll ist er dafür nicht zu haben” sagte seine Mutter mir einmal, als ich sie spät am Abend einmal nach Hause begleitete. Das war ungefähr im Juni oder Juli 1926. Die Abende waren schon warm, und so blieb sie, bis es sich etwas abkühlte. Ich fuhr mit ihr bis zu ihrem Haus, das in der Hitzinger Hauptstraße war. Es ging mir ähnlich wie damals als ich das erste Mal zu Euch kam. Ich war kaum noch in dieser Gegen gewesen. Und doch viel Jahre später wohnten wir in der Nähe und da habe ich die Familie manchmal besucht. Ich fürchte, dass sie mit Ausnahme der Leinen Tochter, die der Großmutter und auch Karl sehr ähnlich sah, alle Opfer der Nazi geworden sind. An Deinen Schwager Seczi kann ich mich sehr gut erinnern. Doch näher bekannt wurde ich erst mit ihm in Buchenwald. So wie Jellinek war auch er glücklich darüber, dass Ihr in Sicherheit wart. Für sich selbst war er nicht sehr optimistisch und leider behielt er Recht. Doch trug er sein Schicksal heldenhaft. Er bemühte sich auch unter diesen furchtbaren Umständen sein seelisches Gleichgewicht zu bewahren, was ihm auch gelang. Er besprach mit uns die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, soweit man sie aus den Zeitungen, die in das Lager kamen, erfahren konnte. “Diese Nazi sind eigenartig” sagte er einmal. “Sie haben gegen die Verschiendenen Schichten verschiedene Haltungen. Die Kapitalisten behandeln sie wunderbar, da sind ganz bürgerlich, aber die Juden behandeln sie wie die Bolschewiken die Kapitalisten.” Dieser Ausspruch ist mir wieder eingefallen, als ich Karl’s “Essence” gelesen habe. Es war eben eine Unterdrückung der Demokratie zu um einen korporativen Kapitalismus unter dem Pseudomysticismus des Rassenbregriffes – so ungefahr hat Karl es formuliert – zu bilden. Natürlich anerkannten wir die Leistung der Vollbeschäftigung. Doch Seczi sprach oft von der “Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft” vom Außenhandel in lebenswichtigen Gütern und dass eine Autarkie nur in begrenzten Sinne möglich wäre. Über kurz oder lang [28] müsste sich das geltend machen. Die Richtigkeit dieser Ansicht konnten war täglich sehen. Denn manche Dinge, die wir hatten, waren nur “Ersatz”, die das ausländische Produkt nicht ersetzen konnten. Beispielweise die neuen Gefangenuniformen, die von außen sehr schön aussahen, boten nur wenig Schutz gegen Regen, weil das Material zum Zerfallen neigte. Ausserdem strömten sie bei solchen Anlässen einen an Leim erinnernden Geruch aus, Seczi zog immer wieder unsere Aufmerksamkeit auf solche “Ersätze”. Sie waren für ihn einer der Beweise, dass sich auf die Dauer das Regime nicht würde halten können. Wie sein Ende kommen würde, das konnten weder er noch andere 1938-39 d.h. der zeit vor dem Kriege, vorhersagen. Doch war er mit der Ausnahme für sich selbst, völlig zuversichtlich. Ich glaube er wurde ein Opfer der beinahe bei jedem Wetter im Freien arbeiten musste, kein Wunder war. Er soll in Frieden ruhen. Viele herzliche Gruße dem überlebenden Teil seiner Familie. Ich kann mich noch an alle sehr gut erinnern.

Das war ungefähr zwölf oder dreizehn Jahre nach der Zeit in der Karl die Mindestvoraussetzungen eines Preisbildungssystems unter Sozialismus ausarbeitete. Damals hätte man sich solches nicht träumen lassen, zumindestens ich nicht. Man glaubte die Zeit zum ruhigen Nachdenken zu haben. Preisbildung unter Sozialismus wurde (ich kann nur schon früher Gesagtes wiederholen) als ein Kernproblem des Sozialismus betrachtet. In dem Bestreben die Mindestvoraussetzungen eines Preisbildungsprozesses zu erforschen und dann sozialistische Annahmen in das “Model” (“Konstruktion” sagte Karl) einzubauen hatte Karl, wie schon erwähnt, einen Gutervorrat angenommen, der auf Wirtschaftssubjekte zu verteilen war. Jedes Wirtschaftssubjekt wurde mit einem Vorrat an “Kaufkraft” ausgestattet. Aussedem wurden für jedes Wirtschaftssubjekt Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Gütern angenommen. Nachdem er sich klar darüber gar, dass das, wie erwähnt, nicht die Voraussetzung von Preisen beinhaltete, ging er weiter. Wieder sehe ich ihn vor mir von der Tür des Schlafzimmers zwischen den rundem Tisch und dem Schreibtisch vorbei zur gegenüberliegenden Türe auf und ab gehen. Du bist wieder beim runden Tisch gesessen und Kari “trieb Unwesen”, wie Ihr damals sagtes. “Ich nehme nun weiter an” argumentierte Karl, “dass jedes Wirtschaftssubjekt seine ganze Kaufkraft ausgibt. Aber jeder muss die Möglichkeit haben, zumindestens zwei Güterarten mit seiner Kaufkraft zu erwerben.” Das bedeutete, dass für den Vorrat an Kaufkraft jedes Wirtschaftssubjektes Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und zumindestens zwei Güterarten gegeben sein müssen. Denn “wenn einer seiner ganze Kaufkraft nur für eine einzige Güterart ausgeben kann, dann hat er ja keine Alternative. Das ist keine Wirtschaft, weil keine Wahlhandlung da ist. Nur dann, wenn man zumindestens zwei Güterarten annimmt, hat man die Wahlhandlung drin. Das ist dann Wirtschaft.

So kam er zu dem, was “das Problem der zwei Vorräte” nannte. Es handelte sich dabei darum die Vorräte von zwei Güterarten im Besitz der Gesellschaft im Wege eines Preisebildungsprozesses unter Wirtschaftssubjekte, die mit “Kaufkraft” unter den erwänten Voraussetzungen ausgestattet waren, zu verteilen. Sein Suchen nach einen Lösung war vielleicht dem Anschein nach das was er später “formal” nannte. Und doch war es “substantiv” (Ich übertrage hier diese beiden Ausdrücke, wie ich sie in Kari’s Abhandlung fand in’s Deutsche.) Denn das Ziel war zu einem Preisbildungsprozesses in einer Wirtschaft zu kommen, in der die Wirtschaftssubjekte im Produktionsprozess abhängig war. Außerdem waren die zu verteilenden Gütermengen im Besitz der Gesellschaft. Das ergab eine Ordnung, die als “deliberate subordination of the economy to the ends of the human community” (ich zitierte hier wieder Kari) interpretiert werden konnte. Das wurde schon [29] damals ausgesprochen. So sagte ihm einmal Birkenfeld, dass das Wirtschaftsbild der “zwei Vorräte” sozialistischen sei. Darauf antworte Karl, dass es ihm nur Vergnügen mache zu hören, dass das Problem der zwei Vorräte, wie er es fasste, den Kapitalismus transzendiere. So zeigte sich vielleicht schon im “Problem der zwei Vorräte”, die Unterscheidung zwischen “formaler” und “substantiver” Theorie, die für sein späteres Wirken so entscheidend werden sollte.

Doch das nach der Wiener Zeit, soweit mir vorkommt. In der Zeit von der ich jetzt berichten will, (Mitte der Zwanzigerjahre) war er unter anderem mit dem “Problem der zwei Vorräte” sehr beschäftigt. Im allgemeinen folgte er der in der damaligen Grenznutzenschule übligen Vorgang. Das heiß er nahm das an, was man nach Chamberlin-Robinson (sie schrieben in den Dreißigerjahren) “perfect competition” (vollkommene Konkurrenz) nannte. Das Wirtschaftssubjekt, welches für eine Einheit einem bestimmten Güterart mehr Kaufkrafteinheiten bot als ein anderes erhielt vor jenem anderen die Gütermenge, die es nachgefragte hatte. Das wurde so lange fortgesetzt, bis der ganze Vorrat der betreffenden Güterart unter die Wirtschaftssubjekte verteilt war. Die Zahl der Kaufkrafteinheit, die das zuletzt beteilte Wirtschaftssubjekt für die Einheit der betreffenden Güterart “geboten” hatte, erschien dann als “Preis” für die Einheit der betreffenden Güterart, der für alle Wirtschaftssubjekte galt. Das war der in der Theorie übliche Vorgang. So bekamen alle Wirtschaftssubjekte Güter erhielten, (mit der Ausnahme des zuletzt beteilten Wirtschaftssubjektes) die ihnen “nachfragten” Gütermengen zu einer geringeren Anzahl von Kaufkrafteinheiten als sie “geboten” hatten – der Fall der “Konsumentenrente”. Karl nannte das “Überwertungen” weil diese Wirtschaftssubjekte, wie er es ausdrückte, die Gütereinheit “überwertet” hätten. Der Rest der Wirtschaftssubjekte ging leer aus, weil sie weniger “geboten hatten als das zuletzt betwilte Wirtschaftssubjekt. Karl sprach hier von “Unterwertungen”. Das Problem war nun von diesen “Überwertungen” und Unterwertungen für jede Güterart zu einem Mengenverhältnis zwischen einer Gutereinheit und “Kaufkraft zu kommen, bei dem die “nachfragte” Gesamtmenge dem vorhandenen Vorrat gleich war. (Equilibrium)

Als beste Lösung erschien es Karl die “Preise” die sich bei der erstmaligen Verteilung der Gütervorräte gebildet hatten, bei der folgenden Güterverteilung als Verwendungsmöglichkeiten für die Kaufkraft der Wirtschaftssubjekte zu benützen. Wenn z. B. “Preis” für einen Laib Brot 5 Kaufkrafteinheiten beträgt, so wird für den nächsten Schritt im Preisbildungsprozess das Mengenverhältnis “1 Laib Brot – 5 Kaufkrafteinheiten” als Verwendungsmöglichkeit für die Kaufkraft jedes Wirtschaftssubjektes angenommen. Jeder muss daher dieses Mengenverhältnis seiner “Nachfrage” nach Brot zu Grunde legen. Es ist nun möglich, dass die gesamt nachfragte Menge nach Brot kleinen ist als der vorhanden Vorrat. In diesem Fall wird das Mengenverhältnis ersetzt wo 1 Laib Brot weniger Kaufkrafteinheit z. B. 4 – gleichgesetzt ist. Dann wird sich – setzt man voraus – infolge der herabgesetzten Anzahl der zum Erwerb eines Laib Brotes nötig en Kaufkrafteinheiten die “Nachfrage nach Brot verwehren, und die nachfrage und vorhandene Brotmenge nähern sich einander an. Das Wird so lange fortgesetzt, bis sie identisch sind. [30] Dann ist das Gleichgewicht zwischen “Nachfrage” und “Angebot” erreicht und die faktische Verteilung des Brotvorrates kann vor such gehen. Nun kann aber bei der Annahme des Mengenverhältnisses “1 Laib Brot 5 Kaufkrafteinheiten” als Verwendungsmöglichkeit für die Kaufkraft jedes Wirtschaftssubjektes die gesamte nachgefragte Brotmenge grösser sein als der vorhandene Vorrat. Dann gilt das Gegenteil von denn was eben gesagt wurde. Der “Preise” wird langsam erhäht, bis die gesamte Menge nachgefragten Brotes so klein gewarden ist, dass sie sich an den vorhanden Brotvorrat angeglichen hat. Dann ist wieder das Gleichgewicht erreicht, unter dem die faktische Verteilung des Brotvorrates angenommen kann.

Im wesentlichen war diese Lösung eine Methode einen Preis für jede Güterart zunächst provisorisch zu erreichen und dann zu ungültigen Preisen dadurch zu kommen, dass mit jedem folgenden provisorischem Preisbildungsprozess die gesamte nachfragte Gütermenge sich dem vorhandenen Vorrat annäherte Methode wurde scheinbar von Edgeworth und Walras angewendet. Sie wollten in die Preistheorie in bestimmten Fällen “reconstruction” einbauen, bis Nachfrage und Angebot gleich geworden wären. Ich habe diese Autoren leider nicht gelesen. Doch Hicks erwähnt sie in Verbindung mit dieser Methode. Er sagte in einem kleinen Nebenabschnitt mit dem Titel: “The formation of prices. In general traders cannot be expected to know just what total supplies are available an any market, nor what total demand will be forthcoming at particular prices, any price which is fixed initially, will be only a guess. It is not probable that demand and supply will actually be found to be equated at such a guessed price: if they are not, then in the course of trading the price will move up or down. Now if there is a change in the midst of trading, the situation appears to elude the ordinary apparatus of demand-and-supply analysis: for, strictly speaking demand curves and supply curves give us the amounts which buyers and sellers will demand and supply respectively at any particular price, if that price is fixed at the start and adhered to throughout. Earlier writers, such as Walras (Walras, Elements, p. 44 – no edition indicated) and Edgeworth (Mathematical Psychics p. 17, Ausgabe nicht gegeben) had therefore supposed that demand-and-supply analysis ought to be confined to such markets as permitted of “recontract”: i.e. markets such that if a transaction was put through at the a “false” price (we shall find it convenient to have a term to mark prices other than the equilibrium price), it could be revised when the equilibrium price was reached. Since such markets are highly exceptional, their solution of the problem (if it can be called one) was not very convincing” (p. 128 J.R. Hicks, Value and Capital, 2nd edition Oxford, 1948, pp. XI and 340).

Auch dieses Zitat ist ein Beispiel dafür, wie in der heute üblichem Theorie Preise schon vorausgesetzt werden, ohne dass es gesagt wird, dass das aus ihrer Funktion als Verwendungsmöglichkeiten in Form von Mengenverhältnissen zwischen Gütermenden oder zwischen Geld und Gütermengen folgt. Daneben ist interessant, dass der Fall des “reconstructing” hier als Ausnahme behandelt wird. Bei Karl aber ist es der Hauptfall, weil man immer auf ihn stoßen muss, sobald man eine Sozialwirtschaft unter den Mindestvoraussetzungen ableiten will, wie er es getan hat. Es ist wirklich Schade, dass er nie dazugekommen ist, diese Bedeutung des Problems der zwei Vorrate zu veröffentlichen.

[31] Er war allerdings an solchen Fragen als “formal” vielleicht weniger interessiert, weil es ihm vor allem auf die sozialistische Anwendung der Theorie ankam. Und hier war das “Problem der zwei Vorräte” noch lange nicht für ihn erledigt, weil es zahlreiche Einzelfälle hatte, die er alle zum Beweis der prinzipiellen Möglichkeit einer Preisbildung und daher eines Marktes in einer sozialistischen Wirtschaft heranziehen wollte.

Im überigen tat er nur was Oskar Lange und andere entweder zur gleichen Zeit oder später getan haben, nämlich die formale Schale der Grenznutzentheorie mit einem historischen Inhalt zu füllen (ich glaube das Bild kommt von Schumpeter) und dieser Inhalt war sozialistisch.

Mir kommt auch vor, dass der junge Gaitskell, an den ich mich nur sehr dunkel erinnere bei Mises im Seminar im November 1933 einen Vortrag über sozialistische Wirtschaftsrechnung hielt, der sich auf den Linien des “Problems der zwei Vorräte” bewegte, und über den Mises nicht erbaut war. Das Referat war gewiss unter Karl’s entscheidenden Einfluss. Ich kann mich noch genau erinnern wie er mir einmal, es war möglicherweise 1925 – Wieser in diesem Zusammenhang zitierte. Er saß mit einem Buch Wieser’s in der Hand auf dem grau überzogenem, der im Mittelzimmer zwischen Bibliothekskasten und Fenster stand, aus dem schon am 30. April abends die rote Fahne ausgesteckt war. Vor dem Diwan stand der Schreibtisch mit Manuskripten und Zeitungsausschnitten für den Volkswirt und oft lagen auch doch Bücher. Eines davon war eben dieses Buch von Wieser, wo er verschiedene Abhandlungen gesammelt herausgegeben hatte, in einer dieser Abhandlungen kann vor, dass die Zeit kommen würde, wo die Sozialisten ihre Ablehnung der Grenznutztheorie aufgeben würden, weil sie ja den Sozialismus als Weltanschauung nicht ausschließe. Im Gegenteil die Sozialisten würden die Grenznutzentheorie “besetzen” um sie für ihre Zwecke zu verwenden. Karl war gewiss einer der ersten der im Streben nach einer sozialistischen Preisbildung die Grenznutzentheorie “besetzt” hat. Wenn er es, wie ich glaube, das auch nicht veröffentlich hat, weil er zumindest ich weiß, nicht dazu kam, so soll doch seine “Besetzung” dieser von vielen Sozialisten damals als “bürgerlich” angesehenen Theorie hier festgestellt werden.

Die “Besetzung” der Grenznutzentheorie vollzog sich großenteils in damals in dem exakten Durchdenken der möglichen Falle des Problems der zwei Vorräte. Immer wieder tauchten neue Varianten dieses Problems auf, die behandelt werden wollten. “Ja wenn man an der Sache tüchtig weiter arbeitet, kann man schon zu etwas dabei kommen”, sagte er eines Abends als er nicht unzufrieden einen Fall des Problems des zwei Vorräte rekapitulierte. Er war im Bett nach einer Grippe, die ihm an den Rand einer Lungenentzündung gebracht hatte, aber glücklicherweise ohne Kompilation vorübergangen war. Auf dem Nachttischen neben dem Bett lagen einige Bücher. Dahinter war die Türe, die in das Zimmer der Nene führte. Auf dem Bett war eine kleine Katze, die Ihr zur Gesellschaft Kari’s in’s Haus genommen hattet. Das Tier war irgendwie rotgelb. (Ginger würde am hier sagen). Die Katze war noch sehr jung und daher so klein, dass sie bei ihren Wanderungen auf der Bettdecke öfters zwischen Bettkante und Wand fiel. Dann miante sie mit schwacher und hoher Stimme worauf Karl sie wieder auf die Bettdecke setzte. Später wurde aus der kleinen Katze ein großer Kater, der sich im Klosterneuburger Strandbad im folgenden Sommer selbständig machte. Doch vorläufig war noch Winter und Karl war froh, dass die mit der Grippe verbunden “greulichen Kopfwehs”, wie er sagte, ihn jetzt nicht mehr plagten. So war er, wenn auch noch nicht ganz hergestellt, wieder obenauf.

[32] Das zeigte sich besonders als einer der Zuhörer seiner Erörterungen über den eben behandelt Fall des Zweivorräteproblems etwas kleinlaut fragte: “Was ist da eigentlich mit der Marxistischen Wertlehre?” “Ja, was ich da sage (er meinte den soeben diskutierten Fall des Zweivorräteproblems – ich kommt auf dieses Problem später zurück) bestätigt ja nur die subjektive Schule” erklärte er. “Nimmt man Knappheit der Güter an, dann ist die subjektive Theorie der Marxistischen Wertlehre einfach überlegen. Aber wenn man keine Knappheit annimmt, dann kommt nur die Marxistische Theorie in Frage. Und im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts über den Marx schreibt nehmen die Kapitalisten nie Knappheit an Arbeitern an. Sie glauben immer, dass doch noch einer da ist, wenn sie einen wollen. Das ist natürlich nur eine Illusion der Kapitalisten aber Marx hat sie ernst genommen. Er wollte zeigen, was dabei herauskommt, wenn man das tut. Da braucht an dann für den Wert oder Preis etwas “objektives”, weil ja keine Knappheit besteht. Deswegen ist hier, aber nur hier die Marxistische Wertlehre am Platz. “So ungefähr habe ich noch das im Ohr, was Karl bei dieser Gelegenheit sagte. Diese Interpretation nicht nur an Karl’s Auffassung der Objektivationen, die er wie Marx zum Teil als Ausdruck von Illusionen der Kapitalisten ansah. Abgesehen von der Beziehung zu dem Objektivationen kündigte sich in Karl’s Interpretation der Marxistischen Wertlehre sein späteres Wirken an. Denn in der “Transformation” hat er ebenfalls die sich angeblich selbst regulierende Marktwirtschaft ernst genommen, indem er ihr Wirken ohne jede hindernde Intervention annahm. Er zeigte, dass die Marktwirtschaft infolge der in ihr inhärent vorhandenen Kräfte sich als untragbar erweisen musste und deshalb die Gesellschaft in einer Art Selbsterhaltungstrieb die Marktwirtschaft des 19. Jahrhunderts nach und nach durch Intervention so einschränken musste, bis schließlich sehr wenig von ihr überig blieb, und er als Resultat dieses Prozesses feststellen konnte: “Nineteen century civilization has collapsed” (Wie ihr wisst ist das der erste Satz in der “Transformation”). Ich habe hier etwas berührt, worauf ich erst im dritten Abschnitt zurückzukommen beabsichtige. Doch möchte ich nur noch hinzufügen, dass seine schon damals zu Tage tretende Argumentation den Kapitalismus “ernst zu nehmen” sich in das große marxistische Schema einfugt, dass zeigt, wie der Kapitalismus, wenn man ihn nicht irgendwie reguliert (und Marx setzte einen unregulierten Kapitalismus voraus) schließlich untragbar wird und daher verschwindet. Der Gedenkengang Karl’s bezüglich der Marktwirtschaft und die Marxistische Theorie vom Zusammenbruch des Kapitalismus erscheinen mir daher sehr verwandt zu sein. Ich führe das schon hier an, weil ich mich so weit als möglich bemühen will darzustellen, wie sich sein späteres Wirken schon Jahrzehnte vorher ankündigte. Leider ist davon, soweit ich weiß, nichts veröffentlicht. Auch scheint seine Einstellung zu Marx, weil er ja nicht nur die Wertlehre, sondern auch das orthodoxe Festhalten an jedem Gedanken des Marxismus ablehnte, vielfach nicht genügend verstanden worden zu sein.

Charakteristisch war vielleicht eine Bemerkung als wir spät an einem warmen Juni oder Juliabend 1924 vom “Seminar” nach Hause gingen. Es war eine schöne milde Sommernacht. Wir waren noch in der Vorgartenstrasse und gingen in der Richtung gegen die Lassallestrasse. Man kam so einem kleinen Park – ich glaube er hieß Volkswehrpark und 1934 standen dort, wenn ich mich richtig erinnere, die Kanonen mit denen der Goethehof beschossen wurde – wo die Endstad[ien] [33] der Strassenbahn (Linie 5) war, mit der wir nach Hause fahren wollten. Niemand sprach zunächst ein Wort. Zumindest ich, aber wahrscheinlich auch die anderen genossen die herrlichen Duft, den die Pflanzen im Reservegarten der Stadt Wien, der an die Vorgartenstrasse anstieß, ausströmten. Aber als wir fast schon Ecke Vorgartenstrasse-Lassallestrasse erreicht hatten, brach einer das Schweigen (ich glaube, es war Bock) und sagte: “Was lässt er (Karl war gemeint) von Marx überig?” Nach einiger Zeit antwortete einer (ich weiß nicht mehr wer): “Eigentlich gar nichts.” Wären wir nicht alle unter 23 gewesen, und wären wir daher reifer gewesen, so hätte wahrscheinlich zumindestens einer geantwortet “Eigentlich alles.” Das Wort “alles” würde hier die historische Betrachtungsweise gemeint haben. Trotzdem Karl sich viel mit formaler Grenznutzentheorie befasste, war er sich dessen bewusst, dass er sie unter sozialistischen, d.h. unter bestimmten historischen Voraussetzungen anwendete, weil er ja mit Hilfe dieser Theorie einen Preisbildungsprozess in einer sozialistischen Wirtschaft ableiten wollte. Jahre bevor er, wie Du Kari in Deinem schönen Artikel schreibst, “crossed the line into the disciplines of economic anthropology” war sein “approach” schon “substantive” weil immer an bestimmten historischen Wirtschaftsformen interessiert. Und das war marxistisch und ist so durch ganzes Leben geblieben. Auch hier kann man die Verbundenheit seines früheren und späteren Wirkens erkennen.

Doch noch diesem Abstecher zurück in Euere Wohnung in die Vorgartenstrasse, wo Du Kari ja so schöne Kindheitsjahre verbracht hast. Die Diskussionen wurden nicht selten durch das Läuten des Telephones unterbrochen. Es war über dem Schreibtisch zwischen den beiden Fenstern des Mittelzimmers an der Wand angebracht. Sehr oft war jemand vom “Volkswirt” am Apparat, nicht selten Walter Federn, der Herausgeber. Der “Volkswirt” war wie Ihr ja wisst ein bürgerliches Blatt, aber doch der Linken und insbesondere der Sozialdemokratie nicht schlecht gesinnt. Karl konnte dort leicht arbeiten, ohne seine Prinzipien zu verleugnen. Federn war ein Liberaler, aber nicht im Sinne was man wirtschaftlichen “Liberalismus” nennen könnte. Für ihn bedeutete Liberalismus vor allem, was die Französische Revolution als “Menschenrechte” bezeichnete. Freiheit des Wortes erachtete er als lebenswichtig. In mancher Hinsicht erinnerte er an die Nene. Ebenso wie sie war er von einer Atmosphäre von Milde. Güte und Würde umgeben. Mit seiner feinen schmalen Nase und dem angegrauten Bart sah er wie ein biblischer Patriarch in moderner Kleidung aus. Ein überzeugter Demokrat seit jeher, bekannte er sich in der Emigration nach 1938 als Sozialist. Seine Stellung wurde natürlich mit der wachsenden Reaktion immer schwieriger. Knapp bevor oder nach dem Februar 1934, als die letzten Reste der demokratischen Republik in Österreich unterdrückt wurden, musste er als Herausgeber zurücktreten. “Mit Trauer und Schmerz stehen wir an der Bahre”. (der Demokratie) “schrieb der “Volkswirt” nach den Februarereignissen und gab damit seiner Missbilligung der Aufrichtung eines vollen faschistischen Regimes unerschrocken Ausdruck. Trotzdem Federn unter dem Druck des Faschismus sich als Herausgeber zurückziehen musste, konnte er in der Redaktion bleiben. Er ging in den für ihn so schwierigen Jahren 1934-38 immer bis gerade zur Grenze des Möglichen. Leider habe ich nur 2 Nummern des Volkswirtes. Sie zeigen wie Federn den Geist des freien Wortes trotz Unterdrückung für diejenigen, die zwischen den Zeilen zu lesen verstanden, aufrecht halten konnte. Ich werde das später an einigen Zitaten aus dem Volkswirt zu zeigen versuchen. 1938 musste er als “Nicht-Arier”, wie man damals sagte, aus dem Volkswirt ausscheiden. Glücklicherweise entkam er. Ich glaube, dass er noch den Zusammenbruch des Faschismus erlebte. 1938-1939 [34] lernte ich seinen Neffen in Buchenwald kennen, der sieben Jahre Konzentrationslager wunderbarerweise überlebte. Er konnte sich nicht genug darüber freuen, dass sein Onkel in Sicherheit war.

Walter Federn brachte nun Karl wie ich glaube im Frühjahr oder Sommer 1924 zum Volkswirt. Der Grund scheint mir gewesen zu sein, dass Gustav Stolper, der jahrelange Mitherausgeber des Volkwirtes ein ähnliches Wochenblatt, den Deutschen Volkswirt, gründete. Federn hätte keine bessere Wahl zum Ersatz Stolpers treffen können. Er war sich dessen auch bewusst. “Polanyi ist der genialste Mensch, den ich je gekannt habe” sagte er mir, als ich ihn kurz vor meiner Verhütung im April oder Mai 1938 besuchte. In der Tat schien Karl bald Federn’s alter ego geworden zu sein. “Zuerst war es etwas schwierig” sagte er einmal zu mir, “aber später ist es leicht geworden. Es sind ja immer die gleichen Problem, mit denen man zu tun hat.” Er war außenpolitischer Redakteur. Jeden Tag kam die Times, die Arbeiter-Zeitung und die Reichspost in’s Haus. “Leider muss ich sie lesen meinte er einmal von der letzteren. Er zeichnete sich gewisse Artikel oder Nachrichten an, die er dann ausschnitt, und in seine beim Volkswirt sprichwörtlich gewordene Aktentasche legte. Die packte er Dienstagvormittag in der wöchentlichen Redaktionssitzung aus. Da wurden nicht nur die Artikel, die in der nächsten Nummer erscheinen sollten, festgelegt. Es wurde auch beschlossen worüber die sogenannten “Glossen” erscheinen sollten. “Eine Glosse muss so aussehen wie die andere, man soll nicht sehen können, wer sie geschrieben hat” sagte er einmal, als er gerade eine ausarbeitete. Ich glaube Karl freute die Arbeit beim Volkswort ungemein. Er war viel mehr als nur der außenpolitische Redakteur. Er war in Wirklichkeit, wie gesagt, Federns rechte Hand. Manchmal kam das auch äußerlich dadurch zum Ausdruck, dass er bei verschiedenen Anlassen als Chefredakteur bezeichnete wurde. Und das war er in der Tat. Nicht nur war er der Herausgeber, wenn Federn auf Urlaub oder krank war. Er ging auch am Dienstag nach jeder Redaktionssitzung mit zwei oder drei Mitarbeiten in das unweit von der Redaktion – sie befand sich in der Porzellangasse 27 – gelegene Kaffeehaus “Bauernfeld”, Dort hielt er noch eine kleine Nachredaktionssitzung, wo er das in der Porzellangasse festgelegte in gewissen Details ausführte.

Obgleich Karl immer den Volkswirt da war und eigentlich keine streng abgegrenzte Arbeitszeit hatte, war es für Euch alle, wie ich glaube, eine glückliche Zeit. Die Glossen mussten unpersönlichen geschrieben sein, aber in seinen Artikeln konnte er in seinem ihm eigenen Stil schreiben. Leicht fasslich und doch mit tiefer Sachkenntnis geschrieben fielen sie auf und wurden natürlich vor allem von den Gegnern gelesen. Die unpersönlichen Glossen zu schreiben fand er manchmal schwer. Ich erinnern mich noch an einen Anlass im März 1927. Am Anfang Marz 1927 wurde im Arsenal, wie Du Dich liebe Ilona vielleicht noch erinnern wirst, er Einbruch entdeckt (die Arbeiter-Zeitung behauptete der Einbruch sei gestellt worden) und bei dieser Gelegenheit ein Waffenlager des Schutzbundes beschlagnahmt. “Vaugoins verrückter Putsch” oder so ähnlich war damals im “Abend”, einem Linksblatt, als Schlagzeile zu lesen. Karl hatte eine Glosse darüber zu schreiben. “Das ist schwer” sagte er, wieder an den grünen Ofen gelehnt. Doch brachte er die Glosse nach einigem Nachdenken zustande und diktierte sie Dir in die Maschine – Ich glaube Du liebe Ilona, hast auch beim Volkswirt zeitweise mitgearbeitete. 1924 hast Du, wie ich glaube, nach einer Reise in das schon damals faschistische Italien über Deine Eindrucke im Volkswirt geschrieben. Mir kommt vor, dass es drei Artikel waren, Es war entweder knapp vor oder nach der Ermordung Mateotti’s. Neben der faschistischen Partei bestanden noch andere Parteien legal. Aber das Einparteiensystem war schon sehr nahe. Ich weiß noch wie Karl sich [35] über Deine bevorstehende Rückkehr freute. “Jetzt ist sie schon über der Grenze” sagte er mir eines Abends, als ich gerade bei ihm war.

Leider habe ich aus diesen Jahren keine Artikel von ihm, so dass ich nichts zitieren kann. Doch besitze ich zwei Artikel aus der späteren Zeit, als sich die Reaktion schon ganz Europa sehr geltend machte. Da möchte ich in der zweiten Halfte dieses Abschnittes, der von diesen Jahren handelt etwas zitieren. Vielleicht wirst Du liebe Ilona, wenn Du nach Wien kommst in einer Bibliothek die Artikel von ihm finden. Sie müssten heute gut und lehrreich zu lesen sein.

Die Arbeit beim Volkswirt hat ihn in seinem theoretischen Schaffen gewiss nicht gestört, sondern eher angeregt. Zumindestens riet er mir einmal in einer theoretischen Erörterung den wirtschaftlichen Teil von Zeitungen zu lesen, weil Theorie ohne Wirklichkeitsnähe nicht viel Sinn habe. Und das bringt mich wieder zu Karl’s theoretischen Diskussionen, Sie drehten sich damals zum großen Teil um das “Durchdenken”, wie er es sagte, des Problems der zwei Vorräte in seinen zahlreichen Sonderfällen. Wie bereits erwähnt handelte es sich darum einen Vorrat, der aus mindestens zwei Güterarten bestand unter die Wirtschaftssubjekte zu verteilen, von denen jedes über eine bestimmte Kaufkraftmenge verfügte. Dazu waren Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Güterarten als Verwendungsmöglichkeiten für die Kaufkraftmenge jedes Wirtschaftssubjektes gegeben. Ja nach dem zu betrachtenden Fall bestand der Gutervorrat aus zwei Konsumgüterarten (Konsumgüter wurden als Güter in verbrauchbarem Zustand definiert) oder aus zwei Produktionsmittelarten (Güterarten, die erst durch einen Umvandlungsprozess (dem Produktionsprozess) in verbrauchbaren Zustand versetzt werden müssen) oder der Vorrat bestand aus einer konsumguterart und einer Produktionsmittelart, oder aus zwei Produktionsmittelarten oder er bestand aus Güterarten, die zu verschiedenen Zeitpunkten verfügbar wurden usw. kurz eine Fülle von Fällen bot sich dar.

So verschieden sie auch waren, eines hatten sie gemeinsam. Für jedes Wirtschaftssubjekt wurde in jedem Fall eine Kaufkraftmenge und Mengenverhaltnisse zwischen Kaufkraft und Güterarten als Verwendungsmöglichkeiten für seine Kaufkraftmenge angenommen. Daher konnte jedes Wirtschaftssubjekt in jedem Falle wählen für welche Gütermengen es seine Kaufkraft ausgeben wollte, Insbesondere bestand kein Unterschied zwischen Konsumgütern und Produktionsmittels in dieser Hinsicht. Für beide Güterarten mussten Mengenverhaltnisse zwischen ihnen und der Kaufkraft unableitbar angenommen werden. Denn diese Mengenverhaltnisse sind Verwendungsmöglichkeiten für die Kaukraftmengen im Besitz der Wirtschaftssubjekte. Keine Notwendigkeit bestand die Mengenverhältnisse zwischen Produktionsmitteln und Kaufkraft von Mengenverhaltnissen zwischen Konsumgütern und Kaufkraft abzuleiten. Hätte man aber eine solche Ableitung von den “Bedürfnissen” (ein nebelhafter Begriff) der Wirtschaftssubjekte aus versucht, dann hätte sich ergeben, dass sich die Bedürfnisse nur in der Wahl der Wirtschaftssubjekte zwischen Verwendungsmöglichkeiten ausdrücken können.

Eine Wahl ist aber ohne Voraussetzung von Verwendungsmöglichkeiten zwischen denen man zu wahlen hat, nicht denkbar. So kommt man auch von den “Bedürfnissen” aus wieder zur Wahlhandlung. Was außerhalb dieses Zusammenhanges die Bedürfnisse sind, ist für die Wirtschaftstheorie nicht interessant, weil es außerhalb ihres Gebietes liegt. Ähnlich war es vielleicht möglich die Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und bestimmten Konsumgütern in die Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und denjenigen Produktionsmittelarten zu auspalten, aus denen die Konsumgüterarten gestellt wurden. Doch auch eine solche Konstruktion wäre außerhalb der Wahlhandlung der Wirtschaftssubjekte zwischen Verwendungsmöglichkeiten und wäre daher außerhalb der Wirtschaft, und damit belanglos.

[36] Von diesem Aspekt erscheint die Forderung den Wert oder Preis der Produktionsmittel von Wert oder Preis der Konsumgüterabzuleiten, zu denen Herstellung sie verwendet wurden, weil nur Konsumguter direkt Bedürfnisse befriedigen können, auf einem Mißverständnis zu beruhen. Karl selbst war überrascht, dass ihm diese Frage – das “Zurechnungsproblem” wie es die “österreichische Schule” der grenznutzenlehre nannte – nicht begegnete. “Wo bleibt eigentlich das Zurechnungsproblem?” frage er sich. Doch zu dieser Zeit war das noch nicht im Vordergrund seines Interesses. Er war wahrscheinlich froh, dass sich die Falle des Problems der zwei Vorrate, die ja für ihn Fälle einer sozialistischen Preisbildung waren, ohne die Komplikation zusätzlicher Fragen, wie des “Zurechnungsproblem” lösen ließen. Erst einige Zeit später kam er auf diesen Fragenkomplex zurück.

Doch etwas anderes fesselte damals bei der Erörterung der Falle des Problems der zwei Vorräte seine Aufmerksamkeit. Ihm fiel auf, dass das was er “Kaufkraft” nannte dem “stoffwertlosen” Geld Knapps sehr ähnlich sah, und dass “Kaufkraft”. Das setzte er in Gegensatz zum “Warengeld”, das nur Geld war, weil es durch die Wahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte zum Tauschmittel machten. Damit war er vom Problem der zwei Vorräte zu einem Begriffspaar gekommen, das sich bald zum Paar zweier Typen von Sozialwirtschaft bei ihm entwickelte. Er nannte diese sozialwirtschaftlichen Modelle “Tauschwirtschaft” und “Kaufkraftwirtschaft”. Dieses Begriffspaar lässt sich in Arbeiten deutlich verfolgen. Doch davon möchte ich hier nicht mehr sprechen, ich hoffe mit seinem “Tauschwirtschaft-Kaufkraftwirtschaft” Theorem, wie er nannte, die zweite Hälfte diese Abschnittes zu geginnen, Geld war, das unbleitbar als Vorrat gesetzt war und daher nicht durch die Wahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte geschaffen war, sondern im Gegenteil schon eine Voraussetzung für die Denkbarkeit der Wahlhandlungen war. (Die Lage bezüglich der Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und Güterarten ist ähnlich, wie früher erwähnt.)

Third Letter: 23 April 1965

[38] Ihr werdet Euch vielleicht erinnern, dass ich am Schluss des zweiten Abschnittes in Verbindung mit dem “Problem der zwei Vorräte” Karl’s Theorem “Kaufkraftwirtschaft-Tauschwirtschaft” erwähnte. Der Zusammenhang zwischen diesen Beiden Positionen folgte daraus, dass das “Problem der zwei Vorräte” die einer Verkehrswirtschaft bedeutete, wo jedes Individuum nur mit einer bestimmten Menge von “Kaufkraft” ausgestattet ist. “Kaufkraft” ist ein Mittel, das aus homogen Einheiten besteht und das ausschließlich zum Erwerb, d.h. zum Kauf von Gütern verwendet werden kann. Karl hat die Kaufkraft in der “Transformation” als Geld beschrieben, das “is not a commodity: it has no usefulness in itself: its only use is to purchase goods to which price tags are attached, very much as they are in our shops today.” (p. 197)

Ihm fiel aufm dass diese “Kaufkraft” vom jedem Metall, ja von jedem Material als unabhängig gedacht werden konnte. Ich weiß es noch wie er den Gedankengang entwickelte, dessen Frucht er nach einigen Jahre in der “Transformation” festgehalten hat. Wieder ging er von einer Türe in Mittelzimmer zur andren. Es war Winter. Dicker Schnee lag im Reservegarten der Stadt Wien, Euerer Wohnung gegenüber. Doch konnte man nicht viel vom Reservegarten sehen. Denn die Fenster waren mit Decken großenteils verhängt. Das war infolge des kalten Nordstummes nötig. Er blies über die offene Fläche des Reservegartens ungehindert gerade auf das Haus und machte die Anstrengungen des grünen Ofens und Vorofens die übliche Zimmerwärme zu erzeugen trotz besten Heizmateriales zum Teil illusorisch. Doch Karl machte das nichts. “Durch technische Schwierigkeiten darf man sich nicht abhalten lassen” sagte er einmal und in diesem Sinne handelte er auch diesmal. Unbekümmert um Wintersturm ging er zwischen den beiden Türen in Mittelzimmer auf und ab, öfter beim grünen Ofen stehenbleibend und sagte. “Ja, diese Kaufkraft ist ein Mittel, das an keinen Stoff gebunden ist. Es ist nur nötig zu sagen, dass sie aus homogen Einheiten besteht. Man braucht sie einzig und allein zu Rechnungszwecken. Es ist eigentlich das, was Knapp” stoffwertloses Geld” genannt hat. Man hat auch nominalistisches Geld gesagt.”

“Das ist schon so” setzte er fort. “Natürlich haben sie das nicht anerkennen wollen, denn man hat die Schwierigkeit, dass sich ein solches Geld nicht von den Wahlhandlungen des Individuen ableiten lässt. Und da haben sie gleich gesagt, dass sich eine solches Geld nicht in die Theorie einbauen lässt, und so kann man nichts anfangen. Aber das ist nicht so. Den die Kaufkraft ist als Vorrat unableitbar gesetzt. (Er meinte hier den Kaufkraftvorrat jedes Individuums im “Problems der zwei Vorräte.”) Das ist ganz klar. Wirtschaft ist die Wahl eines Individuums zwischen den Alternativen Verwendungsmöglichkeiten für seinen Vorrat. Also muss vor der Wahlhandlung der Vorrat schon gegeben sein. Das gilt auch für jedes Individuum im “Problem der zwei Vorräte. Jedes Individuum hat dort einen Vorrat an Kaufkraft. Infolge ihrer Funktion als Kaufkraft ist hier Kaufkraft eine notwendige und unableitbar gegebene Voraussetzung des Wirtschaftens.

[39] So und nur so lässt sich die Kaufkraft und das heißt das “stoffwertlose Geld” in die Theorie einbauen. Es ist Vorrat und damit einfach eine Voraussetzung für die Wirtschaft wie der Wirtschafter und die alternativen Verwendungsmöglichkeiten für den Vorrat.

“Natürlich ist man damit noch nicht um alles herumgekommen” meinte er weiter und ging zum Schreibtisch, Dort lag neben verschiedenen Zeitschriften, Zeitungen und Büchern das damals neu erschienene Werk von Mises “Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel” (Ich glaube es erschien 1924). Ernst Block hatte es ihm im Namen des “Seminars” als Geburtstagsgeschenk gegeben. Karl hatte es eingehend studiert. Mises machte als bürgerlicher “Liberaler” nachdrücklich darauf aufmerksam, dass ein Geld zirkulieren könne, wenn der “Verkehr” d.h. die Individuen es als Zahlungsmittel ablehnten. Karl nahm das Buch setzte sich auf den grau überzogenen Diwan, der gegenüber dem Schreibtisch in der Ecke beim Fenster stand. Er blätterte im Buch herum, bis er die Stelle fand, wo Mises die Notwendigkeit der Annahme des Geldes durch die Einzelnen erörterte.

“Da hat er (Mises) ganz recht” sprach Karl. “Das muss man wissen.” Karl war sich dessen wohl bewusst, dass ohne Annahme der Individuen kein Geld denkbar war. Die deutsche Inflation nach dem ersten Weltkrieg, eine ähnliche Entwicklung in der Sowjetunion in den Zwanzigerjahren, und nicht zuletzt die Erfahrungen in der ungarischen Räterepublik von 1919, wo das “weiße” Geld der Räteregierung Annahmeschwierigkeiten hatte, hatten ihn die Wichtigkeit der Annahme des Geldes eindringlich vor Augeu geführt. “Natürlich müssen die Leute Vertrauen zum Geld haben. Ohne das geht es nicht” sagte er. “Aber das gilt für Metallgeld ebenso wie für Papiergeld. Keineswegs kann man Mangel an Vertrauen nur für Papiergeld behaupten. Aus der Notwendigkeit des Vertrauens folgt noch nicht dass man nur ein Metallgeld Vertrauen geniesst.” (Er meinte das gegen Mises, der den Eindruck gab, dass ungedecktes Papiergeld (Karl’s Kaufkraft) am Misstrauen des “verkehres” scheitern müsse.)

Die ganze Szene und Argumentation kam mir in Erinnerung, als ich folgendes in einem an der Wellingtoner Universität derzeit viel gelesenem “Textbook” sah: “The sine qua none for any kind of money is that it must be generally acceptable to each and every member of society who uses it. Money is useful to A, because he knows that he can pay his debts to B with it. Similarly money is useful to B, because he can pay wages to C, and so on. But acceptability is essentially a social phenomenon… It is society and not any physical characteristic which decides which goods shall be money and which shall not be money… You trust the money because I do. There are many conventions of this type in modern society. A university professor for example turns up promptly at 10 a.m. to lecture economics. He has confidence that his class will come to hear him. Similarly the class arrives each week, because each side has confidence that there will be a lecture. The convention stands, because each side has confidence in it.” (A Textbook of Economics Theory by A.W. Stonier and D.C. Hague, London 1959, p. 363, 365).

Allerdings ist diesem “Textbook” nur vom “Vertrauen” in das Geld aber nicht von seinem Einbau in die Theorie die Rede. Nach dreißig Jahren ist dieses Problem irgendwie stillschweigend übergangen, weil [40] wahrscheinlich wenig Interesse daran besteht.

Doch der Einbau eines “stoffwertlosen” Geldes in die Theorie stand für Karl im Vordergrund seines damaligen Interesses an theoretischer Ökonomie. Denn das Geld, das man gewöhnlich in den Lehrbüchern behandelte, ließ sich leicht in die Theorie einbauen. Es war eine Güterart wie jede andere. Nur wurde sie infolge der Wahlhandlungen der Individuen sehr oft als Tauschmittel verwendet. Um Karl’s Beschreibung in der “Transformation” zu zitieren: “Diese Art Geld ist “simply one of the commodities bartered more often than another and, hence, acquired for the purpose of use in exchange” (p. 196) Dieses “Warengeld”, wie man es im Gegensatze zum “stoffwertlosem” Geld nannte, baute sich in die Theorie eine, weil es eine Güterart ist, für die Tauschverwendungsmöglichkeiten gegeben sind. Während das “stoffwertlose” (Geld sich via Vorrat sich in die Theorie einbauen ließ, konnte man das “Warengeld” via die Verwendungsmöglichkeiten in die Theorie einbauen.

Dieser Gegensatz zwischen den zwei Möglichkeiten ein Geld in die Theorie einzubauen war ein Zentralpunkt für Karl’s damaliges Interesse in Nationalökonomie. Das war nur charakteristisch für ihn. Denn es war ein Gegensatz von “theoretischer Strenge” wie er manchmal sagte, d.h. es handelte sich um zwei Erscheinungen zwischen denen es keine Brücke gab, und seine Neigung, die immer logische Klarheit suchte, fühlte sich möglicherweise von klaren Gegensätzen besonders Tatsache des Gegensatzes zwischen Stoffwertlosen Geld (“Kaufkraft” sagte er auch) und “Warengeld” begnügte, sondern weiter ging. Ob das was ich eben gesagt habe richtig ist oder nicht, jedenfalls leitete er von den zwei Geld arten zwei “Konstruktionen” (so nannte er es) der Verkehrswirtschaft ab. Es war sein Theorem “Kaufkraftwirtschaft-Tauschwirtschaft”.

Ich erinnere mich noch, wie ich es das erste Mal ihn formulieren hörte. Es war an einem späten Nannmittag im Frühjahr 1925. Im gegenüberliegenden Reservegarten der Stadt Wien sah man waren schon manche Blumen zu sehen. Er saß auf dem grau überzogenen Divan im Mittelzimmer, der beim Fenster an der Ecke links beim Schreibtisch stand. Du, Ilona, bist wieser beim braunen Tisch gesessen und Du, Kari, hast wieder etwas “Unwesen getrieben”, wie der Fachausdruck Deiner Eltern lautete.

“Ja” rief er aus” da sind zwei Konstruktionen einer Verkehrswirtschaft. In einer haben wir Tausch, Warengeld, und Individuen, die mit Gütern versehen sind. Sie entscheiden, was Geld werden soll. In der anderen haben wir Kauf, stoffwertloses Geld oder Währung, und was Währung (Kaufkraft meinte er) werden soll, wird nicht von den Individuen entschieden, ist schon als ihr Vorrat a priori gegeben. Man braucht ein solches Kaufkraftgeld zur Konjunkturpolitik. Denn die Kaufkraft muss ausgegeben werden. Wenn man nicht sicher ist, dass das Geld ausgegeben werden muss und nicht zurückbehalten werden kann, kann man keine Konjunkturpolitik machen. Kaufkraftwirtschaft und Tauschwirtschaft “fuhr er fort und es war, wie wenn plötzlich eine Erleuchtung über ihn gekommen wäre “sind zwei theoretische Orte. In jedem dieser Orte sind nur bestimmte Problems stellbar und lösbar. Und viele Schwierigkeiten in der Theorie gehen darauf zurück, dass sie Probleme dort stellen, wo sie nicht lösbar sind”.

[41] Das war gewiss nicht mit wissenschaftlicher Strenge, sondern nur als ein erster Gedanke in einer Konservation formuliert, Ich erwähne diese erste Formulierung mir gegenüber, weil ich niederlegen will, war mir als persönliche Erinnerung teurer ist. Will man die exakte Formulierung haben, so muss man, soviel ich weiß, auf jene Stelle in der “Transformation” zurückgehen, die ich teilweise schon zitiert habe und die ich jetat voll wiedergeben möchte. Er sagt dort: “ (eine Verkehrswirtschaft, wo jeder nur nach Geldgewinn strebt, und die frei von behördlicher Einmischung ist – ich komme auf diesen Begriff im dritten Abschnitt zurück) separated from the political sphere is possible, yet it was such construction which underlay classical economics since David Ricardo and apart from which its concepts and assumptions were incomprehensible. Society according to this “lay-out” consisted of bartering individuals possessing an outfit of commodities – goods land labor, and their composites. Money was simply one of the commodities bartered more often than another, and, hence, acquired for the purpose of use in exchange. Such a “society” may be unreal; yet it contains the bare bones of the construction from which the classical economists stated. In even less complete picture of actuality is offered by a purchasing power economy. Yet some of its features resemble our actual society much more closely than the paradigm of market economy (Ich glaube “Market economy” hier mit “Tauschwirtschaft” identifiziert). Let us try to imagine a “society” in which every individual is endowed with a definite amount of purchasing power, enabling him to claim goods each item of which is provided with a price tag. Money is such an economy is not a commodity; it has no usefulness in itself; its only use is to purchase goods to which price tags are attached, very much as they are in our shops today.” (Transformation, p. 196/97).

Mir kommt vor, dass die einzige Stelle ist, wo er ausdrücklich das “Kaufkraftwirtschaft-Tauschwirtschaft Theorem” erwähnt, obgleich man seine Spuren an verschiedenen Stellen seines Gedankengebäudes finden kann. Ich kann mich natürlich irren, weil ich seine Schriften möglicherweise nicht genügend durchgearbeitet habe. Bitte korrigiert Irrtümer, wenn solche vorliegen. Davor ich weiter das Theorem erörtere, möchte ich sagen, dass es mich sehr beeinflusst hat. Ich habe es in zwei Aufsätzen verwendet, wo ich gewisse rechtswissenschaftliche Positionen mit ähnlichen in der Ökonomie erörterte und habe mich hier auf Karl berufen. Die Aufsätze sind: “Reine Rechtslehre und Reine Wirtschaftstheorie” und “Rechtliche und Wirtschaftliche Zurechnung” beide in “Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts” 1937 und 1939 (die sogenannte Kelsen-zeitschrift.)

[42] Über dem Diwan, auf dem er saß hing ein Bild. “Das ist mein lieber Vater” erklärte er mir einmal irgendeiner Gelegenheit, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Er war offensichtlich ein wohlhabendes Haus. Karl erzählte mir, wie er und sein Bruder schon in frühester Kindheit besten Unterricht in Fremdsprachen bekamen und von dem, was ich von ihm hörte zu schließen, verbrachte er seine Jugendjahre in dem Milieu einer vielleicht über dem Durchschnitt wohlhabenden Mittelstandsfamilie. Und doch musste diese Periode seines Lebens zu einem frühzeitigen Ende gekommen sein. Denn er sagte auch: “Plötzlich waren wir arm. Da war in Onkel, und hat gesagt: “Der junge Mensch soll sich nur plagen” und da habe ich Stunden gegeben (wahrscheinlich neben dem Studium), bis ich zusammengebrochen bin. Ich habe mich natürlich wieder erholt, aber man erlangt seine frühere Arbeitsfähigkeit nie wieder. “Ich glaube, dass diese für ihn so schreckliche Erfahrung seine Haltung gegen Engstirnigkeit, Geiz, etc. Eigenschaften, die er möglicherweise zum großen Teil der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zuschrieb, sehr bestärkt hat. Unabhängig von ihm hat wir einmal Nene von diesem Cäsar in seiner Jugend gesprochen, als ich einmal bei ihr, wie so oft in ihrem Zimmer saß. “Sein Vater hat viele Bahnen in Galizien gebaut.” sagte sie. “sie waren reich. Und auf einmal war alles aus”. Das muss vor sechzig oder siebzig Jahren gewesen sein, als Karl vielleicht noch nicht zwanzig oder zwischen zwanzig und fünfundzwanzig war. Mir wurde erst nach einigen Jahren bewusst, wie groß sein muss, dass er auch unter solchen Schwierigkeiten sein Studium beiden konnte.

Doch nun noch einmal zurück zum Theorem. Ich glaube, dass Karl’s Gedankenwelt nur ungenügend beschrieben wäre, wann man nicht noch mehr über diesen Gegenstand hat. Der störkste Grund war wahrscheinlich, dass das Theorem nicht so weittragend war als er zuerst geglaubt haben mag. Darauf gehe ich später ein. Ein anderer Grund war möglicherweise, dass die Vielseitigkeit seiner Interessen und Fähigkeiten ihm nicht genügend Zeit ließ. “Ich bin viel zu polyphon um etwas fertig zu bringen” sagte er einmal an den grünen Ofen gelehnt. Er lebte eben auch unter dem Nachteil, den so manche große Geist in Kauf nehmen müssen, dass ihnen die Zeit versagt ist ihre Gaben voll auszuwerten. So gilt das, was Du liebe Kari geschrieben hast auch für sein Theorem – ein “intellectual pioneer – his work is incomplete … the clues and the pointers he left will occupy social scientists for a long time to come.” In der Tat kann aus den was er über das Theorem veröffentlich hat weder seine volle Bedeutung für seine Gedankenwelt entnommen werden, noch deutet es alles an was Karl selbst darüber gesagt hat. Büter diesen Umständen glaube ich ist es gestattet diese Punkte hervorzuhaben. Wenn Ihr, meine Lieben findet, dass etwas unrichtig ist, bitte ändert, etc. was Ihr für gut Haltet.

[43] Nun wie ich es sehe, kam er zum Theorem nicht nur über den Gegensatz zwischen Warengeld und stoffwertlosen Geld, sondern auch über die Notwendigkeit gewisse Begriffe, die man heute “makrokosmisch” mit dem Theorie vereinbar zu machen. “Sie reden fortwährend von Nationalprodukt, Nationaleinkommen, gesellschaftlichem Grenznutzenniveau”, sagte er “das sprengt die Voraussetzungen unter denen sie arbeiten. Sie gehen von den Wahlhandlungen der Individuen aus und da können sie solche Begriffe, die über die Individuen hinausgehen, nicht unterbringen.” Karl hatte hier das Bild Clark’s im Auge, wo der Grenzarbeiter den Lohn für alle anderen Arbeiter in der Gesellschaft bestimmt, (um nur eine seiner Positionen herauszugreifen.) Besonders häufig erwähnte er Böhm-Bawerk. Sein Werk “Kapital und Kapitalzins Band II, Positiv Theorie des Kapitales” hatte er zu Hause. In vielen Stellen war es angestrichen. Es war, wie Bock sagte, sehr gut, Böhm-Bawerk diesem Exemplar zu lesen, weil man da gleich auf die Wesentlich Punkte aufmerksam geacht werde.

“Böhm-Bawerk zum Beispiel” sagte Karl und nahm den Band aus dem Bibliothekenskasten im Mittelzimmer “beginnt mit der Ableitung des Grenznutzens bei einem Individuum und kommt zum Schluss zur Gesamtwirtschaft. Er vergleicht sie mit einem Pumpwerk, wo die Produktivkräfte in die lohnendsten Verwendungen gesaugt werden. Hier ist die Stelle” zeigte er mir. So las ich:

“Die originären Produktivkräfte der Nation drängen sich der Reihe nach in die lohnendsten Verwendungen und empfangen von der letzten derselben ihren Wert und Preis… Die Produktion ist einem riesigen Pumpwerk zu vergleichen. Jeder Bedürfnis zweig hat sein besonderes Saugrohr in das Reservoir der originären Produktivkräfte eingesenkt, und sucht daraus, konkurrieren mit allen anderen Zweigen seine Deckung saugend an sich zu ziehen. Und zwar saugt jeder Bedürfniszweig mit anderer Kraft; mit desto größerer Kraft, je mehr und je lohnendere, das will für den Bereich des Tauschverkehres sagen, je höher in Geld geschätzte Verwendungen er enthält.” (E. von Böhm-Bawerk, a.a.O, Jena 1921, p. 313)

“Das Reservoir” sprach Karl “ist so etwas wie die Vorräte im Besitz der Gesellschaft im “Problem der zwei Vorräte”. Es ist hier ganz egal, wer die Vorräte besitzt. Jeder verwendet sie nach dem gleichen Prinzip, für die lohnenden Verwendungen, wie er (Böhm-Bawerk) das sagt. Beim “Problem der zwei Vorräte” heißt das, dass derjenige die Güter bekommt, der die meiste Kaufkraft bietet. Es ist so, (und das war Karl’s entscheidende Formulierung) als ob die Gesellschaft als eine Person gewirtschaftet hätte. Das gehört in die Kaufkraftwirtschaft. Dort gibt es nur Kaufkraftbesitzer. Ihnen gegenüber stehen die Güter. Sie gehen zu dem der am meisten bietet. Wieder ist es das gleiche Prinzip für alle Güter. Deswegen kann man sagen, dass [44] hier die Güter einen gesellschaftlichen Vorrat bilden. Oder zumindest ist es ein “Quasi”, weil ja die Gesellschaft als Person nicht besteht. Aber das Prinzip, dass die Güter dorthin kommen, wo die meiste Kaufkraft gehoben wird, wer immer die Güter besitzt, wird vom “Quasi” nicht berührt. In der Tauschwirtschaft ist es anders, das Schicksal der Güter hängt her von den Individuen ab, die über sie verfügen. Was mit den Gütern geschieht, entscheiden nicht nur die, die die Güter nachfragen, sondern auch die, die sie besitzen. Die Gütermengen im Besitz jedes Individuums bilden Heswegen hier einen Vorrat. Ein Gut kann ganz anders verwendet werden, je nachdem, ob das eine oder das andere Individuum darüber verfügt.” Wieder habe ich absichtlich unterlasen eine exakte Formulierung zu geben, weil Karl zu mir das in einer Konversation gesagt hat und es unwahr wäre es anders zu bringen. Doch von seinen Äußerungen, die ich mich bemüht habe so gut als möglich wiederzugeben, geht hervor, dass er die Kaufkraft Wirtschaft als “theoretischen Ort” für makrokosmische Erscheinungen und die “Tauschwirtschaft” als den “theoretischen Ort” für mikrokosmische Erscheinungen betrachtete.

Damit war aber der Problemkomplex “Makrokosmus” – “Mikrokosmus” (zu seiner Zeit sagte man häufig in Wien in Anlehnung an Spann “Universalismus” und “Individualismus”) keinesfalls, abgeschlossen. Aber um diesen Teil seiner Gedankenwelt nachzubilden muss ich vorgreifen und ein Jahr überspringen. Denn wie ich mich zu erinnern glaube, geschah der weitere Ausbau des Theorems 1926, als Karl nach einem kurzen Spitalsaufenthalt wieder zu Hause war.

Das Grund für das Aufsuchen des Spitals war, wie Ihr ja wisst, dass er in diesen Jahren unter seiner Krankheit sehr litt. Möglicherweise stand er unter dem Eindruck einer Fehldiagnose, die ihn vorzeitigen Tod infolge Leberschrumpfung voraussagte. Das mag sein Unwohlsein, das sich, wie er klagte, in “gräulichem Kopfweh” und “Kongestionen” nur allzu oft äußerte, erheblich gesteigert haben. Jedenfalls weiß ich, dass er im April 1926 zur Untersuchung für eine Woche oder so in das Sophienspital im 7. Bezirk ging. (Ich glaube mich nicht zu täuschen, aber Du liebe Ilona, wirst es besser wissen). Ich besuchte ihn und fand natürlich Leute vom “Volkswort” dort. Denn obgleich er im Spital offiziell “im Krankenstand war”, wie man zumindest bei der Gemeinde Wien es nannte, so hielt er doch Kontakt mit dem “Volkswort” aufrecht. Nun diese Woche ging auch vorüber. Glücklicherweise fanden sie nichts, doch, wenn ich mich recht erinnere, gaben sie ihm neue Brillengläser, und wenn es die richtigen waren, hat das wahrscheinlich für ihn eine gewisse Erleichterung bedeutet. Die Spitalsepisode war wahrscheinlich in der zweiten Hälfte April 1926. Denn ich weiß noch, wie Du, liebe Ilona, mir sagtest, wie froh Du warst, dass er schon zu Hause sei, und noch dazu schon am ersten Mai.

Nun nach dem Spitalsaufenthalt ging, soweit ich es sagen kann, alles wieder im alten Geleise. Er beschäftige sich, soweit es ökonomische Theorie betraf, mit den Voraussetzungen der Theorie, nachdem er die verschiedenen Fälle des “Problems der zwei Vorräte” ausgearbeitet hatte. Und doch war etwas Neues dazugekommen. Er sprach von einer “Bifurkation der Theorie”, von ihrer Spaltung bis zum Grunde”. [45] Das waren nur Andeutungen, soweit es mir wenigstens heute vorkommt. Er hat vielleicht im Spital, wo er doch weniger von der Arbeit für den “Volkswirt” in Anspruch genommen war, etwas gefunden, was nicht viel später ein anderer wichtiger Gedankengang im Theorem “Kaufkraftwirtschaft-Tauschwirtschaft” wurde. Soweit ich mich erinnern kann, ginget Ihr im Sommer 1926 im Urlaub irgendwie in das Waldviertel. Er schien sich dort ganz wohl gefühlt zu haben. Jedenfalls erzählte er mir, dass er das erste Mal seit dem Kriegsende wieder auf einem Pferd mit einer geistigen Entlastung verbunden. So ist es möglicherweise überraschend, dass er nach seiner Rückkehr von der Sommerfrische im Herbst 1926 das was mir im Frühjahr als Andeutung vorkam, nun voll ausführte. Es handelte sich um den methodischen Zusammenhang zwischen “Kaufkraftwirtschaft” und “Tauschwirtschaft” als zwei Anwendung der Konstruktion “isolierter Wirt”.

Er führte das näher im Herb 1926 aus, “Die ökonomische Theorie” sprach er (und diesmal war er genauer, weil er formulieren wollte) “ist durch eine Bifurkation bis zum Grunde gespalten. Ich sage “ist Grunde”, weil sie am Grunde eine Einheit ist. Diese Einheit bildet der “isolierte Wirt”. Das ist weit mehr als eine “Robinsonwirtschaft” wie sie immer sagen. Der isolierte Wirt ist eine Konstruktion wie die Kaufkraftwirtschaft und die Tauschwirtschaft eine ist, aber es ist eine besondere Konstruktion. Die besondere Bedeutung der Konstruktion “isolierter Wirt” liegt nämlich darin, dass eine Wirtschaft mit den Mindestvoraussetzungen konstruiert wird. Also das ist so. “Setze er fort, stand vom Divan in Mittelzimmer auf und stellte sich zum grünen Ofen, was er so oft tat, wenn er etwas erklärte.” “Um zum isolierten Wirt zu kommen braucht man wieder die drei Voraussetzungen wie bei den Kaufkraftbesitzern. Man muss einmal einen Vorrat annehmen. Für den Vorrat müssen alternative Verwendungsmöglichkeiten da sein und denn muss man ein Wirtschaftssubjekt einführen, das zwischen den Verwendungsmöglichkeiten wählt. Damit hat man auch schon die Güterknappheit gesetzt, weil man den Vorrat nicht für alle Verwendungsmöglichkeiten verwenden kann, sondern nur alternativ, entweder die einen oder die anderem. Bischer hatte er auf exakte Formulierung nicht viel Wert gelegt, weil er diese Gedankengänge schon früher häufig erörtert hatte und er wahrscheinlich schnell zum Kern der Sache kommen wollte. So sagte er nun:

“Doch wichtig ist, dass man von dieser Konstruktion isolierter Wirt auf zwei weisen und nur auf zwei Wesen zur Verkehrswirtschaft übergehen kann. Man nämlich die Voraussetzungen des isolierten Wirtes entweder auf die Individuen oder auf die Gesellschaft anwenden. Wendet man die Voraussetzungen des isolierten Wirtes auf jedes Individuum an, so wird jedes Individuum ein Wirtschaftssubjekt, das über einen Vorrat verfügt, für den alternative Verwendungsmöglichkeiten gegeben sind. Individuum wähl als Wirtschaftssubjekt zwischen den Verwendungsmöglichkeiten für seinen Vorrat. Unter den Verwendungsmöglichkeiten können auch [46] Tauschverwendungsmöglichkeiten angenommen werden. Wählen nun bestimmte Individuen gewisse Tauschverwendungsmöglichkeiten für ihren Vorrat, so kommt es zum Tausch. Der Tausch wird hier zum wirtschaftlichen Bindemittel zwischen den Individuen. Damit ist man schon bei der “Tauschwirtschaft” angenommen. Sie folgt aus der Anwendung der Voraussetzungen des “isolierten Wirtes” auf jedes Individuum.”

“Das ist soweit ganz einfach” setzte er nach einer kleinen Pause fort, in der er vielleicht nach der besten Darstellungsweise für etwas Schwierigeres suchte. “Aber weit weniger einfach ist es, wenn man diese Voraussetzungen auf die Gesellschaft anwendet. Der Vorrat wird dann zum Vorrat der Gesellschaft.” (Das ist ein Zug in dem Bild einer Verkehrswirtschaft wie es Karl Konstruierte das den “Kapitalismus transzendiert”, wie er manchmal bemerkte). “Aber jetzt kommt die Schwierigkeit” warnte er den Zuhörer”. Es handelt sich um den Übergang zu einer Verkehrswirtschaft. Da gibt es keine personifizierte Gesellschaft”. (Karl dachte hier wahrscheinlich an eine Type wie Neurath’s Markt und geldlose Verwaltungswirtschaft, die damals oft diskutiert wurde.) Die Voraussetzung Wirtschaftssubjekt muss auf die Gesellschaft angewendet werden. Doch die Gesellschaft kann nicht als Person handeln, weil wir Verkehrswirtschaft kommen wollen. Die Individuen müssen handeln, als ob die Gesellschaft als Wirtschaftssubjekt gehandelt hätte. Nun das geschieht so: die Voraussetzung Verwendungsmöglichkeiten für den Vorrat” wird auf die Individuen angewendet. Ihre Nachfrage Gütern sind die Verwendungsmöglichkeiten für den Vorrat der Gesellschaft. Die Verwendungsmöglichkeiten müssen natürlich miteinander vergleichbar sein. Denn sonst könnte zwischen ihnen nicht gewählt werden. Also müssen sie, d.h. die Nachfrage der Individuen in einem gemeinsamen Nenner ausgedrückt werden. Hier kommt die Kaufkraft herein. Sie ist der gemeinsame Nenner in dem die Verwendungsmöglichkeiten für den Vorrat der Gesellschaft ausgedrückt werden. Das ausdrücken machen die Individuen. Darin besteht ihr Handeln. Natürlich muss man dazu jedes Individuen mit einem Vorrat oder besser gesagt mit einer Menge (er wollte das Wort “Vorrat” hier nur für den Vorrat der Gesellschaft verwenden) von Kaufkrafteinheiten ausstatten. Man braucht auch Mengenverhältnisse zwischen Kaufkraft und jeder Güterart, aus denen der Vorrat der Gesellschaft besteht Sonst können die Individuen die Güter nicht nachfragen. Das ist so wie beim “Problem der zwei Vorräte” (Das setzte er als bekannt voraus weil er ja das schon früher oft erörtert hatte.) Nun dann sind die Verwendungsmöglichkeiten auf die Individuen als ihre Nachfrage angewendet worden. Das weitere ist wieder einfach. So einfach. So wie im “Problem der zwei Vorräte” werden die Güter an diejenigen Individuen verteilt, die für eine Einheit der verschiedenen die Gesellschaft als Person tun (Es bliebe noch immer eine Verkehrswirtschaft mit einer Güterversteilung unter einem Preissystem) oder die Individuen können es tun” (Die Stellung ist in jedem Fall ähnlich dem, was man heute als Welfare Economics bezeichnet.) “In dieser Wirtschaft” setzte Karl for wird jede Gütermenge nach dem gleichen Prinzip verwendet. Den sie wird demjenigen zugeteilt, der die meiste Kaufkraft für sie bietet. Es ist daher so, als ob die Gesellschaft als Person gehandelt hätte. Natürlich ist es nur ein “Als ob” sein [47] “Quasi” (das wiederholte er immer wieder), aber ich bin auf diese Weise zur Kaufkraftwirtschaft gekommen. Ich gebe zu, der Übergang ist nicht so leicht wie bei der Tauschwirtschaft, es ist nur ein Übergang auf Krücken. Aber es zeigt sich, dass die ganze Theorie auf den Voraussetzungen des “isolierten Wirtes” beruht.

So hatte Karl die Verbundenheit der „Tauschwirtschaft“ mit der „Kaufkraftwirtschaft“ gezeigt. Zwischen diesen beiden Modellen sind wahrscheinlich zahlreiche Mischformen möglich. Doch ich kann mich nicht erinnern, dass er sie in meiner Anwesenheit erörtert hat. Was ihn interessierte, wie ich glaube, vor allem die “theoretische Strenge” wie er sich ausdrückte, das grundsätzliche. Nach zwei Jahren hatte er auf diese Weise das Theorem “Kaufkraftwirtschaft-Tauschwirtschaft” bis Ende durchgearbeitet. Es ist charakteristisch für Karl, dass er in seiner “restlessness of spirit”, wie Du liebe Kari schreibst, gleichzeitig die Schwäche des Theorems entwickelte, und dass selbst diese kritische Haltung aus positiven Leistungen hervorging. Es war eine Art “Double movement” Je mehr er in das Theorem eindrang und Neues fand um so mehr trat das Theorem für ihn in den Hintergrund, weil er die Begrenztheit seiner Bedeutung erkennen musste. Dabei kam er vielleicht zum ersten Mal auf den für ihn so wichtigen Gegensatz zwischen formaler und substantiver Theorie.

Um klar zu machen was ich damit sagen will, scheint es mir nötig auf das “Problem der zwei Vorräte” zurückzugreifen. Alle Fälle dieses Problems ließen sich scheinbar ohne Zuhilfenahme eines Wertbegriffes lösen. Bald fiel das Karl auf. “Ja was ist denn eigentlich hier mit dem Wert?” fragte er sich. “Braucht man den hier gar nicht? Und warum nicht?” Cassel, der damals der führende Vertreter der “wertfreien” Schule war, bot ihm keine genügende Antwort. Denn ebenso wie Karl im Problem der zwei Vorräte entwickelte auch Cassel seinen Preisbildungsprozess ohne dass er zum Werte griff. Die Preise ergaben sich einfach, doch Gründe, warum das so sein müsse, oder welche Rolle, wenn auch untergeordnet, ein Wert in bestimmten Sonderfällen spielen könnte, waren Themen, auf die Cassel nicht einging. Karl genügte das natürlich nicht. Er stellte sich daher die Frage nach der Rolle des Wertes, wie ihn die österreichische Schule und insbesondere Menger und Böhm-Bawerk entwickelt hatten.

Seinem systematischen Denken entsprach es, dass er mit den einfachsten Fall begann, nämlich mit dem “isolerten Wirt”. “Mein theoretisches Gefühl sagt mir, dass es im isolierten Wirt keinen Wert gibt”. Das hörte ich ihn im Juni 1925 an einem sonnigem Samstag Vormittag in dem kleinen Vorgarten vor dem Hause sagen. Es war ein so schöner Tag, dass beschlossen wurde in den Garten zu gehen. So nahmen wir Sessel mit und gingen hinunter, Kari konnte damals noch nicht gehen. Aber mit einigen Spielsachen unterhielt sie sich ganz gut. Karl dachte sich wahrscheinlich, dass ihn am Samstag der “Volkswirt” schwerlich anrufen würde, und wenn schon, war ja die gute Erszi da, die es ihm ausrichten würde. “Samstag arbeiten wir nicht, das ist so bei den Journalisten, “bemerkte Karl einmal. Es war das erste Mal, dass ich von einem Doppelwochenende hörte, ein Zustand, den ich heute in Neuseeland als selbstverständlich annehmen würde, weil ich seit 1939 [48] fast immer ein Doppelwochenende hatte. Doch die Erfahrungen in Österreich und anderen Mittel-und Osteuropäischen Ländern haben mir gezeigt, dass man nichts für als selbstverständlich und unantastbar ansehen dürfe und dass, wie man auf englisch sagt “vigilance is the price of freedom.” 1925 war ich natürlich noch weit entfernt davon die Wahrheit dieser Worte zu begriden. Man fühlte sich noch nicht unter einer scharfen Reaktion. Die Polizei und das Bundesheer hatten noch immer Personalvertretungen, in denen die freien Gewerkschaften die Mehrheit hatten. Die sozialdemokratische Partei, obgleich in der Opposition, hatte noch immer Einfluss auf die Regierung, die nicht ganz sicher war, ob die Polizei und das Militär gegen die linke genug zuverlässig sein würde. Zumindest kam uns das so vor. Otto Bauer sagte damals dass ein “Gleichgewicht der Klassenkräfte” eingetreten sei und so glaube man sich in einer Periode fortgesetztem Stabilität. Ich sah allerdings mit einigem Missbehagen auf die neuen Münzen, die nach der “Sanierung” in Zirkulation kamen. Irgendwie fühlte ich, dass das mit deinem Abbau von der Bank zu tun hatte. Von den Fragen dem Vollbeschäftigung, des stabilen Geldes, von der Bedeutung er “orthodoxen” Finanzpolitik, die im Namen der Preisstabilität eine gewisse Begrenzung der wirtschaftlichem Ausdehnung und damit eine gewisse Arbeitslosigkeit als wesentlich erachtete, wusste ich nichts, obgleich ich die Wirksamkeit dieser und ähnlicher Theorien in der österreichischen Wirtschaftspolitik ahnen konnte. Ich war hauptsächlich an ökonomischer Theorie interessiert, an “logical niceties” wie man heute sagt, deren Begrenztheit und Gefährlichkeit ich damals noch sehr unvollkommen begriff. Und selbst auf diesem Gebiet war ich noch ich sehr weit fortgeschritten. Ich hatte Mühe das gewiss gute, aber etwas schwer beschriebene Buch von Schönfeld, “Grenznutzen und Wirtschaftsrechnung” zu verstehen, das den Begriff des Wertes in der Theorie klarlegen wollte, nachdem die Klassiker der Grenznutzentheorie den Begriff des Wertes definiert hatten.

Auch Karl beschäftigtes sich mit diesem damals neu erschienenem Buch (es war 1924 herausgekommen). Er las es besonders in Beziehung auf den Wertbegriff, über dessen Rolle er Literatur suchte. Gewiss war sein Ausspruch, dass es im isolierten Wirt keinen Wert gäbe, nicht wörtlich aufzufassen. Er wollte nur darauf hinweisen, dass der Wert keine notwendige Erscheinung sei.

“Das ist ja oft ausgesprochen” meinte er. Der Wert kommt bei ihnen (der subjektiven schule, wie sie in diesen Jahren sich darstellte) nur bei geänderter Lage als eine mögliche Erscheinung herein. Der Wirtschafter erspart sich den ganzen Wirtschaftsplan neu aufzustellen, wenn für seiner Gütermengen eine Verwendungsmöglichkeit verloren geht oder eine neue auftaucht, und wann er bei dieser Gelegenheit den Wert dieser Gütermenge festellt. Da kann er sich damit begnügen die Bedürfnisbefriedigung festzustellen, die von der betreffenden Gütermenge in der bisherigen und in einer neuen Verwendungsmöglichkeit abhängt. Ja “setzte er nach einer kleinen Pause fort” das haben sie schon immer gesagt und das ist nicht neu. Aber man kann weitergehen.

[49] Der Wertbegriff kann nämlich auf zwei Arten definiert werden. Einmal ist er eine Größe die nicht mengenmäßig ausdrückbar ist, wie Wichtigkeit oder Dringlichkeit eines Bedürfnisses. Das andere Mal kann den Wert als Mengenverhältnis zwischen Gütermengen definiert werden und dann ist e eine Verwendungsmöglichkeit so ähnlich wie im Problem der zwei Vorräte und in der Kaukraftwirtschaft.” Und nach einer kleinen Pause setzte er fort: “Natürlich die nicht mengenmäßige Definition des Wertes, wo man von Dringlichkeit grad oder ähnlichem spricht, steht seit den beginn den subjektiven Schule im Vordergrund. Ganz klar, weil sie ja glaubt vom “Subjektiven” wie sie sagen, die Wirtschaft erklären zu können. Man findet beispielsweise die herkömmliche Definition des Wertes bei Böhm-Bawerk. “Mit diesen Worten nahm er sein Exemplar der “Positiven Theorie, Band I” und zitierte:

“Die Größe des Wertes eines Gutes bemisst sich nach der Wichtigkeit desjenigen konkreten Bedürfnisses oder Teilbedürfnisses welches unter den durch den verfügbaren Gütervorrat an Gütern solcher Art bedeckten Bedürfnissen das mindest wichtigste ist” (a.a.O.S. 184)

Man findet aber bei Böhm-Bawerk und bei anderen ebenfalls auch die andere die mengenmäßige Definition des Wertes, aber weniger im Vordergrund. Doch ist sie da. Bei ihm (Böhm-Bawerk) kommt sie im den bekannten Beispiel vom Kolonisten heraus, der fünf Kornsäcke hat. Er stellt seinen Wirtschaftsplan auf und widmet dabei Kornsäcke nach dem Dringlichkeitsgrad in seiner Bedürfnisrangordnung, wie sie es nennen. Zum Schluss kommt er zum fünften Sack und entscheidet damit Papageien zu füttern, weil ihm diese Vögel unterhalten, Bisher ging es nach dem Dringlichkeitsgrad nach der im Vordergrunde stehenden Definition des Wertbegriffes. Aber nun lässt er den Kolonisten einen Sack verlieren und fragt was geschieht jetzt. Hier hat er das. Wieder nahm Karl das Buch, blätterte ein wenig drin herum, bis er die entsprechende Stelle fand. Dann sagte er; “Hier ist es” Und nun las er wieder vor:

“Der Kolonist wird mit den übrig gebliebenen vier Säcken die vier wichtigsten Bedürfnisgruppen decken und nur auf die Gewinnung der unbedeutendsten letzten, des ‘Grenznutzens’ verzichten. Das ist in diesem Fall die Haltung der Papageien.” (a.a.O S. 186)

“Das heißt” argumentierte Karl “der Kolonist verliert so und soviele Papageien. Sie kommen nicht mehr zu seiner hütte, weil er sie nicht mehr fütterst. Der Verlust, oder wie Böhm-Bawerk sagt, die Haltung der Papageien, auf die der Kolonist verzichtet, daher in dem Mengenverhältnis ausgedrückt werden “ein Sack Korn so und soviele Papageien.” Man kann auch sagen, dass dieses Mengenverhältnis eine Verwendungsmöglichkeit darstellt. Denn der Kolonist kann einen Sack Korn zur Fütterung so-und so vieler Papageien verwenden. Damit wird der Wert zur Verwendungsmöglichkeit. Natürlich wird es schon so sein, dass wie sie sagen, der Wert bei geändert Lage die neuerliche [50] Aufstellung des gesamten des gesamten Wirtschaftsplanes erspart. Aber das ist in diesem Zusammenhang nicht interessiert. Worauf es mir ankommt, ist dass man das was sie “subjektive Wertschätzungen” nennen auf Verwendungsmöglichkeiten in der Form von Mengenverhältnissen zwischen Gütern zurückgeführt werden kann. Und nichts anderes geschieht im “Problem der zwei Vorräte und in der Kaufkraftwirtschaft.”

Damit war er für’s erste befriedigt. Das um so mehr als er sich in seiner Grundposition bestätigt fand, dass es keinen Sprung vom “Objektiven” gäbe, weil mit dem Menschen infolge seiner Vergesellschafteten Natur das Objektive schon a priori gesetzt sei. So kam er auch hier wieder auf seine Zentralstellung, den vergesellschafteten Menschen, zurück. Gerade zu dieser Zeit erörterte er das oft mit mir, weil er mir damals mit meiner Dissertation sehr viel half, und Fragen die mit der Vergesellschaftung des Menschen zusammenhingen, spielten in die Dissertation herein. Ich glaube, dass ich das schon in seine, früheren Brief erwähnt habe.

Obwohl Karl die Wertschätzung ursprünglich vielleicht hauptsächlich wegen des scheinbaren Abwesenheit eines Wertes im Problem der zwei Vorräte und in der Kaufkraftwirtschaft untersuchte, ging er auch nach der Klarstellung des Wertes im isolierten Wirt in diesem Gegenstande weiter. Die Klarifizierung (so nannte er es) der Voraussetzungen der ökonomischen Theorie machte ihm Freude, was bei seiner Neigung zu systematischen Denken nur begreiflich war. Und außerdem wollte er auf diese Weise Unterschiede zwischen dem “Wirtschaftsablauf”, wie er sagte, in der Tauschwirtschaft in der Tauschwirtschaft und in der Kaufkraftwirtschaft herausbringen. Und hier geschah das Eigenartige. Es war eine Art “double movement”, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, den Karl in der “Transformation” einige später schuf. Je weiter er in diesen Untersuchungen über die Voraussetzungen der ökonomischen Theorie vordrang, um so klarer und um so einheitlicher wurden diese Voraussetzungen formulierbar. Das war die eine Seite des “double movement”. Die andere Seite aber war, dass er immer wieder finden musste, wie in Grenzfällen die Erscheinungen der Tauschwirtschaft auch in die Kaufkraftwirtschaft versetzt werden konnten und umgekehrt. Mit der Erweiterung seiner Erkenntnisse über die Voraussetzungen der Theorie wurde daher die Bedeutung des Gegensatzes Kaufkraftwirtschaft-Tauschwirtschaft immer mehr eingedämmt. Oder anders ausgedrückt. Der Unterschied zwischen Kaufkraftwirtschaft und Tauschwirtschaft als zwei theoretische Orte, wo in jedem nur bestimmte Fragen stellbar und lösbar waren war oft nicht aufrechtzuerhalten – eine Enttäuschung für Karl, die aber für ihn von großer Bedeutung war, weil sie ihn dazu führte, diese beiden Wirtschaftssystem in seinen historischen Untersuchungen über die Wirtschaft zu benützen. Das hatte allerdings noch Jahre Zeit, wie sich das “double movement” nur langsam zeigte, kein Wunder bei einem Mann wie Karl, der nicht nur vielseitige Interessen hatte, sondern auch von seiner Berufsarbeit ihr in Anspruch genommen wurde.

[51] Solche Erwägungen waren für Karl ausschlaggebend über das Theorem, zumindest solange er in Wien war, nichts zu veröffentlichen. „Ich würde gerne damit herauskommen“ sagte er mir einmal im Sommer 1929 im Strandbad Klostenburg, wo Ihr auf Sommerfrische wart, „wenn mehr dran wäre (am Theorem) aber leider ist das nicht so.”

Damals war er bereits mit dem beschäftigt, was Prof. R.M. MacIver in seinem Vorwort zur Vorwort zur “Transformation” rewriting history nannte. Seine Tätigkeit wechselte immer mehr von der “formalen” Theorie zur “substantiven” Theorie hinüber. Er wurde “economic historian” wie Dum es, Liebe Kari in Deinem Artikel in der “Co-existence” sagst. Allerdings kam das nicht plötzlich. Wenn er auch die Tauschwirtschaft in der “formalen” Theorie als nicht so bedeutsam erkannt hatte, als er es vielleicht gehofft hott, so bot diese Konstruktion mehr auf dem Gebiete der “subtantiven” Theorie, wie er es später nannte. Er nahm die Konstruktion “Tauschwirtschaft” setzte voraus, dass sie sich ungehindert auswirken konnte, und fragte, was kommt dabei heraus. Die Voraussetzung, dass sich die Tauschwirtschaft ungehindert auswirken konnte, war durch die Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts gerechtfertigt. Der Zentralpunkt in dieser Wirtschaft war der durch keine behördliche Einmischung gehinderte sich selbst regulierende Markt. In diesem Zusammenhang nannte er die Tauschwirtschaft eine Marktwirtschaft. Hier ist der Punkt, wo das Theorem für seine spätere Tätigkeit schon in Wien entscheidende Bedeutung hatte. Die Identifikation der Konstruktion “Tauschwirtschaft” mit der der sich selbst regulierenden “Marktwirtschaft” kann in der “Transformation” nachgelesen wird. Ich habe die Stelle schon früher zitiert. Trotzdem möchte ich sie infolge ihrer Wichtigkeit wiederholen (Bitte streicht sie, wenn es Euch als überflüssig vorkommt.) Karl sagt hier:

No market economy separated from the political sphere is possible, yet is was such a construction which underlay classical economics since David Ricardo and apart from which the concepts and assumptions were incomprehension. Society, according to this “lay-out”, consisted of bartening individuals possessing an outfit of commodities – goods, land labor and their composites. Money was simply one of the commodities bartered more often than another and hence, acquired for the purpose of us in exchange” (Transformation p. 196, 1944 Ed.)

Auf die Fragen, die er in Verbindung mit der Marktwirtschaft als “economic historian” behandelte, möchte ich erst im dritten Abschnitt eingehen, der sein Wirken nach dem Verlassen Österreich, so gut ich kann, kurz darstellen soll. Hier möchte ich nur sagen, dass er diese Probleme in Abendkursen an der Volkshochschule vielleicht seit 1928 oder sogar noch früher behandelte. Irgendwie, Näheres weiß ich nicht, möglicherweise durch den “Volkswirt” war er mit Professor Dr. Walter Schiffbekannt geworden. Jedenfalls glaube ich mich zu erinnern, dass er schon 1925, als er sich noch mit den Lösungen des zwei “Problems der zwei Vorräte” beschäftige, erwähnte, dass er zusammen mit dem Professor eine gemeinsame Arbeit über gemischtwirtschaftliche Unternehmungen (oder ein ähnliches Thema) mache. Das war wieder für Karl charakteristisch. Er war ja so vielseitig, dass ein Stoffgebiet ihn nicht ausfüllte. Schiff war damals Präsident der Volkshochschule, eine [52] Organisation für die Weiterbildung von Erwachsenen, die damals, d.h. bis Februar 1934 der Linken und insbesondere der sozialdemokratischen Partei nahe stand (was natürlich nie offiziell der Fall war). Schiff war damals bereits statistischer Konsulent der Gemeinde Wien. Seine Laufbahn begann er als Statistiker im Staatsdienst – ich glaube im Arbeitsstatistischen Amt des Handelsministeriums. Zunächst wendete er sich der Agrarstatistik- und Politik zu. In späteren Jahren – ungefähr vor und während des ersten Weltkrieges nahm er großes Interesse an Sozialstatistik und insbesondere an “Haushaltrechnung”, d.h. wie ich glaube an Statistiken über Einkommen und Ausgaben durch Haushalte. Eine seiner bedeutendsten Leistungen auf diesem Gebiete war die Klassifizierung der Haushalte nach der Höhe ihres Einkommens prof. Kopf der zum Haushält gehörigen Personen. Vor ihm hatte man die Haushalte nach dem Gesamteinkommen der zum Haushalte gehörigen Personen klassifiziert. Bei dieser Methode musste man einen Haushalt einer bestimmten Gruppe zuzählen, gleichgültig ob von dem Einkommen eine, wie, zehn oder mehr Personen lebten. Dieser so wichtige Unterschied zwischen Haushalten mit gleichem Einkommen wurde daher ignoriert. Seine Hervorhebung durch Schiff’s Neuerung wies auf eine menschliche Betrachtungsweise hin, in der sich vielleicht schon sein Übergang vom “Liberalen” zum Sozialistischen im ersten Weltkrieg anzeigte. Er war seit jeher “liberal”. Das hieß nicht so sehr Manchesterliberalismus des 19. Jahrhunderts, sondern die Forderung nach Freiheit des Denkes und insbesondere der Forschung, die er als Wissenschaftler für lebenswichtig ansah. “Oh” sagte er mir einmal 1933, als die Bürgerlichen schon ohne Parlament mit dem kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz regierten, “das waren Liberale (er sprach von Böhm-Bawerk, Menger und Wieser, mit denen er als langjähriger Herausgeber der Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung” in engem Kontakt war). Denon wäre so etwas (Regieren mit Notverordnungen) nie eingefallen. Die haben an die staatsbürglichen Rechts wirklich geglaubt. “Diesen Glauben hatte er wahrscheinlich als Erbe von dem “Dreigestirn der österreichische Schule” (so nannte man damals häufig die drei erwähnten Ökonomen) übernommen. Nach Überleitung des Arbeitsstatistischen Amtes in das Bundesamt für Statistik nach dem ersten Weltkrieg wurde er Vizepräsident des Bundesamtes. Doch schon nach verhältnismassig kurzer Zeit (1923) fiel er mit 1957 Jahren dem Beamtenabbau im Zuge “Sanierung” unter dem damaligen Bundeskanzler Dr: Seipel zum Opfer. Mit dem Titel eines Präsidenten wurde er vorzeitig pensioniert. Allerdings war damit seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Statistik noch lange beendet. Die Gemeinde Wien beschäftigte ihn bis Februar 1934 als statistischen Konsulenten, und in dieser Eigenschaft war ich ihn oft als Hilfskraft zugeteilt, wie man damals sagte. Ich glaube er hat seinen Abbau (nicht aus materiellen Gründen, sondern weil er diese Maßnahme als ungerechtfertigt ansah) den bürgerlichen Machthabern nie verziehen [53] Ihm tat es persönlich weh, wenn er sehen musste, wie unter der damaligen bürgerlichen Regierung an den Mitteln für die Volkszählung 1923 Abstrichte erfolgen, die er als zu groß erachtete. Wütend konnte er werden, wenn man an einer Erhebung sparen sollte. “Sparen Sie nicht, sondern leisten Sie gute Arbeit!” schärfte er mit einmal ein, als ich einen Bogen Papier auf der Vorder-und Rückseite benützen wollte. “Der Professor Hasstt das Bundesamt”, sagte mir einmal mein Vorstand Dr. René Markus Delannoy – er war der ideale Chef – “er würde es nie sagen, aber es ist wahr. Nie konnte er eigentlich machen was er wollte. Und wie es hätte dazu kommen sollen, hat man ihn pensioniert.” Wahrscheinlich hat die Pensionierung, die Schiff vor allem als Ausdruck einer Geisteshaltung auffasste, die Wissenschaft hauptsachlich nach dem Gesichtspunkt ihrer Kosten beurteilte, seine Annäherung zur Linken beschleunigt. Bevor er in die sozialdemokratische Partei eintrat, ging er zu Seitz, dem damaligen Parteivorsitzenden und fragte ihn, ob er Mitglied werden könne, trotzdem er die Marxistische Wertlehre nicht anerkenne. Darauf soll Seitz geantwortet haben, das sei kein Hindernis, die Hauptsache sei, dass er Sozialist sei, und im Parteiprogramme stehe nichts von der Notwendigkeit die Marxistische Werttheorie anzunehmen. Daraufhin trat Schiff in die Partei ein (Ich glaube, Delannoy erzählte mir das.) Im Verlauf der Jahre kam er immer mehr nach links. Allem was man ihm sagte, stand er a priori sehr kritisch gegenüber und er war gewiss in’s Gesicht sehr scharf, wo er es als nötig erachtete. Doch hinter ihrem Rücken lobte er die Menschen. Er bewunderte Karl, wie er mir einmal sagte. Karl hätte ihn einmal die Überlegenheit der Grenznutzentheorie über die Marxistische Wertlehre in einigen wenigen Wort gezeigt. Auch Delannoy teilte die Haltung Schiff’s obgleich er doch mit Karl nur wenig in Berührung gekommen war. (Ich glaube sie waren infolge eines Artikels miteinander bekannt geworden, den Delannoy über eine Vervollkommnung des Wahlrechtes im “Volkswirt” geschrieben hatte, und den Karl beantwortete.) – Eigentlich mag das alles nicht hierhergehören. Doch scheint, der immer für seine Volkshochschule für gute Lehrekräfte auf der Suche war, war natürlich sehr froh einen Mann wir Karl für einen Kurs zu gewinnen. So musste Karl schon in Wien seine Gedanken über die Marktwirtschaft systematischen für seine Vorträge niederlegen (ich glaube, er hat darüber gesprochen) und das war wahrscheinlich eine nicht unwichtige Vorarbeit für die “Transformation”. Auch wenn das nocht so ist (ich mag mich täuschen) hat Karl doch mit Schiff ziemlich viel verschiedensten Fragen in Wissenschaft und Politik gesprochen hat. Ich kann nur wiederholen, er und auch Delannoy haben Karl sehr geschätzt.

So war im Laude von zwei oder drei Jahren Karl’s Arbeitsfeld sehr gewachsen. Neben der Arbeit für den Volkswirt, die infolge der anwachsenden Reaktion schon vor dem Juli 1927 fortgesetzt schwerer wurde, hatte er nun auch den Kurs für die Volkshochschule. Mir kommt vor, dass er ihn im Lokal in der Zirkusgasse hielt, weil das über für ihn war. In dieser Zeit schien ihn seine Krankheit weniger zu quälen (Möglicherweise habe ich wieder einmal Unrecht, wenn so, hatte berichtigt). Er hatte nicht mehr so viel freie Zeit als vorher.

[54] Früher d.h. 1925/26 konnte man schon am Donnerstag zu ihm kommen, ohne, dass er anderweitig beschäftigt war. Doch das wurde immer seltener. In zunehmenden Masse (zumindestens kam es mir so vor) fand ich bei Euch Menschen, mit denen ich infolge meiner Einseitigkeit nichts anzufangen wusste, und die vor allem mit mir die gleiche Erfahrung nachten. Das gab mir viele schöne Gelegenheiten bei der lieben Nene in ihrem in den Magnatenbildern an den Wänden die Spuren einer vergangenen Epoche zu sehen, so galt das erst recht vom Zimmer der Nene. Ihr Zimmer war, ich kann es nur wiederholen, ein Museum. Die Bilden an den wänden, die kunstvollen Teekessel und Nippsachen im Glaskasten, das Mobilar, alles das stammte aus einer schon damals im Untergang begriffenen Welt, wenn auch das herrschende Regime in Ungarn diese Entwicklung aufzuhalten versuchte. Obgleich wir nicht immer sprachen, erzählte sie mir doch manches aus ihren Leben und von den Kreisen, aus denen sie stammte. Trotzdem das Zimmer so sehr an die alte Welt erinnerte, fühlte man in diesem Raum keine Ablehnung trotz des unleugbaren Unrechts, das diese alte Welt verkörperte. Das machte die Anwesenheit der teuereu Nene. Ihre Persönlichkeit drückte den Raum den Stempel von Ruhe, Güte, Toleranz und zurückhaltender Vornehmheit auf. Ich denke an sie in Verehrung und mit dankbarer Wehmut. So wie bei Karl und Dir ist mir auch bei ihr vieles, was sie gesagt hat erst nach Jahren klar geworden. Sir würde gewiss die heutigen, weil sie die Anderung als unvermeidliche Folge der Vergangenheit ansehen würde. Sie soll in Frieden ruhen.

Trotzdem sich Karl in wachsendem Masse mit Fragen beschäftigte, die außerhalb der Wirtschaftstheorie lagen, gab er seine Untersuchungen im Gebiet des Theorems nicht auf. Sie waren im wesentlichem ein Suchen nach Erscheinungen, die entweder nur an die Tauschwirtschaft oder nur an die Kaufkraftwirtschaft gebunden waren. Wenn sich dabei auch immer wieder Zeigte, dass die in Frage kommende Erscheinung nicht nur in der einen, sondern als ein Grenzfall auch in der anderen Konstruktion denkbar war, so bedeutete ein solches Ergebnis doch zumindest eine Klarifikation der Voraussetzungen der Theorie. Nachdem er im isolierten Wirt den Wert als Mengenverhältnis in Form einer Verwendungsmöglichkeit, die schon vor dem Preisbildungsprozess als Mengenverhältnis zwischen Kaufkraft und Güterarten gegeben war. Es war nur folgerichtig, dass er die Preisbildung in der Tauschwirtschaft ebenfalls von diesem Gesichtspunkt aus untersichte. Er behandelte diese Frage im Sommer 1927.

Ihr wart damals auf Sommerfrische in Klosterneuburg Wienerstrasse 13. Es war heißer Nachmittag im Juli. Ich kam am [55] frühen Nachmittag. Karl schlief gerade ein wenig an diesem heißen Tag. Du hattest Besuch, wie mir die liebe Nene sagte, Kari war eben von ihrem Nachmittagsschlaf erwacht (Sie hatte damals ein Gitterbett). Nene zog sie an und ich half ihr dabei. Da kam Karl herein und sagte: “Ja, ich möchte das fortsetzen.” (Er meinte den Preisbildungsprozess in der Tauschwirtschaft”). Wir gingen in den Garten hinter dem Haus. “Ich komme also wieder auf den Pferdemarkt zurück (das Beispiel Böhm-Bawerks Theorie des kapitales Band I, p. 272) – wo eine Anzahl von Pferdebesitzen ihre Pferde gegen den Maximumbetrag an Gulden anbieten, den sie von den Käufern erhalten können.) “Er nimmt verschiedenen Schätzungen der (wie er sagt) “Kauflustigen” und “Verkaufslustigen” für ein Pferd an. Diese Schätzungen drückt er in Geld aus. Man kann natürlich zeigen, dass es sich in Wirklichkeit um Verwendungsmöglichkeiten in Form Mengenverhältnissen zwischen Geld mengen und einem Pferd handelt. (Das Bezog sich auf die früher erwähnte Tatsache, dass die Wertschätzungen beim isolierten Wirt als Mengenverhältnisse zwischen Gütern in Form von Verwendungsmöglichkeiten ausgedrückt werden können.) “Doch hier interessiert mich, dass man das Geld in seinem Beispiel durch Gütermengen entsetzen kann. Man kann sagen, dass man in einer Tauchwirtschaft ist, wo die Einzelnen mit einem Vorrat entweder von Pferden oder von Eseln ausgestattet sind. Für jedes Individuum sind Tauchverwendungsmöglichkeiten für seine Pferde oder für seine Esel angenommen. Diese Tauchverwendungsmöglichkeiten sind Mengenverhältnis zwischen Pferden und Verwendungsmöglichkeiten sind Mengenverhältnisse zwischen Pferden und Eseln. Angenommen, dass jedes Individuum die Tauschverwendungsmöglichkeiten wählt, wo er die größte Anzahl von Eseln für Pferde erhält (analoges gilt für die Eselbesitzer), was kommt dabei heraus” Karl begann nun den sich hier ergebenden Preisbildungsprozess zu beschreiben. Er benützte die gleichen Voraussetzungen wie Böhm-Bawerk, d.h. er setzte das, was man heute als vollkommene Konkurrenz (perfect competition – Mrs. Robinson, um nur einen Namen zu erwähnen) bezeichnen würde. Das Resultat war dass analog wie in der Kaufkraftwirtschaft und wie im Beispiel Böhm-Bawerk’s ein Mengenverhältnis d.h. eine Tauschverwendungsmöglichkeit sich als Preis ergab. Du, liebe Ilona, bist bei seinen abschließenden Überlegungen dazu gekommen und hast lächelnd gesagt: “ja soweit so gut” antwortete Karl. “Das ist eigentlich wieder kein Unterschied zwischen Preisbildungsprozess in der Tauschwirtschaft und in der Kaufkraftwirtschaft. Es zeigt sich nur wieder dass der Preis schon vor dem Preisbildungsprozess als eine der Verwendungsmöglichkeiten vorausgesetzt werden muss.”

Das war für Karl wahrscheinlich eine Enttäuschung, weil sich kein Unterschied zwischen Kaufkraftwirtschaft und Tauschwirtschaft sehen ließ. Aber verglichen mit der heute üblichen Theorie ist seine Stellung gewiss überlegen. Denn man bemüht sich erst gar nicht Preise abzuleiten, sondern setzt sie als selbstverständlich voraus, ohne erst zu erklären warum und fragt dann was geschieht, so finden wir z.B. bei Hicks, [56] folgendes, wo er über das “equilibrium of the firm” spricht:

“Assume a particular enterprise, confronted with a perfect competitive market. What are the necessary conditions for its equilibrium? Take first the simplest case. Technical possibilities are open to a particular enterprise, by means of which a single factor A can be converted into a single product X. The prices of both A and X are given on the market; it will be therefore to its advantage to embark upon production, as long as the total value of factor employed” (J.R. Hicks, Value and Capital, London 1939, p. 79)

Hier sind Preise nicht nur für ein Konsumgut, sondern auch für ein Produktionsmittel angenommen, ohne diese Annahme zu rechtfertigen. Die Gedankengänge Karl’s zeigen, warum das so sein muss und sind daher einer Argumentation wie der eben zitierten vorzuziehen. Allerdings glaube in nicht, dass Karl damals an das gedacht hat. Denn er hatte gehofft einen Unterschied im Preisbildungsprozess zu finden, je nachdem ob es sich eine Tauschwirtschaft order um eine Kaufkraftwirtschaft handelte, und das war nicht der Fall. So brach er seine Untersuchungen für diesen Nachmittag ab.

Doch war es wahrscheinlich nicht nur die Enttäuschung über das Theorem, das ihn dazu veranlasste. Ich glaube er konnte sich an diesem Tage nicht weiter konzertieren. Denn uns alle beschäftigte anderes. Der warme shbäne Nachmittag war kurz nach dem 15, Juli. Wie Du weißt, fand an diesem Tage eine spontane Massendemonstration von Wiener Arbeitern- unter ihnen viele Angehörige der sozial-demokratischen Partei-statt- Es war ein Protest gegen den Freispruch von Mitgliedern der Heimwehr oder ähnlicher Organisationen, die, wie die Anklage behauptet hatte, eine sozialdemokratische Versammlung in Schattendorf (Burgenland) gestört hatten, wobei es Tote gab. Polizei schoss auf die Demonstranten, neunzig Tote waren zu beklagen. Diese Episode brachte den Beweis, dass die Exekutivgewalt des Staates auch gegen die Linke und insbesondere die sozialdemokratische Partei eingesetzt werden konnte. Das gab den anti-demokratischen Reaktion einen großen Auftrieb. Nicht mit Unrecht wurde der 15. Juli als Beginn der Gegenrevolution angesehen, die schließlich nach sieben Jahren ich Ziel, die Auflösung der sozialdemokratischen Partei und damit das Ende der “ersten Republik” (wie man heute sagt) erreichte. Viele Versuche wurden gemacht, diese Entwicklung aufzuhalten. Warum sie vergebens bleiben mussten, steht hier nicht zur Debatte. Ich will nur sagen, dass Euer Heim noch mehr zum wissenschaftlichen und Politischen Salon wurde. Die politische Seite war natürlich im Vordergrund. Was Karl betrifft, wurde seine Arbeit im “Volkswirt” zwar zunächst noch nicht unmöglich, aber sehr erschwert, wenn mich nicht alles täuscht. Der “Volkswirt” hielt sich so gut als möglich gegen die anwachsende Reaktion, aber jeh habe das Gefühl, dass mehr dann je jedes Wort, das Karl schrieb auf die Goldwage gelegt werden musste. Das unbeschwerte Schreiben in der gesicherten Freiheit des Wortes was vorbei. Ich habe leider keine Artikel aus dieser Zeit von ihm. Doch glaube ich dass Du alle in Wien finden wirst, wenn die verschiedenen Bibliotheken ihre Bestände aus dieser Zeit noch bewahrt haben und nicht die Opfer von Bombenangriffen geworden sind.

[57] Zu der ansteigenden Welle der Reaktion kam 1930 die Weltwirtschaftskrise. Sie nahm in Karl’s Forschungen einen beträchtlichen Raum ein. Leider habe ich damals infolge meines einseitigen Interesses an ihr so genannter statischer Theorie nicht das nötige Verständnis für den Gegenstand gehabt. So weiß ich eigentlich nur in groben Umrissen worum es sich handelte. Seine Erklärung war eine historische. Sie bediente sich weniger der verschiedenen “Modelle”, die zeigen wie im Auf und Ab des Wirtschaftsablaufes Konjunktur und Krise (boom and depression) einander notwendig ablösen. Ich glaube, er zeigte, dass die Krise der Dreißigerjahre notwendig aus dem Mechanismus der Marktwirtschaft nach dem ersten Weltkrieg folgte. Wiederherstellung des Goldstandards in den maßgebenden Ländern war ein Hauptfaktor der zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise führte. Sein weltweites Aufgeben, das durch die Krise erzwungen wurde, interpretierte Karl als Selbstschutz der Gesellschaft vor den zerstörenden Wirkungen der Marktwirtschaft. Ich weiß nicht, ob ich hier Karl’s Gedanken nicht völlig falsch wiedergegeben habe. Ihr werdet ja wissen, wieweit ich seine Theorie der Weltwirtschaftskrise richtig dargestellt habe. Jedenfalls, kommt mir vor, hat er im “Volkswirt” darüber geschrieben und auch im Vortrag erinnern, den er in einer sozialdemokratischen Organisation im Frühjahr 1932 hielt, und in dem er die Rolle des Goldstandard eingehend behandelte. Einer der Hauptsprecher in der Debatte war Ronai, der 1940 angesichts der Nazibesetzung von Brüssel Selbstmord beging, weil er keine Möglichkeit des Entkommens hatte. (Das hörte ich zumindest in Neuseeland). Ich kann mich leider an Karl’s Krisentheorie eigentlich gar nicht erinnern. Ich weiß nur, dass die große Krise überall auf der Tagesordnung stand. Und schon einige bürgerliche Optimisten den “Silbertreifen” des nahenden Aufschwunges sahen, kam im Mai 1931 der Zusammenbruch der Kreditanstalt, der weltweite Zahlungsschwierigkeiten von Großbanken nach sich zog. An einem sonnigen Vormittag im Mai 1931 kam ich zu Schiff – er war damals statistischer Konsulent der Gemeinde Wien und ich war in der Magistratsabteilung für Statistik angestellt – mit einer Tabelte, die ich für ihn gemacht hatte, und gleichzeitig mit einer Einladung für eine Zusammenkunft des “Seminars”, die er als Präsident unterschreiben musste bevor sie hinausging. Seine ersten Worte an diesem Vormittag, an dem gerade die Nachricht vom der Zahlungsunfähigkeit der Kreditanstalt durchgekommen war, waren: “Der Kapitalismus bricht zusammen.” Und doch war dieses Ereignis ein Faktor zur Stützung des Kapitalismus allerdings in einer faschistischen Form, wie sie Karl später in seiner “Essence of Fascism” beschrieb.

Doch vorderhand war noch fast drei Jahre Zeit bevor es in Österreich soweit war. Die wenigsten in der Arbeiterbewegung konnten sich zu dieser Zeit vorstellen in die Illegalität gedrängt zu werden. Die Freiheitsrechte bestanden noch in ziemlich großen Umfang. Und so war auch das “Seminar” ohne weiteres möglich. Der Anstoß dazu war das Theorem, irgendwie musste dieser Teil [58] von Karl’s Gedankenwelt bei sozialistischen Studenten und Intellektuelle Interesse erweckte haben. Denn 1930 ersuchte ihn die Marxistische Studiengemeinschaft – eine der sozialdemokratischen Partei nahe stehende Gruppe, in der Max Adler führenden Einfluss hatte – einen Vortrag über diesen Gegenstand zu halten. Es wurde vereinbart, zwei Freitagabende diesem Thema zu widmen. Die Vorträge fanden in Lokal der sozialistischen Studentenvereinigung in der Werdertorgasse statt. Den ersten Vortag hielt Karl. Er behandelte die beiden Konstruktionen Tauschwirtschaft und Tauschwirtschaft, ihre Ableitung vom isolierten Wirt, und die Probleme die sich am besten in der einen oder in der anderen Konstruktion stellen und lösen ließen. Den folgenden Freitag sprach ich über das Problem der zwei Vorräte und die daraus folgenden Fragen insbesondere über die Notwendigkeit Mengenverhältnisse als Verwendungsmöglichkeiten anzunehmen, und über die mögliche Benützung dieses “Modelles” als Grundlage für eine Theorie der sozialistischen Wirtschaftsrechnung. Natürlich kann man die beiden Vorträge nicht strenge voneinander abgrenzen, und möglicherweise gebe ich ein falsches Bild, was nach 35 Jahren leicht passieren könnte. Du liebe Ilona, wirst es ja besser wissen. Ich glaube, dass Stern als Vorsitzender der Marxistischen Studiengemeinschaft präsidierte. Ich sehe ihn noch vor meinem geistigen Auge mit dichtem Schwarzen Haatt und unleugbar slavischen Gesichtszügen, die ihm komischerweise den Namen Darhingis-Chan eintrug. Mit ihm war seine Frau Olga Hecht, eine ausnehmende Schönheit mit semitischem Einschlag. Nach einem der Vorträge lud uns eine Genossin, die unweit der Werdertorgasse wohnte, zu einem Tee zu sich ein. Trotzdem Adele und ich anfange mich wollten, weil wir doch nächsten Tag früh aufstehen mussten – es gab in Österreich noch kein Doppelwochenende als allgemeine Regel – gingen wir doch, und es war wirklich ein schöner Abschluss. Einige begannen zu singen und Ludwig Birkenfeld, der wie ich glaube, der stellverstretende Vorsitzende der Studiengemeinschaft war, sang im Urtext die Wolgaschlepper, die Warzawianka und andere Lieder der Bewegung. Manchmal denke ich mir, was wohl aus den Mitgliedern der Studiengemeinschaft geworden sein mag. – Unter den Zuhörern bei den Vorträgen war auch Schiff. Er sagte, dass das Thema sehr interessant aber zu groß für zwei Vorträge sei, und regte das “Seminar” an. So kamen wir durch zwei Jahre und länger jeden Samstag Nachmittag in Schiff’s Wohnung für zwei Stunden oder etwas länger zusammen, wo das Theorem diskutiert wurde. Als einer der Punkte stand die Beziehung der Kaufkraftwirtschaft zur sozialistischen Wirtschaftsrechnung in unter einem Preissystem zur Debatte. Dabei stellte sich natürlich heraus, dass die Festsetzung der Preise in der Sovietunion ganz anders vor sich ging – man stand zu dieser Zeit in mitten des ersten Fünfjahrplanes – als in dem Modell der Kaufkraftwirtschaft oder des Problems der zwei Vorräte. Eine andere viel diskutierte Frage war wieweit Kaufkraftwirtschaft und Tauschwirtschaft “theoretische Orte”, wie Karl sagte, für bestimmte Probleme waren. Die Schwäche, dass bestimmte Probleme in Grenzfällen in beiden Konstruktionen denkbar waren, kam hier herein. Auch wurden die Voraussetzungen der Wirtschaftstheorie, wie sie sich vom Theorem aus für Karl ergeben hatten eingehend erörtert. Das “Seminar” löste sich [59] nach und nach auf, wie das ja bei solchen Dingen natürlich ist. Den definitiven Schlusspunkt setzte der Februar 1934, obgleich schon vorbar Karl und andere prominente Teilnehmern nicht mehr kommen konnten. Eine Frucht des “Seminars” scheint erneuertes Interesses in sozialistischer Wirtschaftsrechnung gewesen zu sein. Jedenfalls brachte Schiff 1932 – im letzten Jahre wo das in Österreich und Deutschland vor 1945 noch möglich war – ein Werk über sozialistische Wirtschaftsrechnung heraus. Soweit ich mich erinnere setzte er nach einem die Gesamtwirtschaft umfassen Wirtschaftsplan die Rohmaterialien fest, die innerhalb einen bestimmten Periode verbraucht werden durften. Die zu erzeugenden Produkte wurden durch die Nachfrage der Konsumenten bestimmt. Die Preise der Produkte wurden nach der für ihre Produktion aufgewendeten Arbeitszeit festgesetzt. In dem letzt erwähnten Prinzip hatte er die Marxistische Wertlehre drin. In der Festellung der zu verbrauchenden Rohstoffe und in dem Bestimmung der Mengen der zu erzeugenden Produkte durch die Nachfrage der Konsumenten hatte er die subjektive Theorie einbezogen. Ich fürchte, dass ich sein Buch schlecht dargestellt habe. Ich kann es nirgendwo nachlesen. Aber es scheint mir, dass er sich die damaligen Wirtschaftsplanung in Russland weitgehend zum Muster für seine Theorie nahm. Ich halte das Werk für eine große Leistung. Wenn Schiff in einem Nachruf – am starb 1950 im 84. Jahr kurz nach seiner Rückkehr nach Wien – “als richtunggebender Meister … auf dem Gebiete der angewandten Statistik” bezeichnet wurde, (Statistische Vierteljahresschrift, 1950. Heft 2, S. 98) so erscheint das schon auf Grind seines Buches über sozialistische Wirtschaftsrechnung zu wenig. Denn das Werk setzte gründliche Kenntnis und originelle Einstellung zur Wirtschaftstheorie voraus.

Das “Seminar“ war ein Ausdruck der Tatsache, dass sich Karl in den Dreißigerjahren viel mit dem „Theorem“ beschäftige, wenn er such immer wieder seine begrenzte Tragweite sehen k musste. Ein wichtiger Anlass dafür war des Erscheinen der Lösung des „Zurechnungsproblems“ von Hans Mayer. F im Handwärterbuch den Staatswissenschaften im April oder Mai 1928. Mayer, damals Professor und Dekan an der Universität Wien, fühlte sich als Erbe von Böhm-Bawerk und Wieser und wollte, wie Ihr ja wisst, den Gegensatz zwischen ihren Lösungen in einer eigenen Lösung überwinden. Das Zurechnungsproblem erschien dabei im Sinne S der österreichischen Schule als die Notwendigkeit den wert und Prei der Produktionsmittel von dem Wert und Preis der von ihnen erzeugten Genussgüter abzuleiten.

Denn nach der subjektiven schule kann Wert und Preis von einer Bedürfnisbefriedigung aus erklärt werden. Produktionsmittel können Bedürfnisse nur soweit befriedigen als sie zur Produktion von Genussgütern verwendet werden, weil nur Genussgüter Bedürfnisse unmittelbar befriedigen können. Wie bekannt, gibt es zwei Lösungen in der österreichischen Schule. Böhm-Bawerk führt den Wert eines Produktionsmittels auf den Verlust an Bedürfnisbefriedigung zurück, der entsteht, wenn das bettreffende Produktionsmittel verloren geht. (Verlustprinzip) Hier kommt man zu Fällen, wo an einer [60] Produktionsmittelmenge die Besamte Bedürfnisbefriedigung durch das betreffende Genussgut hängt. Wenn zum Beispiel ein Handschuh aus einem Paar Handschuhen verloren geht, hat der zurückbleibende Handschuh keinen Nutzen, und dass keinen Wert mehr. Daher hat ein Handschuh den Wert des Handschuhpaares, das heißt, jedem der beiden Handschuhe muss der gesamte Wert des Handschuhpaares „zugerechnet“ werden. Daher ist die Summe des Wertes der einzelnen Handschuhe grösser als der Wert des Handschuhpaares – eine Sinnwidrigkeit, die wie bekannt Wieser gegen Böhm-Bawerk geltend machte. Wieser’s Lösung fordert, dass sich der Wert oder Preis eines Genussgutes restlos auf die zu seiner Erzeugung verwendeten Produktionsmittel aufteilen müsse (Aufteilungsgedanke). Er erreicht das durch Aufteilung des Wertes oder Preises eines Genussgutes auf die zu seiner Erzeugung verwendeten Produktivgüter nach dem produktiven Beitrag der Produktionsmittel. (Was der produktive Beitrag ist, braucht hier nicht erörtert zu werden).

Hans Mayer nun lässt den Werte oder Preise der Produktionsmittel zunächst nach Böhm-Bawerk bestimmen. Dann teilt sich der Wert bezw. Preis des Genussgutes noch nicht restlos auf die zu seiner Herstellung benötigten Produktionsmittel auf. Doch stehen die Wert beziehungsweise Preise dieser Produktionsmittel in einem bestimmten Verhältnis zueinander. Mayer teilt nun der Wert oder Preis des genussgutes nach diesem Verhältnis auf die Produktionsmittel auf. So behält er das Verlustprinzip Böhm-Bawerk’s bei und erreicht doch, wie es Wieser fordert, die restlose Aufteilung des Wertes bezw Preises des Genussgutes auf die Produktionsmittel.

Karl sah diese Lösung kurz nach ihrem Erscheinen im Mai 1928. Er hatte früher die Lösungen Böhm-Bawerk und Wieser gründlich studiert. So sagte er: „Ja, da ist alles sehr schön, aber was der Mayer da macht, hat mit der Wahlhandlung des Wirtschaftens nichts zu tun. Nirgendwo handelt das Wirtschaftssubjekt so. An sich ist der Mayer sehr sympathisch, aber er ist ein schwacher Musikant.“ Und nach einer kleinen Pause setzte er fort: „Die Grundschwäche liegt darin, dass er nicht sieht, dass die beiden Lösungen nicht in eine Wirtschaft passen, sondern dass man dazu zwei Wirtschaften, die Tauschwirtschaft und die Kaufkraftwirtschaft braucht. Den Böhm-Bawerk stelle ich auf die Tauschwirtschaft ein und Wieser auf die Kaufkraftwirtschaft. Der Gegensätze zwischen den beiden Lösungen auf. Und das wird eine klassische Arbeit werden“.

Karl war in einer Art Begeisterung, so freute ihn die Möglichkeit, die beiden Lösungen des Zurechnungsproblems durch das Theorem vereinbar zu machen. In nicht einer Stunde hatte er als Einleitung die beiden Lösungen meisterhaft in populärer Form dargestellt. Aber dann begannen die Schwierigkeiten, die dazu führten, dass er jahrelang an dieser Sache arbeitete ohne dass etwas erschien.

“Also” begann er „jetzt muss man sich die Debatte zwischen Böhm-Bawerk und Wieser ansehen“ und nahm sein Exemplar der Positiven Theorie zur Hand. Diesmal war es Band II Exkurse und was er aufschlug war “Exkurs VII Betreffend die Theorie des Wertes der komplementären Güter (Theorie der Zurechnung)”.

[61] Karl war natürlich mit den Exkursen vertraut. So dauerte es nicht lange, bis er die Stelle gefunden hatte, die er gesucht hatte. “Ja da ist es” sagte er. Im Grunde der Kontroverse liegt eine Verschiedenheit im Wertbegriff. Böhm-Bawerk und Menger wenden zur Bestimmung von Wert und Preis eines Produktionsmittels wie bei den Genussgütern des Verlustprinzip an. Werte und Preise von Produktionsmittel werden von der Minderung an Bedürfnisbefriedigung abgeleitet, die mit ihren Verlust verbunden sind. Bei Wieser ist das anders. Er ersetzt das Verlustprinzip durch das Prinzip des „ruhigen Besitzes“. Böhm-Bawerk zitiert die entscheidenden Sätze aus Wieser’s Natürlichem Wert. Und Karl las:

„Die regelmäßige und entscheidende Annahme auf die hin man den Wert eines Gutes prüft, ist nicht die seines Verlustes, sondern die seines ruhigen Besirzes und seines zweckentsprechenden Gebrauches“ (Exkurse S. 140)

Das Bezieht auch auf die Genussgüter. Bei den Produktionsmittels lässte Wieser, den Wert durch den Produktiven Beitrag bestimmen, den jedes von ihnen zur Herstellung des betreffenden Genussgutes leistet.

“Ich glaube, dass Böhm-Bawerk in seiner Ablehnung dieser Wertbegriffe Recht hat“ sagte Karl. Doch trotzdem wollte er zeigen, dass die Kaufkraftwirtschaft der theoretisches Ort für den Aufteilungsgedanken sie, nach welches der Wert und Preis einer Genussgütermenge auch auf die zu ihrer Herstellung nötigen Produktionsmittel restlos aufteilt. Dass er die Wertbegriffe, wie Wieser zum Aufteilungsgedanken führten, ablehnte, stärte Karl dabei nicht, weil er den Aufteilungsgedanken unabhängig von Wieser formulieren wollte. Die Lösung Böhm-Bawerk’s d.h. das Verlustprinzip hoffte er in die Tauschwirtschaft einzubauen.

Doch während er an der Lösung Böhm-Bawerk’s arbeitete, wurde es klar, dass zwischen der Bestimmung des Wertes von Produktionsmittels und Genussgütern kein prinzipieller Unterschied bestand. In jedem Fall wendet Böhm-Bawerk das Verlustprinzip an, ob es sich um Produktivgüter oder Genussgüter handelt. In der Tat spricht das Böhm-Bawerk selbst aus und Karl fiel die betreffende Stelle auf, als er wieder einmal die Debatte zwischen Böhm-Bawerk und Wieser mit kritischem Auge durchlas. Ein Teil des Titels on Exkurs VII heißt nämlich „Theorie der komplementären Güter“. Böhm-Bawerk erwähnt als einen Nebenpunkt den Grund dieses Titels indem er sagt:

“Diese Einkleidung (die Worte ‚Theorie der komplementären Güter’) entspricht am bestem dem äußeren Umfang des zu löden Problems – das je neben der Ertragszurechnung an die komplementären Produktivgüter als einen koordinierten Fall auch die Verhältnisse zusammenwirkender komplementärer Genussgüter umfassen muss” (Exkurse S. 148)

[62] Nähere Betrachtung zeigte, dass Wert und Preis bei dem Produktionsmittel auf die gleiche Weise bestimmt wurden, wie bei den Genussgütern, und dass zunächst für die Tauschwirtschaft. Dann er war zu solchen Überlegungen durch die Lösung Böhm-Bawerk’s angeregt worden, die er „auf die Tauschwirtschaft einstellen „wollte“, wie er es ausdrückte. Um nun in er Tauschwirtschaft Preise von Produktionsmittels ableiten zu können mussten für Individuen mit einem Vorrat an Produktionsmitteln und Tauschwendungsmöglichkeiten für die Produktionsmittel angenommen werden. Die Tauschwendungsmöglichkeiten mussten die Form von Mengenverhältnissen zwischen Bestimmten Arten von Produktionsmitteln haben. Im Preisbildungsprozess wurde dann ein Mengenverhältnis als Preis hervorgehoben. Der Wert einer Produktionsmittelmenge kann als Hilfsmittel für die Wahl zwischen den für sie gegebenen Verwendungsmöglichkeiten festgestellt werden. Das geschieht durch Festellung der Bedürfnisminderung, die von der zu bewertenden Produktionsmittelmenge abhängt. Diese Bedürfnisminderung kann als entgangene Verwendungsmöglichkeit formuliert werden, wie Karl bei seiner Erörterung des Wertes in Böhm-Bawerk’s Beispiel vom Kolonisten ausführst.

Das alles ergab sich aus den Notwendigkeit Tauschverwendungsmöglichkeit für Produktionsmittel in Form von Mengenverhältnissen zwischen Arten von Produktionsmitteln als unableitbar gesetzt anzunehmen. Die Unableitbarkeit solcher Verwendungsmöglichkeiten schließt es aus sie von analogen Verwendungsmöglichkeiten für Genussgüter abzuleiten, wie es das Zurechnungsproblem als eine Spezialproblem fordern wurde. Natürlich bleibt wahr, dass Produktionsmittel nur deswegen Wert und Preis haben können, weil sie man mit ihnen Güter erzeugen kann, die nützlich sind. Doch dieses Erfordernis wird bei der Aufstellung des Wirtschaftsplanes erfüllt, wo der gesamte Vorrat an Gütern, seien es Genussgüter oder Produktionsmittel, so verwendet wird, dass eine größte Gesamtbedürfnisbefriedigung erflogt (Maximus welfare sagt man heute in der Welfare Economics). In jedem Fall wirken die den Vorrat bildenden Gütermengen in Komplementarität zur Erreichung eines Maximum an Bedürfnisbefriedigung zusammen. Kein Sonderproblem hinsichtlich der Produktionsmittel besteht hier.

Ähnliches wie in der Tauschwirtschaft ergab sich für die Kaufkraftwirtschaft. Hier mussten für sie den Vorrat an Kaufkraft jedes Individuums Verwendungsmöglichkeiten in Form von Mengenverhältnissen zwischen Kaufkraft und den verschiedenen Arten von Produktionsmittel erhalten wollte. Ebenso wie in der Tauschwirtschaft könnte man solche Verwendungsmöglichkeiten nicht von analogen Verwendungsmöglichkeiten für Genussgüter ableiten, weil jede Verwendungsmöglichkeit unableitbar gesetzt sein muss. Und ebenso wie in der Tauschwirtschaft wählt auch in der Kaufkraftwirtschaft jedes Individuum jede Verwendungsmöglichkeit für seinen Kraftvorrat, bei denen die erworbenen Produktionsmittel infolge ihrer Komplementarität die größte Gesamtbedürfnisbefriedigung gewähren. Auch hier ist kein Unterschied zu den Genussgütern der Wert von Kaufkrafteinheiten und von den Einheiten der verschiedenen [63] Produktionsmittelarten kann ebenso wie in der Tauschwirtschaft als Verwendungsmöglichkeit bestimmt werden. (Ich führe des nicht im Detail ist). Doch durch diese Überlegungen wurde klar, warum sich bereits beim Problem der zwei Vorräte kein Sonderproblem für die Preisbildung von Notwendigkeit Mengenverhältnisse zwischen Produktionsmitteln als Verwendungsmöglichkeit anzunehmen. Darin spiegelte sich wieder der vergesellschaftete Mensch, die logische Einheit in Karl’s Wirken.

Karl erörterte diese Fragen durch Monate und eben Jahre, praktisch genommen von 1928 bis 1933, seinem Weggang aus Österreich. Er ließ es sich in seinem systematischen Danken nicht nehmen alle Details eingehend zu erörtern. Er kam natürlich nach verhältnismäßig kurzer Zeit zur Schlussfolgerung, dass es kein Zurechnungsproblem als ein Spezialproblem gäbe. “Der Unterschied zwischen Genussgüter und Produktionsmitteln ist ein technischer aber kein wirtschaftlicher” sagte er einmal.

Dass er nichts darüber veröffentliche geht auf verschiedene Gründe zurück. Einer davon war Mangel an Zeit. Er konnte sich den Gegenstand nur in seiner Freizeit widmen, und die wurde immer weniger. Außerdem war es für ihn schwierig nach den häufigen Unterbrechungen, die manchmal lange dauerten, „in die Sache wieder hinein zu kommen“, wie er sagte. Dazu kam, dass sich das Thema geändert hatte. Noch immer war zwar die Lösung Mayer’s da, die man als ungenügend zeigen konnte, Auch war es weiter möglich Böhm-Bawerk auf die Tauschwirtschaft und Wieser auf die Kaufkraftwirtschaft einzustellen, obgleich die Möglichkeit sich nicht ausließen ließ, in Grenzfällen die Böhm-Bawerk’sche Lösung in die Kaufkraftwirtschaft zu versetzen und die Wiesersche in die Tauschwirtschaft. (Das Wieser’s Lösung auf unbefriedigenden Prinzipen beruhte, störte nicht). Doch durch das Verschwinden des Zurechnungsproblems als Sonderproblem war der Schwerpunkt der Argumentation geändert. Eine Umstellung der Arbeit war erforderlich. Trotzdem setzte Karl die Sache in einer Abhandlung auf. Sue wurde sogar in Maschinschrift reingeschrieben und er gab mir ein Exemplar. Doch sagte er mir, dass er es noch nicht eingesendet hätte. Mittlerweile ginget Ihr im Frühjahr 1933 nach Jugoslawien auf Urlaub. (Das war schon unter dem Notverordnungsregime). Nach Euerer Rückkehr hatte sich die Lege vom Standpunkt der Demokratie beträchtlich verschlechtert. Da hatte man andere Sorgen. Möglicherweise hielt ihn auch eine Kritik vom Veröffentlichen Ab, die er bei einem Vortrag in der Nationalökonomischen Gesellschaft im Dezember 1932 erfahren hatte. Trotzdem ich dabei war, ist dabei war, ist mir leider alles entfallen, und ich habe auch vergessen, was Karl darüber gesagt hat. Ich kann mich nur dunkel erinnern, dass man den Unterschied zwischen Kaufkraftwirtschaft und Tauschwirtschaft nicht gelten lassen wollte, aber es scheinen weniger meritorische Gründe als Missverständnisse gewesen zu sein, was ja bei den Neuheit des Themas in diesem Kreise kein Wunder ist. Jedenfalls hat Karl die Arbeit nie eingesendet. Doch 1935, als Ihr schon lange weg wart, gab er mir die Einwilligung die Arbeit der von Mayer herausgegebenen Zeitschrift für Nationalökonomie einzusenden, doch wurde sie nicht [64] angenommen. Jedoch bei Kelsen fand das Thema Interesses, weil es als Analogie des rechtlichen und wirtschaftlichen Zurechnung behandelt werden konnte. Ich sendete 1937 eine Arbeit “Rechtliche und Wirtschaftliche Zurechnung” der Internationalen Zeitschrift für Theorie des Rechts, wo sie 1939 in No. 3 erschien. Ich habe mich dabei auf Karl berufen. Als die Arbeit unter Druck war, war ich im Konzentrationslager. Daher sendete der Schriftletter eine Fahne an Karl zur Korrektur. Ich glaube er erhielt zwei Exemplare. Eines sendete er der Zeitschrift zurück und ein anderes schickte er mir nach Sydney. Aus dem Brief den Karl dazuschrieb, gewann ich den Eindruck, dass er mit der Arbeit nicht unzufrieden war. Das gibt mir die Hoffnung, dass ich die Linien seiner Gedankenwelt über das Zurechnungsproblem halbwegs richtig nachgezeichnet habe, weil sie dieselben sind, die in der Arbeit stehen. Abschließend kann ich heute nach dreißig Jahren sagen, dass es schade ist, dass er nichts über Gegenstand veröffentlicht hat, umso mehr als er den Stand der heutigen Theorie die die Wert und Preisbildung der Produktionsmittel nicht mehr als ein Spezialproblem auffasst, vorweggenommen hat, als ein Beispiel zitiere ich wieder Hicks, der als führend gilt. Er sagt in Chapter VII, das den Titel “Technical Complementarity and Technical Substitution” hat:

“We have now to ask what happens when a firm which has been in equilibrium at certain prices of products and prices of factors, experiences a change in these prices. It will have been using certain quantities of factors, and producing certain quantities of products: in what ways will these quantities be affected? The problem is exactly parallel to that which discussed in Chapter II and III, for the case of the private individual and our analysis will proceed along exactly similar lines (Value and Capital, 1939, p. 89)

Hicks setzt hier Preise voraus und fragt was wird die Unternehmung tun, d.h. wie wird sich ihre Nachfrage ändern, wenn sich die Preise der Produktionsmittel ändern. Dabei ist Komplementarität der Produktionsmittel vorausgesetzt. Im Fall der Individuen nimmt er ebenfalls preise aber diesmal für Genussgüter an und fragt, wie wird das Individuum bei einer gewissen Einkommensverteilung reagieren, wenn die Preise sich ändern. Dabei ist Komplementarität der Genussgüter angenommen, d.h. es ist angenommen dass Änderungen im Preis eines Genussgutes Änderungen der Nachfrage in allen Genussgütern zur Folge haben. Ich glaube, dass hier Preise von Genussgütern und Produktionsmitteln als selbstverständlich vorausgesetzt sind, aber ohne diese Voraussetzungen zu begründen, wie es Karl machte, und das kein Unterschied zwischen Genussgütern und Produktionsgütern behauptet wird.

[65] Eigentlich bin ich jetzt am Schluss meiner Bemerkungen über Karl’s wirtschaftstheoretische Erörterungen angekommen, soweit sie in seine Wieser Zeit fallen, und soweit ich davon weiß. Obgleich er nach der Rückkehr vom Urlaub in Jugoslawien sich weiter mit dem Gegenstand besonders sagte, ließ ihn die politische Entwicklung immer weniger Zeit dazu. Der “Volkswirt” meinte es mit seiner liberalen Haltung wirklich ernst und war daher gegen die Reg bürgerliche Regierung, die seit März 1933 mit Notverordnungen ohne Parlament herrschten nachdem sich die Volksventrung infolge eines formalen technischen Sache ausgeschaltet hatte. Die Forderung der Bürgerlichen nach Aufhebung der Demokratie und ihren Ersatz durch Faschismus (sie nannten das Ständestaat), die 1929 vorübergehend zur Seite gestellt wurde, kam wieder auf die Tagesordnung. Der Volkswirt war für Demokratie. Karl war unter denen, die auch trotz der mächtigen Gegenkräfte für die demokratische Verfassung einsetzen. Insbesondere machten sie auf die Gefahr aufmerksam, dass bei der “Zwei Frontenkrieg des Notverordnungsregimen gegen die Sozialdemokratie und gegen die Nazi schließlich zur Nazifizierung Österreichs führen würde. Im Anfang der Notverordnungspraxis konnte Karl noch schreiben, wenn auch mit großer Vorsicht. Leider sind mir in den Jahren Auswanderung, Übersiedlungen alle Artikel die er über dieses Thema im Volkswirt schrieb, abhanden gekommen. Ich kann mich aber noch gut an einen Artikel genannt “Staatengründung” im März oder April 1933 erinnern, wo er in beredten Worten die Bürgerlichen beschwor zur Verfassungsmäßigkeit zurückzukehren und Österreich als Demokratie in neu zu gründen und sich nicht auf faschistische Experiment einzulassen, die gegen die Nazi unwirksam sein müssten. Diese nicht nur mit Sachkenntnis sondern auch mit meisterhafter Sprache geschrieben Artikel mussten der Regierung zeigen, dass hier ein für sie unangenehmer politischer Schriftsteller am Werke sei. So war es kein Wunder, dass nicht lange nach Etablierung das Notverordnungsregimes der Volkswirt mit der Aufschrift “Unter Vorzensur” am Titelblatt erschien. (Die Regierung wallte damals noch den Anschein wahren, dass sie sich an die Verfassung hielt, die eine Zensur ausschloss). “Das bleibt nicht wirkungslos” sagte Karl und wie so oft behielt er auch diesmal Recht. Das eine Feld, wo er noch frei schreiben konnte war gegen die Nazi. Ich habe in meinem Besitz als einzigen Artikel aus dieser Zeit den, welchen er anlässlich des Austrittes Deutschlands aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 schrieb. Er erschien im Volkswirt vom 21. Oktober 1933 unter dem Titel “Der 14. Oktober”. Oft lese ich ihn und denke mir dabei, wie doch die Menschheit so langsam lernt (ich habe diese Redewendung von irgendwo herbekommen). Karl gibt eine historische Interpretation der Ereignisse. Er beginnt mit 1914. “Im Jahre 1914” sagt er “nahm die Österreichisch-ungarische Monarchie ein politisches Mordattentat zum Anlass um in einem historischen Waffengang die eigene Lebensberechtigung zu erweisen… Österreich-Ungarn und Deutschland hatten… den gutwilligen Rettern des Friedens, die den Lauf des Schicksals hemmen wollten, den Weg verlegt. Die besiegten Völker selbst straften ihre Herrscher. Auf entsühntem Boden wollten sie ihre neuen Staaten errichten. Als metaphysischer Untergrund webte und wirkte an [66] der Schwelle der neuen Staatengründungen das gleiche Bewusstsein, welches fast alle Völker der Erde im Weltkrieg erfüllt hatte: das Bewusstsein von der Kriegsschuld der Mittelmächte.

1919 ist die Schuld der Besiegt gelöscht worden. Die Siegemächte diktierten einen Friedensvertag, der in jeder Zeile das Bewusstsein einseitige an sich gerissener höchste Verantwortung trug. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Die Ordnung von Versailles brachte keinen Frieden……………… Die Sieger… hatten auf die Welt einen Frieden losgelassen, dessen Furien Tag für Tag ihre Verantwortung und Schuld hinausschrieben.

1933 ist die Schuld von Versailles gelöscht worden. Deutschland hat sich dem Nationalsozialismus ergeben. Er lässt durch seinen Staat und in ihm eine Lehre verkörpern, die sich als höchstes Ziel die Vernichtung des Menschheitsbegriffes selbst stellt. Der durch das Neue Testament aus den dunkelsten Blättern des altern gelöschte Wahn der Auserwählten des Blutes, dieser heidnische Aberglaube eines nomadisierenden Hirtenstammes, feiert zwischen Schloten und Retorten, Kraftwerken und Flugplätzen eines 65 Millionen Volkes seine schreckensvolle Auferstehung. Ein ganzes Volk stellt seine Wissenschaft, und seine Religion, seine Moral und sein Recht in Ren Dienst von Kräften, auf denen Niederhaltung und Verneinung die Wissenschaft und die Religion, die Moral und das Recht der weißen Rass gebaut waren…… Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Der Nationalsozialismus Deutschland und Europa ins Unglück gestürzt. Als reife Frucht gedachte Hitler den Aufstieg Deutschlands zur Gleichberechtigung einheimsen zu können, die das Weimarer Jahrzehnt trotz allem in greifbare Nähe gerückt hatte. Diese Früchte sind verdorr und die Axe ist an die Wurzel des Baumes gelegt. Völker, die einst das deutsche Volk nicht gehasst hatten, obgleich sie mit ihm im Krieg standen, hassen es heute ohne selbst ohne Krieg. “Und Karl schließt mit den Worten”; Nur wohlfeile Selbsttäuschung wird sich in Deutschland der Einbildung hingeben dürfen dass der Orkan, dem der Nationalsozialismus in der Welt entfesselt hat, sich gehorsam in ein leichtes Säuseln verwandeln lasse.”

Irgendwelcher Kommentar könnte die Gewalt dieser Sätze nur vermindern. Der Artikel war wahrscheinlich der letzte, den Karl in Wien Volkswirt geschrieben hat. Für Karl war es klar, dass er für den Volkswirt und das hieß für Österreich unter dem Notverordnungssystem untragbar geworden war. Er hätte sich beugen können. Doch, wie Du liebe Kari geschrieben hast, “his life was guided by an inner necessity to exercise freedom of actions and thought”. So gab er alles auf und machte den Sprung in’s Ungewisse. Ich glaube es war das zweite Mal in seinen Leben. Das erste Mal war es als er die Rechtsanwaltskarriere aus dem gleichen Grund Aufgabe (Das mag unrichtig sein, Ihr werdet das besser wissen, bitte berichtigt mich.) Jedenfalls war sein Entschluss für alle von uns ein Glück. Für ihn selbst, der das Naziregime kaum überlebt hätte, hatte die Zukunft noch fruchtbares Wirken vorgesehen (ich werde versuchen seine Verbindung mit den Wiener Jahren im folgenden Abschnitt darzustellen). Meine Familie und ich hätten nicht überlebt, wenn Ihr nicht vom Ausland aus hättet helfen können.

[67] Gewiss habe ich diese Gedanken nicht, als ich ihn in Wien das letzte Mal sah. Doch war sein Weggang für mich ein Symbolisch des kommenden Faschismus. Schon einige Zeit vor seiner Abreise konnte man sehen, dass irgendetwas im Zug war, obgleich ich nicht sagen was es war. Doch eines Tages sagte die liebe Wene, als ich wieder bei ihr im Zimmer saß: “Er muss gehen. Vorgestern waren alle da (sie meinte Mitglieder der Redaktion des “Volkswirt”) und da ist es beschlossen worden.” Und so war es auch. Kurz danach kam Karl herein, ging mit mir wie so oft in das Mittelzimmer und sprach: “Ja, also ich gehe. Ich werde in England schreiben und korrespondiere für den Volkswirt.” Ich war zwar nicht überrascht, aber doch ziemlich betroffen. Wir sprachen noch einige Zeit miteinander. Er konnte eben unter dem Notverordnungsregime nicht bleiben. Insgeheim beneidete ich ihn, weil auch auf mir das Regime wie ein Alpdruck lastete. Schließlich empfahl ich mich. Das nächste Mal sah ich ihn erst mehr als fünf Jahre später in London wo Ihr uns am Bahnhof erwartet habt. Seine Letzten Worte, die ich in Wien von ihm hörte, und die gleichzeitig die ganze Situation beleuchteten waren: “Hier ist für mich kein Boden.”

Third 'Part'

Fourth Letter: 15 February 1966

[68] Das ist der Beginn des dritten und letzten Teiles meiner Bemerkungen über Karl. Soweit sie seine Werke betreffen versuche ich hier seine Abhandlung “The Essence of Fascism” wiederzugeben und ihre Verbindung mit Gedankenganzen Karl’s aus der Wiener Zeit darzustellen, um die Stellung der Abhandlung im Gesamtnahmen seines Wirkens zu zeigen. Dabei möchte ich, wie Du Liebe Ilona geschrieben hast “die Unmittelbarkeit der Darstellung” beibehalten, weil Du damit einverstanden zu sein scheinst. Die Ansprüche Karl’s, die ich bei dieser Gelegenheit erwähne hat er in Wien, wie ich mich zu erinnern glaube, bei ähnlichen Anlassen gemacht. Falls ich mich irre, bitte korrigiert ändert, etc. Die Darstellung beschränkt sich infolge Platzmangels auf die Wiedergabe einiger Hauptgedanken Karl’s womöglich in seinen veröffentlichten Worten. Das gibt [69] zwar nur ein unvollständiges Bild du Abhandlung. Doch ich kam so Karl ausführlich zitieren. So kommt seine farbenreische, eindringliche, und künstlerische Ausdrucksweise zu besserer Geltung und ich erspare dein Leser Inhaltsangaben durch meine eigenen Worte, die ich soweit als möglich vermeiden will. Und nun gehe ich wieder zur Schreibmaschine.

[69] “Der Wawa müssch wir herauskommen”. Das war Deine Reaktion auf die Nachricht von meiner Verhaftung durch die Nazi im Mai 1938. Du hast uns das von Euch die Einzelheiten Euerer mühevollen Anstrengungen uns ein Einreisepermit nach Neuseeland zu verschaffen. Euer Erfolg war unsere Rettung. Sie erscheint uns noch heute als ein Wunder, für das wir nicht genug dankbar sein können. Am späten Nachmittag dieses Märztages habt Ihr uns an einem der großen Londoner Bahnhofe – ich weiß nicht mehr an welchen – erwartet. So sahen wir uns nach mehr als vier Jahren wieder. Wir waren auf der Durchreise nach Neuseeland. Das Schiff hatte in Southampton 24 Stunden Aufenthalt und die benützen wir dazu Euch in London zu treffen. Nach fast stummer aber herzlicher Begrüßung bist Du, Ilona, zu einer Telefonzelle gegangen (ich glaube, Du hast Grants von unserer Ankunft verständigt). Dann verließen wir den Bahnhof und waren bald in einem Autobus. Als wir in einer Vorstadt ausstiegen, war es schon dunkel. Scheinwerfer leuchteten den Nachthimmel ab – es war damals ungefähr zwei Wochen nach der Besetzung der Czechoslowakei durch die Nazi. Karl nahm unseren kleinen Sohn, der von der reise müde war auf den Arm. Wir gingen durch einige Straßen mit, wie mir schien, modernen Siedlungshäusern. In einem davon wohnten Grants, die uns für die sogleich zu Bett gebracht. Wir blieben für den Abend beisammen. Außer uns waren noch andere Besucher da. Sie waren, wie ich glaube, so wie wir Flüchtlinge. Sie schienen dieselbe Schwierigkeit wie wir zu haben, - sie sprachen nur wenig oder gar nicht englisch. Doch trotz meiner Sprachschwierigkeiten konnte ich die Titel von Broschüren und Flugblättern verstehen, die in kleinen Stößen an verschiedene Stellen im Zimmer lagen. Grants waren eben ein Posten – und wahrscheinlich kein unwichtiger – in der Verteidigungslinie der Linken gegen den damals im Aufstieg befindlichen Faschismus. Kurze Zeit vorher war die Czechoslowakei dem dritten reich erlegen. Der spanische Bürgerkrieg hatte mit dem Siege der Faschisten geendet. Das brachte einen vermehrten Strom von Flüchtlingen in die Länder in denen Parteien der Linken noch legal bestehen konnten. Für Euch wie für die Grants bedeutete das natürlich zusätzliche schwere Arbeit.

[70] Die Lage begünstigte engere Zusammenarbeit innerhalb der Linken. In dieser geistigen Atmosphäre erschien “Christianity and the Social Revolution” bei Gollancz 1935. Karl war einer der Herausgeber des Buches. Außerdem enthielt es eine Abhandlung von ihm. Der Titel war “The Essence of Fascism”. Ich habe das Buch erst vierzig Jahre nach seinem Erscheinen gesehen, und Karl’s Abhandlung gelesen. Manches, das ich früher nicht verstanden habe, wurde mir erst jetzt klar. Die Abhandlung ist gewiss eine klassische Darstellung der philosophischen Grundlagen des Christentums und des Faschismus, die bleibendes Interesse hat. Schon in Wien hatte mir die gute Nene von dem Buch erzählt, als ich sie wieder einmal besuchte. Die Wohnung was leer. Ihr wart schon weg und auch Erzsi war nicht mehr da. Nene war dabei die Wohnung aufzugeben und in eine Pension zu übersiedeln. Sie sagte: “Er hält Vortäge und schreibt Artikel. Und jetzt hat er auch ein Buch herausgegeben. “Sie zeigte mir einen Brief von dir, liebe Kari. Du schriebst, dass Du gerade mit einer “Flu” in Bett wärest, dass es Dir abgesehen davob ganz gut gehe und dass Du Dein Deutsch schon langsam vergessen hättest. Ich sah die englische Marke am Kuvert und sagte: “Von freier Erde” (Ich meinte England, von wo der Brief gekommen war.) “Ja” sprach die Nene “dort kann er schreiben”.

Das erinnerte mich an Karl’s letzte Worte zu mir in Wien: “Hier ist für mich nicht Boden”. Nun hatte er wieder Boden unter seinen Füssen. Er konnte wieder frei sprechen und schreiben. Ein Buch wie “Christianity and the Social Revolution” konnte in England erscheinen. Der Zweck des Buches war, wie im Vorwort ausgeführt ist (p. 26/27) die der Linken und dem Christentum gemeinsamen Elemente hervorzuhaben.

Karl tut das, indem er in seiner Abhandlung zeigt, dass für das Christentum und den Sozialismus das Individuum er höchste Wert ist. Das bringt beide in unüberwindlichen Gegensatz zum Faschismus. In der Abhandlung kommt seine Persönlichkeit zum vollen Ausdruck. Denn für ihn war individuelle Freiheit unter den höchsten Werten. Das konnte nicht anders sein bei einem Menschen, dessen “life was guided by an inner necessity to exercice freedom of actions and thought” wie Du es, Liebe Kari so treffend ausgedrückt hast. Hier fand er sich auf gleichen Linie mit dem Christentum für das “personality is of infinite value.” (Essence, p. 369). Das war für ihn das Motiv die Abhandlung zu schreiben. Sie ruht auf der Ethik, dass individuelle Freiheit zu den höchsten Werten gehöre – die moralische Einheit in Karl’s Schaffen.

Trotzdem er mit dem Christentum hinsichtlich der Wertung der individuellen Freiheit auf gleichem Boden stand, war er sich dessen bewusst, dass die Kirchen sich oft gegen die Linke stellen und insbesondere den Faschismus unterstützen. Doch lehnte er ab Kirche und Christentum zu identifizieren. “Das ist eine Machtorganisation” beschrieb er die katholische Kirche in Österreich, als er wieder einmal ihre reaktionäre Stellungnahme in den dreißiger Jahren diskutierte. Aber in gewissen Ländern wie in Nazideutschland zeigte sich der Gegensatz zwischen Faschismus und Kirchen deutlich.

[71] Daraus schließt Karl, dass

“to National-Socialism we must turn to discover the political and philosophical characteristics of full-fleged Fascism.” (p. 360)

Als Grundprinzip des Faschismus sieht Karl “the idea of anti-individualism” (p. 362) an. Reformation, Demokratie, Sozialismus und Kommunismus gelten als Ausdruck des zu bekämpfenden Individualismus. So zitiert Karl beispielsweise Rosenberg: “Democracy and Marxian movement take their stand on the happiness of the individual” (p. 365).

Zunächst befasst sich Karl mit der Kritik des Individualismus durch Othmar Spann, der damals (d.h. in den Dreißigerjahren) Professor an der Universität on Wien war. Spann leugnet die Denkmöglichkeit eines für sich selbst bestehenden Individuums, das er als charakteristisch für den Individualismus ansieht. “Individualism” beschreibt Karl dieses Argument “must conceive of human beings as self-contained entities spiritually “on their own”, as it were. But such an individuality cannot be real. Its spiritual autarchy is imaginary.” (p. 368)

Dieses Argument hatte Karl schon in Wien mit mir erörtert, als ich unter seiner Anleitung an meiner Dissertation arbeitete. “Da hat er ganz recht” höre ich Karl auf dem Divan beim Fenster sitzend sagen “Nur beweist er damit, was er nicht beweisen will. Er führt den Übermenschen Nietzschen’s ab absurdum und damit das Führerprinzip.”

In der “Essence” hat Karl diesen Gedankengang folgendermaßen weiterentwickelt:

“Spann’s criticism is vitiated by a fundamental ambiguity. What he is aiming to disprove is the individualism which is the substance of Socialism. It is essentially Christian. His actual arguments are directed against atheist individualism.”

Und nun zeigt Karl am Kiriloff, einer Figur in Dostojewky’s Roman “Die Besessenen”, ein Beispiel des “Atheist Individualism”.

“The formula of atheist individualism is hat of Kiriloff in Dostoevsky’s ‘The Possessed’.” “If there is no God, then I Kiriloff am God.” “For God is that which gives meaning to human life and creates a difference between good and evil. If there is no such god outside myself, then I myself am God, for I do these things. The argument is irrefutable. In the novel Kiriloff resolves to make his godhead actual and real by conquering the fear of death. He proposes to achieve this by committing suicide. His dying proves o ghostly failure.” (p. 369)

So zeigt Dostojwesky die Absurdität eines Übermenschen, was auch Spann in seiner Kritik das Individualismus tut. Doch hat das bei Spann besondere, ihm gewiss unerwünschte Folgerungen, nämlich:

“By his (Spann’s) effective… attack on atheist individualism he refutes what in corporate Capitalism he eventually intends to uphold: the Individualism of Unequals and upholds unwittingly what he started to refute: the Individualism of Equals. For the latter is inseparably bound up with Christian as the other with atheist Individualism. Christian Individualism arises out of the precisely opposite relation of the Absolute. “Personality is of infinite value, because there is God” (p. 369).

[72] Nach diesem Satz geht Karl zur Definition des Christlichen Individualismus über:

“It is the doctrine of the Brotherhood of Man. That men have souls is only another way of stating that they have infinite value as individuals. To say that they are equal is only restating that they have souls. The idea of Brotherhood implies that personality is not real outside community” (Hier kommt wieder der vergesellschaftete Mensch, die logische Einheit in Karl’s Wirken durch.) (p. 368/70)

Karl betont in wunderbaren Sätzen, die ich leider erst jetzt voll begreife (er hat mir davon in Wien gewiss gesprochen, aber es war von geringem Nutzen) die

“coherence of this series of truths… Like different properties of a geometrical figure these statements are really one. The discovery of the individual soul is the discovery of society. Each is implied in the other.” (p. 370)

Und nun kommt er über die Erörterung Spann’s zu seinem eigenen Kernpunkt, in der den Gegensatz zum Faschismus beleuchtet. Karl setzt fort:
“The discovery of the person is the discovery that society is a relationship of persons.” (p. 370)

Hier ist der entscheidende Unterschied zum Faschismus. Denn “the central proposition of Fascism is that society is not a relationship of persons.” (p. 370)

Das NOT ist verschieden von den anderen Worten gedruckt um diesen Punkt als wesentlich für das Verständnis der Debatte über den Faschismus auch durch ein äußerliches Merkmal klar zu machen.

In eindringlicher Sprache fährt nun Karl fort:

“This is the real significance of its (des Faschismus) anti-individualism… Thus fascist philosophy is an effort to produce a vision of the world in which society is not a relationship of persons, a society in fact in which there are either no conscious human beings or their consciousness has no reference to the existence and functioning of society.” (p. 371)

Der Faschismus konstruiert eine Gesellschaft, die nicht eine Beziehungen zwischen Personen ist, durch zwei Alternativen, “Vitalism and Totalitarianism” (p. 372)

Karl beschäftigt sich zunächst mit dem Vitalismus. “Vitalism” sagt Karl “implies human beings with no rational consciousness whatever” (p. 377) Ein Hauptvertreter dieser Richtung in den dreißiger Jahren, der bedeutenden Einfluss auf die faschistische Philosophie hatte, ist Ludwig Klages.

“He deduces” beginnt Karl seine Darstellung “from Nietzsche’s orgiastic line of thought an anthropology comprising a theory of conscious human character, prehistoric culture and mythology.” (p. 377)

[73] und nun erklärt Karl näher:

“The core of Klage’s anthropology is between the Body and the “Soul” of the one hand, the Mind on the other. Body and Soul belong together, for the Soul signified with Klages not anima, but animus: the psychological companion of the Body. The Mind stands apart, it is the principle of consciousness. It is an inimical irruption into the Soul-Body World; in fact a disease.” (p. 378)

Hier sagt der Schüler: “Nach dem zu schließen ist also das Denken etwas Schlechten”. “Ja” höre ich Karl’s Antwort “das ist so”.

Denn:

“Before this fateful intrusion occurred man remained in animal harmony with its environment… With its occurrence consciousness starts, the Ego emerges. The “Soul” is gripped by the Mind, becomes a person – a form of parasitism on life in which the “Soul” is reduced to a mere satellite of the Ego.” (p. 378)

An diesem Punkt bringt Klages den Willen herein. So führt Karl aus, indem er den Gedankengang Klages’s fortetzt:

“The main form in which the Mind takes hold of Life is the Will, for domination is inherent in the Mind. It is the source of all Will to Power. The urge of animal instinct is not purposive; it is more akin to the forces at work in parturition.” (p. 378)

Der “Mind” ist nicht nur (im allgemein) ein Übel nach Klages, sondern er hält auch das Christentum für die ärgste Form in der der “Mind” auftritt.

“Conscience and ethics are the symptoms of a Mind process” sagt Karl indem er Klages wieder gibt “of which Christianity is the most pernicious form. That which is calls the Spirit is poison to the Soul; it is Will to Power bent on the destruction of Life. When it has successed the end of mankind will have come.” (p. 378)

“Da musste eigentlich jede moderne Gesellschaft untergehen” sagt wieder der Schüler. “Ist das nicht etwas zweifelhaft?”

“Gewiss” sagt Karl “stellt er kühne Behauptungen auf. Doch hier gebe ich nur seine Ansichten wieder, Sie sind für den Faschismus von Bedeutung. Vor allem beschreibt er eine Gesellschaft die nicht – und das “Nicht”betont Karl besonders – Beziehungen zwischen Personen sind.” Dann setzt er fort:

“The consciousness is the “Soul”. It belongs to the plane of vegetative or animal life. There is no Ego. No movement towards self-realisation emerges, because there is no self. The tidd of self-consciousness does not reach out towards the faculty of intelligence. Its climax is in ecstasy.” (p. 372). Die Gesellschaft ist ein “Day-dream of tribal existence.” (p. 373) …Natural man and natural society do not involve the individual consciousness. The reality of man lies in his capacity not to be a person.” (p. 379)

“Und eine solche Gesellschaft ist ein faschistisches Ideal?” fragt der Schüler etwas verwundert.

“Ja” antwortet Karl “das ist so”.

[74] Es gibt Faschisten die zum prähistorischen Menschen zurückwollen. Es ist “fährt er mit leicht erhobener Stimme fort

“endless regression… But in a highly developed society of the machine age there is no alternative to Capitalism but Socialism.”

In leidenschaftlichem Protest gegen Menschenunwürdigkeit gibt er sein Schlussurteil über den Vitalismus:

“Consistent Vitalism is …the return to the fumbling blindness of the cave… the end of civilisation and culture of any kind whatever.” (p. 382)

Nach Erörterung das Vitalismus geht Karl auf die andere Alternative des Faschismus über “to produce a vision of the world in which society is not a relationship of persons.” (p. 370), nämlich den Totalitarianismus.

Damit kommt Karl wieder auf Spann zurück. Das von Karl jetzt erörterte Argument Spann’s ist methodisch, und gibt ihm eine Sonderstellung in der Philosophie des Faschismus.

“Individualism” führt Karl auf “is with him (Spann) not a principle confined to social philosophy – it is responsible for the vicious causational approach to natural phenomena in natural science, and thus ultimately, for the atomistic individualism in terms of which we have to our undoing come to conceive society. “Universalism” professes to be the counter-method to this inclusive concept of individualism. (p. 363/364)… Universalism in Spann’s denotes a method of logical analysis inspired by the Aristotelian. “The Whole is before the parts” or the Hegelian “The truth is the whole” (p. 387).

[74] Diese Gegenüberstellung von Individualismus und Universalismus erinnert mich an die Vorlesungen Spann’s die ich vor ungefähr vierzig Jahren als Student hörte. Periodisch hielt er Diskussionen, in denen er natürlich den Studenten leicht überlegen war. Doch einmal stand jemand auf und sagte, was mir Karl anlässlich meiner Dissertation klar gemacht hatte, dass nämlich gewiss logisch das Ganze vor den Teilen komme, dass das aber nicht aussliesse kausal nach den Gründen von Gesellschaftlichen Erscheinungen zu fragen. Kerner wurde geltend gemacht, was Karl ebenfalls sagte, dass Spann selbst auf dem Kausalitätsprinzip beruhende Argumente gebrauchte, wenn er z.B. gegen Marx einwende, dass sein Konzentrationsgesetz für einen Kleinmarkt nicht gelte, weil ein Kleinmarkt die volle Ausnützung der Kapazität eines Großbetriebes nicht gestatte, Ich weiß nicht, mehr, was Spann darauf geantwortet hat, obgleich ich glaube, dass er die vorgebrachten Argumente halb und halb zugab. Doch schien ihm das Kausalitätsprinzip irgendwie “contre coeur” zu gehen, wie man damals sagte. Im überigen bestätigte dieser Einwand gegen das Konzentrationsgestzt, dass Spann seine Argumente nahm, wo er sie finden konnte, wenn sie vielleicht auch nicht ganz in das Gesamtbild seines Systems passten. “Er nimmt alles, was gut und teuer ist” beschrieb einmal Ernst Bock diese nicht immer folgerichtige [75] Stellung. Trotzdem Spann als Faschist jede Demokratie ablehnte, kann man ihn zumindest in meinem Fall eine gewisse Toleranz nicht absprechen. Einmal gab er als Seminarübung das Thema “Universalismus”. Ich gab meine Arbeit unter dem Titel “Kritik das Universalismus” ab. Die eben erwähnte Argumente waren drin. Die Arbeit wurde nach der Handschrift zu schließen vom Assistenten Spann’s mit Nichtgenügend klassifiziert. Da keine Bemerkungen zur Arbeit zu sehen waren, fragte ich Spann nach dem Grund des Nichtgenügend. Wortlos nahm er seine Füllfeder heraus und strich das “Nicht” durch. Ich war wahrscheinlich etwas enttäuscht, denn ich bemerkte (natürlich ganz bescheiden) dass die Arbeit doch selbständige Gedanken enthalte. Darauf strich er das “Genügend” durch und schrieb “Gut” darüber. Dann fragte er: “Sind Sie jetzt zufrieden?” Mit einem dankbaren “Ja” verschwand ich.

Die beiden Einwände gegen Spann, die ich eben erwähnte habe, sind nicht in der “Essence” enthalten. Sie waren Nebenprodukte, die Karl mir sagte, als er mit mir meine Dissertation besprach. Sie handelte von den Objektivationen. Die Argumente, die er mir für die Dissertation klar machte, finden sich soweit sie Spann betreffen, in der “Essence”. Dort sind sie insbesondere in Verbindung mit der Kritik gegen Spann im Detail ausgeführt. Leider sind sie im Deutschen nicht veröffentlicht. So gehe ich hauptsächlich auf den Text zurück. Doch möchte ich sagen, dass sein Interesse an den Objektivationen seiner Freiheitsliebe entsprang. Er fand es unmenschlich, dass soziale Gebilde, wie Staat, Preise, etc. die doch aus menschlichen Beziehung entspringen, sich von den Menschen selbständig machen sollten und sie beherrschen sollten. Schon in seinem “Seminar” über Gildensozialismus” legte er uns des klar. Er rief nach übersichtlichen, persönlichen und unmittelbaren Beziehungen zwischen den Menschen, wo das möglich wäre. In mir weckte auf diese Weise das “Seminar” mein Interesse an den Objektivationen und ich wählte daher, war es in Wirklichkeit in Karl’s Arbeit, weil ja das Thema für mich zu schwer war.

Um die Zusammenhänge von Karl’s Wirken in Wien mit seinem späteren Schaffen darzustellen, beginne ich mit seinen Erörterungen im Anfangsstadium meiner Dissertation, die sich auch mit Spann auseinandersetzen musste, da er das Gegenteil vom Standpunkt Marx’s hinsichtlich der Objektivationen vertrat.

Noch heute kann ich mich erinnern, wie ich das erste Mal erwähnte, dass ich über die Objektivationen als Gebilde, die die Menschen beherrschen, trotzdem sie von ihnen geschaffen wurden, dissertieren wollte. Obgleich Karl natürlich wusste, dass das für ihn eine Menge Arbeit bedeuten würde, war er gleich dafür.

“Das ist gewiss ein schönes Thema” sagte er “Mich freut es, jemand ausführen will.” Dann erheb er sich vom Diwan, der wie Ihr ja wisst, in der Ecke beim Fenster im Mittelzimmer stand, ging zum Bibliothekskasten und sagte: “Grundlegen ist der Fetischismus der Ware bei Marx. Sehen wir uns wieder die Stelle an. “Damit nahm er Band I das “Das Kapital” heraus, blätterte ein wenig drin und zeigte mir [76] verschiedene Stellen im Buch und erklärte sie mir. (Ich glaube sie schon in einem früheren Brief zitiert zu haben). Der Kernpunkt war, dass Marx die Objektivationen auf menschliche Beziehungen zurückführe, dass die Objektivationen als Selbstentfremdung der Menschen etwas menschenenwürdiges seien, und dass daher die Objektivationen auf menschliche Beziehungen nicht nur logisch rückführbar seien, sondern dass sie tatsächlich durch menschliche Beziehungen ersetzt werden sollen. Es kommt mir vor, dass ich darüber ebenfalls in einem früheren Brief bereits geschrieben habe. Ich glaube auch diese Argumentation bei dieser Gelegenheit in der “Essence” (p. 375) zitiert zu haben. So will ich sie hier nicht mehr wiederholen.

In einem späteren Stadium der Arbeit kam er auf die Objektivationen bei Spann zurück. Er zeigte die Schwäche seiner Stellung in Argumenten die er in der “Essence” mit besonderer Berücksichtigung des Faschismus weiterentwickelt hat. Es handelte sich damals, d. h. ungefähr zehn Jahre vor dem Erschein der “Essence”, darum in der Dissertation den Unterschied von Spann’s Auffassung der Objektivationen gegen Marx, und damit die Schwächen Spann’s im Rahmen der Dissertation festzulegen. Diese Schwäche sah Karl darin, dass Spann im Gegensatz zu Marx die Objektivationen nicht auf menschliche Beziehungen zurückführt.

“Ja” sagte er (ich erinnere mich noch an die Worte Karl’s) “jetzt muss man zeigen, wo man eigentlich steht, und dass man aus dem Vollen schöpft. Die Dissertation sollte einige Hauptrichtungen erwähnen, darstellen was sie über die Objektivationen sagen und die Beziehung zum eigenen Standpunkt klarlegen.” So kamen wir zu Spann.

“Bei ihm sind die Objektivationen das, was er als das Gute, “das Schöne”, “das Edle” und als ähnliche Abstraktionen erscheint. Er führt sie natürlich nicht wie Marx und vielfach die moderne Soziologie auf menschliche Beziehungen zurück. Die Objektivationen hängen bei ihm in der Luft. Er würde sagen, dass sie ein Ausdruck des Absoluten Weltgeistes sind, wie er bei Hegel formuliert ist.”

Den letzteren Punkt erwähnte Karl nur flüchtig, weil er in der Dissertation vermeidbar war. Doch in der “Essence” findet man die ganze Argumentation in der Form einer Kritik des Totalitarianismus, wie er bei Spann vorkommt, ausgeführt.

Zunächst gibt Karl, wie bereits erwähnte, die Theorie vom Fetischismus der Ware, bei Marx. Zum besseren Verständnis der Kritik Spann’s wiederhole ich teilweise die Stelle. Karl sagt hier:

“Human relationships in daily life are …immediate…in primitive communism… In a developed market society distribution of labour intervenes. Human relationships become indirect: instead of immediate co-operation there is indirect co-operation by the medium of the exchange commodities. The reality of the relationship persists; the producers continue to produce for one another. But this relationship is now hidden behind the exchange of goods: it is impersonal: it expresses itself in the objective guise of the exchange value of commodities. It is objective, thinglike. Commodities on the other hand take a semblance of [77] life. They follow their own laws, rush in and out of the market change places, seem to be masters of their own destiny. We are in a spectral world, but in a world in which spectres are real. For the pseudo life of the commodity, the objective character of exchange value are not illusions. The same holds true of other “objectification” like the value if money, Capital, Labour, the State. They are the reality of a condition of affairs in which man has been estranged from himself.” (p. 375)

Hier folgt die Ablehnung eines solchen Zustandes aus moralischen Gründen.

“But the true nature of man” führt Karl aus “rebels against Capitalism. Human relationships are the reality of society.”

Und nun Karl’s ethisches Postulat:

“In spite of the division of labour they (the relationships) must be immediate i.e., personal. The means of production must be controlled (er sagt nicht “owned”) by the community.”

Mit dem Gewissheit der Überzeugung setzt er fort: – das Gegenstück zum Faschismus. Bei Spann, auf dessen Kritik Karl nun übergeht ist dieses Gegenstück zum Faschismus. Bei Spann, auf dessen Kritik Karl nun übergeht ist dieses Gegenstück folgendermaßen formuliert: “In Spann’s philosophy it is precisely the self-estrangement condition of man which is established as the reality of society. Thus pseudo-reality is justified and perpetuated. Social phenomena are universally represented as thinglike (nicht auf menschliche Beziehungen zurückgeführt wie bei Marx). Yet is denied that there is self-estrangement. (Allerdings ist nicht zu sehen, wie bei einem solchen Gedankengang “self-estrangement” vermieden werden kann.) Not only State, Law, the Family, Custom and the like are “objectivations” as with Hegel.

Hier höre ich Karl in Protest gegen die Unfreiheit der Objektivationen aufschreien, wie sie bei Spann erscheint. Denn er setzt nun seine Beschreibung des Spann’schen Systems mit den Worten fort:

“But so is every kind of social group, function and contact, including economic and private life. This leaves no foothold for the individual, man is entrapped in his condition of self-estrangement. Capitalism is not only right it is eternal.” (p. 375/76)

Zu einer solchen Gesellschaft kommt Spann über den “Objektiven Geist” Hegel’s, wie Karl Beschreibt:

“The Mind is the chief actor in producing that other plane of existence (Vitalismus ist die andere faschistische Alternative) in which there is no society is the realm of Totality has not persons for its units.” (p. 371)

[78] The “units” sind die Objektivationen, die Spann nicht nach dem Kausalitätsprinzip erklären will und die daher nicht auf die Einzelnen zurückgeführt werden.

So sagt Karl:

“The Political, The Economic, The Cultural, The Artistic, the Religious, etc.” are the units: persons are not related to one another except through the medium of that sphere of Totality which comprises them both.” (p. 373)

Und nun illustriert Karl diese Beziehungen an einigen Beispielen, die gewiss eine etwas gekünstelte Konstruktion aufweisen:

“If they exchange their goods they are fulfilling an adjustment Totality, i.e. the Whole; if they co-operate in producing them, they are relating themselves not to one another, but to the product. Nothing personnel has here substance unless it is objectified, i.e. has become impersonal. Even friendship is not an immediate relationship of two persons, but a relation of both to their common Friendship.” (p. 373)

Daraus zieht Karl den Schluss:

“What the individual person is supposed to contain as subjective experience in himself he thus encounters as colourless semi-translucent objectivity outside himself. Society is a vast mechanism intangible entities of Mind stuff. The subsistence of personal existence is merely the shadow of a shadow.” (p. 383/74)

Zusammengefasst charakterisiert Karl die Stellung Spann’s als “Hegel shorn of his dialectic” und daher “deprived of revolutionary dynamic.” (p. 373)

Das Resultat “is a static totalitarianism” und “serves only to increase the reactionary effect.” (p. 374). Denn, wie Karl ausführt

“the anti-individualist implications of this (Spann’s) position go far beyond Hegel. The reason for this is easily found. His apologia for State – Absolutism and his glorification of the semi-feudal Prussian State are restricted after all to the sphere of political ethics, they do not affect the person. He proclaimed the State not society as “the Divine Idea” as it exists on Earth. But the State is itself a person and as such can never entirely rid itself of the metaphysical substance of freedom-self realisation.” (p. 376)

Hier kommt Karl zu dem Punkt, wo Spann aus der Philosophie Hegel’s den Begriff der Freiheit ausließt.

“In order to eliminate” setzt Karl die Darstellung fort “the concept of freedom from men’s world altogether, society – not the State – must be made supreme. In fact this is precisely the point of difference between Spann and Hegel. Spann relegates the State to a most modest position in his system (which is in accordance with medieval organic conceptions) and reserves Totality to society as a whole.” (p. 376)

[79] Das hat, wie Karl zeigt, zur Folge dass

“by this subtle move he (Spann) eliminate the very possibility of freedom. For even a slave state is a State, and thus can become free. But a slave-society which was so perfectly organised that it could not become free; it would lack the very machinery of self-emancipation. Thus, in spite of the use of the Hegelian method the world of man in its totality is not a person; it is a helpless body devoid of consciousness. There is no freedom and there is no change. It may be doubted whether a more complete absence of self-determination in society was ever conceived.” (p. 376)

Zusammenfassend vergleicht nun Karl Vitalismus und Totalitarianismus. Es ist einen der wenigen Stellen in denen seine leidenschaftliche Ablehnung des Faschismus durchkommt. Sie lautet:

“Totalitarianismus thus signifies the perpetuation of the loss of freedom in self-estrangement and unreality; Vitalismus the return to the blindness of the cave. If there is one thing which could justify either of them, it is the appalling alternative presented by the other.” (p. 382)

Doch weder der Totalitarismus Spann’s noch der Vitalismus Klage’s wurden zur offiziellen Philosophie des Nazismus. Denn sie lassen für Nationalismus keinen Platz:

“Klages claims the discovery of anthropological laws of the general validity; Spann’s method of the Mind Objective cannot stop short of mankind.” (p. 383)

Aber der Vitalismus gestattet ein Auskunftsmittel. Denn, wie Karl ausführt

“with the help of the fiction the idea of the nation can be easily fitted into the materialist pattern of Vitalism. The concept of the race acts as common denominator to tribal reality and artificially of the modern nation. National Socialist philosophy is Vitalism using the race as a substitute for the nation.” (p. 383)

Das Resultat ist Rosenberg’s System. Karl beginnt seine Beschreibung mit der Frage, wie in einer kapitalistischen Gesellschaft, die nach dem Vitalismus keine Beziehung von Personen sein soll, die Produktion von Gütern denkbar sei.

“In producers of all grades there must be use of the intellect and the will directed towards achievement, i.e., the organized consciousness of the psychological Ego. But Vitalism is an affirmation of the non-conscious functions of life, it seeks the reality of man in his capacity not to be a person, and it is precisely this principle which singles out as the philosophy of Fascism. Yet, how can rational consciousness be re-introduced without re-establishing the person?” (p. 383)

[80] Die Antwort ist Einführung des Rassenprinzips durch “Pseudo-mysticism”. “Mysticism is a communion of God and Man” definiert Karl. “Thus it is also a separation of man from man by God. Mystic man has God at hand. He is separated by Eternity from his fellow… The mystic Ego has no human Thou to correspond. In the mystic state of mind the most exalted valuation of reason and will, a very deification of the faculties of the soul, is co-existent with a complete dissolution of personality itself. But the rationality and will thus mystified remains essentially unsocial.” (p. 384)

So leitet Mysticismus zur Gesellschaft, wo der Ego kein “Corresponding Thou” hat, und die daher keine Intellekt von Personen nicht ausschließt. Nach der Definition des Mysticismus kommt Karl zum “Pseudo-mysticism”, wie ihn Rosenberg zur Einführung des Rassenprinzipes benützt.

“In reaffirming medieval German mysticism only this time as an alternative to faith” sagt Karl “Fascism uses mysticism as an outlet for religious and aesthetics emotions, that is safe against aberrations into ethics… In Eckehart’s Christian faith mysticism was an expression of the yearning of the medieval soul to continue in his seclusion inspite of a new world calling for contact and wider companionship. In National-Socialism it (pseudo-mysticism) serves to build an artificial centre of rational consciousness for the individual without establishing him as a social unit.” (p. 384)

Karl zeigt nun, wie Rosenberg infolge Ablehnung Spann’s und Klages’s dazu kommt:

“to recast Klage’s anthropology on racialist lines. Both the harmony of the Body and Soul which Klage’s attributes to primitive man and the radiant qualities of the Mind and Spirit which in other races are so destructive of that harmony should be credited to the Nordic. For with them the higher forms of consciousness never generate into those pathological execrations of the Mind with which Christianity presents us. These are the outcome of bad blood of the lower mixed races such as inhabited Asia Minor, Syria and the Mediterranean basin in historic times”. (p. 386)

“Beweist er irgendwie, dass das Blut mit der Rolles des Mind etwas zu tun hat?” fragt der Schüler “und wenn das wirklich so ist, wie kommt er dazu, zu sagen, dass gewisse Rassen schlechtes Blut haben und deswegen intellektuell minderwertig sind?” (Der Schüler denkt hier an neuere Untersuchungen die gezeigt haben, dass intellektuelle Fähigkeiten nicht an bestimmte Rassen geleugnet wird.)

“Ja” höre ich Karl’s Antwort “seine (Rosenberg’s) Theorien sind gewiss kühn. Da findet man wenig Beweise. Er ist eben Vitalist. Nach ihm

“the mind of the Nordic is naturally Vitalist; his relation is Sunworship……Truth is that which the organic principle of life determines as such.” (p. 386)

[81] “His (Rosenberg’s) theoretical and practical’s aims” sagt Karl abschließend “are perhaps best summed up that “all civilization is but the shaping and moulding of consciousness according to the vegetative and vital characteristics of the race. (p. 386)

Das sind einige der Hauptgedankengänge, in denen Karl die Philosophie des Faschismus darstellt. Leider ist es infolge Platzmangel unmöglich die ganze Beschreibung wiederzugeben. Neben der Philosophie des Faschismus gibt Karl auch ein Bild des politischen Zieles des Faschismus, “the sociology of Fascism” wie er es nennt. Der Kern ist, dass der Faschismus die Demokratie negiert, weil sie mit dem Kapitalistmus, dem Privateigentum an den Produktionsmittels unvereinbar ist. Als sein Beispiel zitiert Karl die Düsseldorfer Rede Hilter’s. Sie

“proclaims the utter incompatibility of democratic equality in politics and of the principle of the private property of the means of production in economic life to be the main cause of the present crisis, for Democracy in politics and Communism in economics are based on analogous principles.” (p. 392)

Und, argumentiert Karl weiter

“in the historical experience of the Continental Democracy leads to Socialism; thus if socialism is not to be (d.h. wenn der Kapitalismus bestehen bleiben soll) Democracy must be abolished.” (p. 391)

Doch Unterdrückung der Demokratie ist nicht genug.

“Fascism must aim at more than destruction of Democracy; it must attempt to establish the structure of society which would eliminate the very possibility of its reversion of Democracy.” (p. 391)

Diese Struktur ist der Corporative Staat. “In this structural order human beings are considered as producers, and as producers alone. The different branches of industry are legally recognised as corporations and endowed with the privilege of deal with the economic, financial, industrial and social problems arising in their sphere; they become the repositories of almost all the legislative, executive and judicial powers… The actual organisation of social life is built on a vocational basis. Representation is accorded to economic function.” (p. 391)

Hier fährt Karl mit eindringlicher und gleichzeitig protestierender Stimme fort:

“It (representation) is technical and impersonal. Neither the ideas and values nor the numbers of the human beings find expression of it.” (p. 393)

“Das ist wohl die faschistische Gesellschaft, die nicht auf Beziehungen zwischen den Individuen beruht” wirft der Schüler ein.

“Das ist wahr” höre ich Karl antworten und in leicht erregtem Ton fortsetzen:

“A corporative State is a condition in which there is no conscious will or purpose of the individual nor a [82] responsibility for his share in it.” (p. 394)

Doch setzt das voraus, dass die Vorstellung der Gesellschaft als eine Beziehung zwischen Personen für immer ausgeschaltet wird. Denn

“Neither such a will nor such a responsibility can pass from our world altogether, as long as we continue to conceive society as a relationship of person.” (p. 394)

Damit schließt Karl seine Abhandlung. Ich glaube, dass dieser Abschluss über das rein Philosophische hinausgeht. Er ist eine Warnung und zugleich der Ausdruck einer Gewissheit. Die Warnung besteht darin, dass der Faschismus eine geistige Umstellung bewirken muss, die den Wert individueller Freiheit verneint. Der Ausdruck der Gewissheit besteht darin, dass Karl es als völlig unwahrscheinlich ansieht, dass eine solche geistige Umstellung erfolgen kann. Denn sie ist gegen die menschliche Natur. Trotzdem er es nicht ausdrücklich sagt. So bestätigt er doch die Verse, die man nach 1934 in Österreich nur hinter verschlossenen Türen, aber heute wieder öffentlich zitieren kann, nämlich:

Das Wort könnt ihr verbieten,
Ihr tötet nicht den Geist
Der über eueren Häuptern
Ein kühner Adler kreist.

Leider kann ich nie gesagt Platzmangels nur einige Hauptgedanken der Arbeit wiedergeben. Das Buch ist natürlich vergriffen. So ist die Abhandlung nicht leicht zugänglich. Es tut mir leid, dass ich über dieses Werk kein mit Karl sprechen konnte. An dem einzigen Abend bei Grants, an dem zusammen waren, war das natürlich nicht möglich. So kann ich nur hoffen einige Hauptgedamkengänge richtig nachgezogen zu haben. Wir sprachen natürlich viel über die Emigration. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass Schiff in London seit und nicht einmal weit entfernt von Grants wohne. Ich rief Schiff sogleich an, es war ein eigenartiges Gefühl nach so langer Zeit wieser die mir so vertraute Stimme zu hören. Er schien sichtlich erfreut und wir trafen uns auch am nächsten Tag. Es murde ziemlich spät an diesem Abend. Doch waret Ihr schon viel früher auf als wir. Wie ich glaube, musstet Ihr einen Frühzug erreichen. Jedenfalls kann ich mich noch genau an den Abschied erinnern. Wie am vorhergehenden Tag am Bahnhof sprachen wir auch jetzt nur wenige Worte. Als Ihr schon am Gartenzaun wart, bliebt Ihr noch einmal stehen. Ich sagte “Auf Wiedersehen”. Und Karl antwortete “Wer weiß, ob wir uns jemals wiedersehen werden.” Das waren die letzten Worte, die ich von ihm gehört habe. Es war ein Abschied für immer.

Wir blieben noch eine kurze Zeit bei Grants. Dann gingen auch wir und so hatten sie endlich Ruhe. Sie sind, wie Du liebe Ilona geschrieben hast, “the salt oft he earth” ein Symbol internationaler Verbundenheit. Grant beschrieben uns noch den Weg zur station irgendeiner Bahnlinie, die nicht weit von ihnen war. Dort erwartete [83] uns Schiff. Trotz des kählen Märzmorgens war er wie gewöhnlich ohne Hut und Mantel. Er war ganz unverändert. “Willkommen in der Welt” begrüsste er uns. Damit wollte er sagen, dass wir in England noch auf “freier Erde” waren. Ob sie wohl frei bleiben wird, war die Frage, die damals viele stellten – Er war sehr pessimistisch. Er hielt den Krieg für unvermeidlich und war sich der Schwäche der Westmächte bewusst. Der damaligen Regierung Chamberlain stand er kritisch gegenüber. Er behielt in der Tat in allem Recht, was er damals sagte. Wir waren ungefähr eine Stunde beisammen, weil er mit uns zum Bahnhof fuhr und mi uns blieb, bis der unser Zug nach Southampton abging. Auch hier war es ein Abschied für immer. Er hatte wie viele andere noch die Genugtuung den Zusammenbruch des Faschismus in den Axenländern zu erleben. Wie erwähnt, starb er 1950 kurz nach seiner Rückkehr nach Wien. Er war 84. Manche Szenen sind bleibend in meiner Erinnerung eingegraben. Er hasste Schmeichelei. Einmal sprach ein Student in einem Referat von ihm als “einer der bedeutendsten österreichischen Statistiker”. Der Redner wurde sofort von Schiff mit einem “Ich dank schön für das Kompliment” unterbrochen. An der Universität war nach 1934 sein Seminar ein Sammelpunkt für die Linke. Das passte der Regierung natürlich nicht. Als ich ihn einmal 1936 besuchte, sagte er, dass man ihn gleich nach Vollendung seines 70, Lebensjahres die venia legendi entzogen hätte. Das sei ganz ungewöhnlich. Sonst tue man das erst ein Jahr später. Doch meinte er abschließend: “Minima cura”. Ein anderes Mal sagte er: “Ich habe mir in mein Radio einem Kurzwellempfänger einbauen lessen” (da konnte man Moskau hören). Und gerade wie ich aufdrehe, höre ich die Ankümdigung “Schutzbündler genosse Birkenfeld spricht jetzt über die wirtschaftliche Entwicklung auf” (Schiff nannte eine Insel, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann). Es war ein sehr interessanter Vortag. Mich hat es wirklich gefreut.” Den damaligen Faschismus unter Schuschnigg hielt er für kurzlebig und auch hier es war seine Prognose, wie so oft, richtig. Er war, wie Karl manchmal von Personen sagte, die er sehr schätzte, “ein fabelfter Karl”. Er soll in Frieden ruhen.

Ich bin nun am Ende mit meiner Darstellung, was diesen Brief betrifft. Im nächsten Brief beabsichtige ich etwas über die “Great Transformation” zu schreiben. In diesem Werk kommt neben dem Theorem “Kaufkraftwirtschaft-Tauschwirtschaft” bereits eine andere “Bifurkation”, wie Karl zu sagen pflegte, herein, die über “substantive und formal economics”, welche in den späteren Jahren seines Wirkens immer mehr in der Vordergrund tritt. […]

Fifth Letter: 10 June 1966

[85] Sehen als wir März 1939 in London voneinander Abschied nahmen, erschien der zweite Weltkrieg als wahrscheinlich. “Great nations” beschreibt Karl diese Tragödie “recast the very mould of their thought and hurled themselves into was to enslave the world in the name of unheard-of conceptions of the nature of the universe, even greater nations rushed to the defence of freedom, which acquires an equally an unheard-of meaning at their hands.” (p. 28). In dieser schweren Zeit war wenig Gelegenheit zu Korrespondenz. Doch an einem schönen Vermittag im Oktober 1944 (es war ein warmer Frühlingstag der südlichen Halbkugel) kam eine Flugpostkarte von London. Sie durfte nur wenige maschingeschriebene Zeilen enthalten. Doch die kündigtes das Erschein der “Great Transformation” am.

Das Buch war für einige Zeit nirgends verfügbar. Aber nach einigen Wochen hatte es die amerikanische Library. Für mich war es eine Offenbarung. Es war die Frucht eines studiens von Jahren, oder besser gesagt eines Baumes, dessen Wurzeln schon in Wien gepflanzt wurden. Die Grundbehauptung des Werkes ist – Karl nammt es seine “Thesis” – “that the idea of a self-regulating market (die charakteristische Institution für den Kapitalismus insbesondere des 19. Jahrhunderts) implies a stark utopia. Such an institution could not exist for any length of time without annihilating the human and natural substance of society; it would have physically destroyed man and transformed his surroundings into a wilderness. Inevitably, society took measures to protect itself, but whatever measures it took impaired the self-regulating of the market, disorganised industrial life, and thus endangered society in yet another way. It was this dilemma which forced the development of the market system into a definite groove and finally disrupted the social organisation based upon it.” (p. 3/4)

Neben diesem Grundgedankengang möchte ich einleitungsweise noch einen anderen hervorheben, der zwar in der “Transformation” nur in einem Kapital 4, societies and economics system) ausgeführt ist, aber im “Brade” entscheidend weiterentwekelt ist. Es ist die Erkenntnis, dass “in spite of the chorus of academic” (p. 43). Karl hat, wie ich glaube, diesen Gedankengang in “Trade” im Verbindung mit seiner Unterscheidung zwischen “formal” und “substantiv meaning of economics” bedeutungsvoll erweitert. Die Tragweite seinen Forschungen auf dem Gebiet der Wirtschaftsanthropologie – und darum handelt es sich hier – kann daher erst bei der Schilderung der Gedankengänge im “Trade” voll gezeigt werden.

Zurückkommend auf die “Transformation” erscheint es mir am bestem die in diesem Werk enthalten Gedankengänge, soweit ich sie darstellen kann, in der Reihenfolge zu behandeln, wie Karl es getan hat. Denn die Reihenfolge der Einzelnen Kapital macht die zu einer logischen Kette.

Sixth Letter: 25 July 1966

[87] […]

[97] Zahlungsmittel angenommen wird, (z.B. für Steuern), kurz, dass die Kaufkraft als beliebig änderbares Mittel als Werkzeug der Wirtschaftspolitik benützt wird. Folgerichtig gesehen ist daher Warengeld für eine unregulierte Wirtschaft, vor allem für die Marktwirtschaft, adäquate, während die Kaufkraft über eine solche Wirtschaft hinausweist. Sie repräsentiert Intervention schon in Wien 1929 anschließend an Hayek gesagt, dass man ohne Kaufkraft keine Konjunkturpolitik machen könne, weil man sicher sein müsste, dass das Geld nur für Güter ausgegeben werde und nicht behalten oder für industrielle Zwecke verwendet werden könne. Der Unterschied zwischen Kaufkraftwirtschaft und Tauschwirtschaft wird daher bedeutungsvoll, wenn er „substantiv“ wird, das heißt, wenn die wesentlichen Merkmale beider Konstruktionen (Tauschwirtschaft – sich selbst regulierende Märkte; Kaufkraftwirtschaft – behördliche Intervention) in Betracht gezogen werden, Karl hat das auch, „Transformation“ (Übergang von der Tauschwirtschaft zur Kaufkraftwirtschaft) und „Trade“ (es gibt mehrere Arten von Geld, jede ist nur zu bestimmen zwecken verwendbar). Zu mindestens kommt es mir se vor. Ich glaube. Dass daher das Theorem für ihn nicht unwichtig war. 1) verbindet es die Tauschwirtschaft mit der Marktwirtschaft, indem die Marktwirtschaft als „full blown species“ der Tauschwirtschaft gezeigt wird (Karl nimmt die Tauschwirtschaft ernst wie Marx die liberale Auffassung des Kapitalismus durch Abstraktion von Staatsintervention, Gewerkschaften, etc.). 2) dient des Theorem als Fundierung des „double movement“ von Goldstandard (Warengeld) zur Kaufkraft (Ende des Kap. 16). Und 3) ist das Theorem mit der Unterscheidung zwischen „formal“ und „substantiv“ Sinn des Begriffes „economic“ verknüpft, weil sich ich die Hauptbedeutung des Theorems nur dann zeigt, wenn es nicht mehr im Formalen Sinn in der Wirtschaftstheorie verwendet wird.

[98] […]

Seventh Letter: 12 October 1966

[99] […] [138]

Text Informations

Original Publication: Felix Schafer, Erste Erinnerungen (1964-1966)
KPA: 29/09
Other Languages:

Lge Name
FR Felix Schafer, Premières mémoires (1964-1966)
ES Felix Schafer, Primeras memorias (1964-1966)

Editor's Notes

  1. See also: The letter from Felix Schafer to Ilona Duczyńska and Kari Polanyi-Levitt, 23 November 1964
  2. A partir d’ici, c’est-à-dire au bas de la page 8 de l’archive, et jusqu’au bas de la page 11, le texte est barré et une note marginale renvoie à une nouvelle version de ce passage se trouvant dans la continuité, p. 11. La nouvelle version s’étend jusqu’au début de la page 17. Felix Schafer s’en explique dans ses lettres du 21 octobre 1964 [58/10, 4-5] et du 23 novembre 1964 [58/11, 7-13] : après avoir emprunté et relu “The Essence of Fascism”, Schafer a voulu affiner son texte à l’aune de texte. La partie réécrite se trouve en appendice à la fin de ce texte.